Forscherinnen und Forscher aus Oxford untersuchten in einer Studie den Krankheitsverlauf von 146 Covid-19-Patienten: Ein inhaliertes Kortisonpräparat hat das Risiko eines schweren Verlaufs um 90 Prozent reduziert.

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Eine neue Studie der Universität Oxford weckt Hoffnungen auf ein Medikament, das vor schweren Covid-19-Erkrankungen schützen könnte. Konkret geht es um Asthmasprays mit dem Wirkstoff Budesonid. Österreichische Experten bewerten diese Studienergebnisse als sehr positiv und vielversprechend, warnen aber auch vor allzu überzogenen Hoffnungen.

Frage: Was besagen die Hauptergebnisse der Studie?

Antwort: Laut den Studienergebnissen, die im Fachblatt "The Lancet" veröffentlicht wurden, kann inhaliertes Budesonid das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs um 90 Prozent reduzieren. Ebenso könne die Arznei die Krankheitsdauer um rund einen Tag verkürzen. Für die Phase-2-Studie wurden 146 Covid-19-Patienten und -Patientinnen, die seit durchschnittlich drei Tagen unter milden Symptomen litten, in zwei Gruppen eingeteilt: 73 Patienten erhielten die Standardbehandlung mit unter anderem Fieber- und Schmerzmitteln wie Paracetamol, Ibuprofen oder Aspirin. Die anderen 73 Patienten inhalierten zweimal täglich den Wirkstoff Budesonid. Innerhalb der Gruppe, welche die Standardbehandlung erhalten hatte, mussten zehn Erkrankte aufgrund schlimmer werdender Beschwerden eine Notaufnahme aufsuchen oder stationär aufgenommen werden. Aus der Gruppe, die Budesonid inhalierte, war es nur eine Person.

Frage: Wie bewerten österreichische Experten die Studie?

Antwort: Der Pharmakologe Michael Freissmuth von der Med-Uni Wien bewertet die Studie trotz des relativ kleinen Samples als gut gemacht. Für Christoph Wenisch, Vorstand der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin in der Wiener Klinik Favoriten, sind die neuen Ergebnisse "äußerst positiv" und könnten "ein Durchbruch" sein. Er ist dafür, den Asthmaspray nach Infektionen großflächig einzusetzen. Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler-Universitätsklinikum in Linz, ist angesichts der geringen Probandenzahl der Studie etwas vorsichtiger. So sei die Viruskonzentration durch die Gabe von Budesonid im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht wesentlich gesunken.

Frage: Was ist Budesonid?

Antwort: Budesonid ist ein synthetisches Glukokortikoid und mit dem körpereigenen Stresshormon Cortisol (umgangssprachlich auch Kortison genannt) verwandt. Es wirkt antiallergisch, antientzündlich und hemmt das Immunsystem.

Frage: Wie wird der Wirkstoff bisher eingesetzt?

Antwort: Budesonid wird bereits zur lokalen Behandlung von Asthma, bei chronischen Entzündungen der Atemwege und entzündlichen Darmerkrankungen angewendet. In der Studie der Universität Oxford wurden Covid-19-Patienten und -Patientinnen mit dem Medikament Pulmicort, einem Inhalator-Spray von Astra Zeneca, behandelt. Der Pharmakonzern hat die Studie gemeinsam mit dem britischen National Institute for Health and Research (NIHR) finanziert.

Frage: Wie wirkt Budesonid?

Antwort: Im späteren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung sei nicht das Virus an sich gefährlich, sondern überschießende Entzündungsreaktionen, sagt Pharmakologe Freissmuth. Dabei werden Prostaglandine oder Zytokine ausgeschüttet. Im Gegensatz zu entzündungshemmenden Schmerztabletten wie etwa Ibuprofen hemmen Glukokortikoide nicht nur einzelne, sondern alle Entzündungserscheinungen. Auch beim Wirkstoff Dexamethason, der ebenfalls zur Gruppe der Glukokortikoide zählt, konnten laut Freissmuth deshalb positive Effekte bei schweren Covid-19-Verläufen beobachtet werden. Das deutsche Robert-Koch-Institut empfiehlt die Arznei bei einer Krankheitsdauer ab sieben Tagen.

Frage: Welche Nebenwirkungen können auftreten?

Antwort: "Aus der Asthmatherapie kennen wir praktisch keine Nebenwirkungen", sagt Pharmakologe Freissmuth. Und das macht es besonders attraktiv, Budesonid großflächig einzusetzen, ein wenig nach dem Motto "Hilft es nichts, so schadet es nichts", wie Bernd Lamprecht ergänzt. Der Asthmaspray wirkt lokal und wird im Kreislauf rasch verdünnt. Die einzige bekannte Nebenwirkung: Wer den Mund nach Verwendung des Sprays nicht gründlich auswäscht, kann eine Pilzinfektion im Mund oder in der Stimmritze bekommen. Wird Flüssigkeit verschluckt, können Sodbrennen oder Soor im Magen auftreten. In der Oxford-Studie klagten vier Patienten über einen trockenen Hals, ein Patient über Schwindel.

Frage: Wie kamen die Forscherinnen und Forscher auf die Idee, dass Budesonid helfen könnte?

Antwort: Analysen aus China, Italien und den USA zeigten, dass Patienten mit Asthma oder der Lungenkrankheit COPD unter hospitalisierten Covid-Erkrankten unterrepräsentiert sind. Das kann freilich auch daran liegen, dass diese Personen besonders vorsichtig sind, wie Bernd Lamprecht zu bedenken gibt. In-vitro-Studien hätten aber auch gezeigt, dass inhalierte Glukokortikoide die Vermehrung von Sars-CoV-2 in Atemwegsepithelzellen reduzieren, wie das Forscherteam in "The Lancet" schreibt.

Frage: Werden Asthmasprays bereits zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt?

Antwort: Ärztinnen und Ärzte des hausärztlichen Notdiensts in Oberösterreich haben bei der Behandlung von Covid-19-Patienten bereits Pulmicort im Off-Label-Use eingesetzt, sagt Leiter Gerald Gollmann. Christoph Wenisch bestätigt die bereits erfolgte Verschreibung von Budesonid gegen Covid-19 durch Hausärzte in Österreich. Er wird sich bei der nächsten Sitzung des Wissenschaftsbeirats im Wiener Krankenanstaltenverbund für einen verstärkten Einsatz des Asthmasprays einsetzen. Auch die Österreichische Ärztekammer forderte am Montag das Gesundheitsministerium auf, den Einsatz des Wirkstoffs im Fall von Covid-19 zu unterstützen.

Frage: Warum hat die Erforschung eines bereits bekannten Wirkstoffs so lange gebraucht?

Antwort: Laut dem Pharmakologen Michael Freissmuth hätte der Wirkstoff den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung auch verschlimmern können. Genau das war beim Einsatz von Cortison-Präparaten bei Sars beobachtet worden. So wäre es theoretisch möglich, dass Budesonid die Entzündung zu sehr unterdrückt und sich das Virus in der Folge verstärkt vermehren kann. Um eine neue Behandlung an Patienten zu testen, braucht es Hinweise darauf, dass sie sicher und wirksam sein könnte. Die Analysen zur Hospitalisierungsrate von Asthma-Patienten hätten diese schließlich geliefert.

Frage: Welche Daten fehlen noch?

Antwort: In der Studie gab es keine Placebogruppe, was die Aussagekraft der Untersuchung einschränkt. Vor allem aber war die Studie mit insgesamt 146 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sehr klein. Derart kleine Studien sind sonst eher nur "hypothesengenerierend", wie Wenisch sagt. Die Ergebnisse müssen also noch in einer größeren Analyse überprüft und bestätigt werden. Angesichts des Infektionsgeschehens raten die Mediziner aber schon jetzt zu einem Einsatz, da es kaum Nebenwirkungen gibt. (Eja Kapeller, Klaus Taschwer, 12.4.2021)