Das jüngste der bis jetzt vier Magazine aus dem Hause "Dossier": "Red Bull – Ungesüßte Geschichten".

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Wien – Österreichs – gutdotierte – Journalismuspreise hat "Dossier" schon längst alle abgegrast, kürzlich ist mit der Einstellung von Peter Kliens "Gute Nacht Österreich" im ORF auch noch eine wichtige Einnahmequelle weggebrochen: Die Rechercheplattform kämpft ums Überleben. Sollte es das Medium nicht schaffen, bis Ende April 1.000 neue Mitglieder zu generieren, drohen massive Einschnitte, die im schlimmsten Fall das Aus bedeuten könnten, informiert die Redaktion. Derzeit hält das Medium bei 2.000 Mitgliedern, die jährlich 52 Euro oder mehr zahlen und dafür zwei Magazine sowie Zugang zu Veranstaltungen erhalten.

"Die Einstellung von 'Gute Nacht Österreich' hat ein Loch in die Bücher gerissen", erklärt "Dossier"-Gründer und -Chefredakteur Florian Skrabal dem STANDARD. Das Ziel sei nun, unabhängiger von dieser Art der Querfinanzierung über Auftragsarbeit zu werden und die Plattform "allein und aus eigenem Antrieb durch die Leserinnen und Leser zu finanzieren". Gelingt das bis Ende April mit 1.000 zusätzlichen Mitgliedern, sei die Existenz längerfristig gesichert. Zudem soll die Erscheinungsweise des Magazins ab 2022 von zweimal jährlich auf vier Ausgaben pro Jahr erhöht werden.

DOSSIER

Weiter keine Werbung

Was passiert, wenn die Rettungskampagne scheitert? "Der Worst Case ist, dass 'Dossier' zusperren könnte", sagt Skrabal. Andere Finanzierungsformen als über das Mitgliedermodell – etwa über Werbung – kommen für ihn nicht infrage: "Werbung bleibt für uns ein rotes Tuch und ist nach wie vor nicht vorgesehen." "Dossier" macht laut Skrabal derzeit einen Umsatz von rund 300.000 Euro im Jahr. Das Ziel sind 500.000 Euro, um auf wirtschaftlich soliden Beinen zu stehen. Investitionen ins Marketing und den Vertrieb sollen folgen und mit einer Erhöhung der Auflage einhergehen. Das letzte Magazin über Red Bull wurde 8.000-mal gedruckt. Es kostet 24 Euro.

Für Peter Kliens Late-Night-Show "Gute Nacht Österreich" lieferte "Dossier" seit dem Start im September 2019 den investigativen Teil, das Erklärstück – wie bereits zuvor jahrelang für die Puls-4-Sendung "Bist du deppert", wo es um absurde Fälle von Steuerverschwendung ging. "Gute Nacht Österreich" wurde Ende Jänner 2021 abgesetzt und soll im Herbst mit einem neuen Konzept auf Sendung gehen, dann voraussichtlich ohne die Recherchen von "Dossier", die nicht immer und überall auf Gegenliebe gestoßen sind. Vor allem nicht, wenn sie politisch waren oder die Kreise von ORF-Kooperationspartnern tangierten. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz sprach beispielsweise intern von "pseudoinvestigativ" – DER STANDARD berichtete.

"Lachnummer" Digitalmedienförderung

"Das grundsätzliche Problem bei solchen Auftragsarbeiten für andere ist die Abhängigkeit", erklärt Skrabal, "und das Risiko, dass die Sendung eingestellt oder nicht verlängert wird." Dieses Risiko wolle man minimieren, indem die eigene journalistische Arbeit wirtschaftlich primär über die Leserschiene getragen werde. "Dossier" sieht derzeit bei der Presseförderung genauso durch die Finger wie voraussichtlich bei der geplanten Digitalmedienförderung. Skrabal hält sie für einen "Etikettenschwindel" und eine "Lachnummer": "Sie richtetet sich ja nicht an digitale Medien, sondern soll traditionellen Medien bei der Transformation in die digitale Welt helfen." Jungen Onlinemedien oder Online-first-Medien bringe sie nichts, kritisiert er.

Medienförderung

"Dossier" ist bei der Gründung im Jahr 2012 mit dem Credo angetreten, neben Werbung auch auf staatliche Förderungsmodelle zu verzichten, um die Unabhängigkeit der Arbeit nicht zu gefährden. Sollte es aber gut nachvollziehbare, transparente Kriterien für Förderungen geben, würde man nicht Nein sagen, so Skrabal. Das sei beispielsweise bei der Wiener Medieninitiative der Fall gewesen. Sie orientiere sich an Qualitätskriterien und wird von einer Expertenjury vergeben. Für das Projekt "Weiterentwicklung des 'Dossier'-Magazins" erhielt die Plattform 100.000 Euro. Diese Förderung basiere nicht auf dem Gießkannenprinzip oder der Bevorzugung genehmer Medien: "Sollte es so etwas wie die Wiener Medieninitiative in Form der Presseförderung auch vom Bund geben, würden wir uns darum bemühen."

"Dossier" wurde vor neun Jahren als unabhängige Rechercheplattform gegründet, die sich einerseits über den Magazinverkauf, Mitglieder sowie die Weiterbildungsschiene "Dossier Academy" finanziert, andererseits über Recherchearbeiten für andere Medien. Das Team besteht aus sechs angestellten Mitarbeitern und einem Pool an Freien, die Geschichten für die Magazine – wie zuletzt über Red Bull – schreiben. In den Heften davor ging es um die Macht der Supermärkte, Korruption in Österreich und die "Kronen Zeitung".

Ein Jahr "Addendum" wären 20 Jahre "Dossier"

"Dossier" gehöre weder einem Investor noch einer Bank, sondern den Angestellten. "Wir hatten seit der Gründung nie eine Anschubfinanzierung", sagt Skrabal und verweist auf ein anderes Beispiel in der Medienlandschaft: Das vor wenigen Monaten eingestellte "Addendum", das Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz über eine Stiftung finanziert hatte. "Was 'Addendum' in einem Jahr bekommen hat, würde 'Dossier' auf 20 Jahre ausfinanzieren", so Skrabal.

Laut "Dossier"-Recherchen, die sich im jüngsten Magazin "Red Bull – Ungesüßte Geschichten" wiederfinden, habe Mateschitz rund zehn Millionen Euro pro Jahr in "Addendum" gepumpt – nach drei Jahren hat er allerdings die Lust daran verloren. "Man muss sich verdeutlichen, mit wie wenigen Mitteln wir den Anspruch haben, Qualitätsjournalismus zu machen." Mit 3.000 Mitgliedern als Basis wäre das gewährleistet, sagt Skrabal. Er berichtet auch von "unmoralischen Angeboten" von unterschiedlichen Personen aus Politik und Wirtschaft, ohne diese konkretisieren zu wollen, die "Dossier" im Lauf der vergangenen neun Jahre erhalten und abgelehnt habe.

Breite Basis

Möchte man qualitativ hochwertigen Journalismus machen, koste das mehr, "und gleichzeitig kann man nicht Geld von allen und jedem nehmen, weil man sich die Glaubwürdigkeit ruiniert", so Skrabal: "Wir möchten am liebsten einen Euro von einer Million Menschen und nicht eine Million Euro von einem Menschen."

Geht die Rettungskampagne auf, möchte "Dossier" auch ins Marketing investieren, um die Bekanntheit zu erhöhen: "Bis jetzt hatten wir kein Budget dafür. Es gibt sicher Leute, die 'Dossier' unterstützen würden, aber bis jetzt noch nie etwas von uns gehört haben, weil wir sie nicht erreicht haben." Über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona möchte Skrabal nicht raunzen, weil es andere Unternehmen noch viel schlimmer erwischt habe, aber: "Mit der Red-Bull-Nummer wollten wir Veranstaltungen organisieren und in Kaffeehäusern präsent sein. Das kannst du jetzt alles nicht machen."

Theaterstück parallel zum Magazin

Ein anderes Beispiel für die "schwierige Großwetterlage" in Corona-Zeiten ist die Kooperation mit dem Volkstheater, wo im Zuge des neuen Heftes ein Stück über Red Bull aufgeführt werden sollte. In abgespeckter Form wurde es zwar dann online umgesetzt, aber: "Wir wollten bei den Aufführungen gleich die Hefte verkaufen. Das war nicht möglich."

Mut macht Skrabal, dass seit der Publikation des neuen Magazins 600 neue Mitglieder gewonnen werden konnten: "Wir haben von 1.400 Mitgliedern Anfang des Jahres einen großen Sprung nach vorne auf jetzt 2.000 gemacht. Wir merken: Es ist was da, aber noch nicht genug, um über die nächsten Monate zu kommen." Das nächste reguläre "Dossier"-Magazin ist für Herbst 2021 geplant, im Juni soll noch eine Sondernummer erscheinen. (Oliver Mark, 13.4.2021)