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Nicht nur bei den Glasgow Rangers kam es vermehrt zu rassistischen Beleidigungen in den sozialen Netzwerken.

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Spieler und Betreuer des schottischen Fußballmeisters Glasgow Rangers sind mit ihrer Geduld am Ende. Hasspostings auf sozialen Netzwerken haben in den letzten Wochen ein neues Ausmaß angenommen: Spieler wurden rassistisch beschimpft, bedroht und ausgerichtet, vereinzelt sogar deren Kindern. Den Rangers reicht es: Sie wollen, dass Social-Media-Plattformen "klare und direkte Konsequenzen ziehen", wie Managing Director Stewart Robertson sagt.

Er fordert eine Änderung der Spielregeln im Netz: ein Identitätsnachweis aller Nutzerinnen und Nutzer, um sie für ihre Worte und Taten zur Rechenschaft ziehen zu können. "Wir hoffen, die Firmen erkennen den Mehrwert von verifizierten Accounts." Sollten Plattformen wie Facebook auf diesen Schritt verzichten, solle die Regierung einschreiten und eine entsprechende Gesetzeslage schaffen.

Um dem Aufruf Gewicht zu verleihen, boykottieren sowohl die Spieler als auch die Führungsebene der Rangers aktuell noch bis Donnerstagabend ihre privaten Profile in sozialen Medien. Der Verein plant Treffen mit Vertretern von Facebook und Twitter. Man wolle "den Druck auf Social-Media-Plattformen erhöhen, bis sie proaktiv im Interesse der Gesellschaft handeln", sagt Robertson.

Boykott

"Solch ein Aufschrei hilft", erklärt Matthias Jax. Der Experte für soziale Medien leitet das EU-Projekt saferinternet.at, das Menschen einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien vermitteln will. Durch Aktionen wie die der Rangers werde Aufmerksamkeit für die Problematik von Hass und Rassismus im Netz geschaffen. Je öfter und regelmäßiger protestiert wird, umso nachhaltiger sei der Effekt.

Die Rangers sind nicht allein. Auch die Zweitligisten Swansea AFC und Birmingham City FC setzen ein Zeichen gegen Diskriminierung und Beschimpfungen auf Social Media. Im Gegensatz zu den Glasgow Rangers gehen sie aber einen Schritt weiter: Nicht nur auf privaten Spieler-, sondern auch auf den offiziellen Klub-Accounts werden sieben Tage lang keine Postings abgesetzt.

"Dadurch geraten die Plattformen unter Zugzwang", sagt Jax. Denn die Akteure erreichen mit ihren Millionen Followern eine spezifische Zielgruppe, in die andere Aufmerksamkeitskampagnen nicht vordringen. Es bringe eine große Gruppe an Menschen zum Nachdenken.

Wenden sich Fußballklubs von den sozialen Medien ab, pausieren sie zudem ihre Ausgaben für den Vertrieb von Fanartikeln. Dadurch verlieren die Plattformen Umsätze. Facebook und Co stellen sogenannte Account-Manager ein, die sich um ein Portfolio an Klienten kümmern sollen, um deren Werbebudgets auf der Plattform zu maximieren. Unabhängig davon, wie groß die Plattformen sind – einen Boykott von Fußballklubs bekommen sie zu spüren.

Psychischer Schaden

Hasspostings nehmen stets zu. Seit über einem Jahr sind in Stadien mit wenigen Ausnahmen keine Zuschauer zugelassen. Als Folge des Lockdowns verlegt sich der Alltag immer mehr in die digitale Welt. "Wir befinden uns in einer hochemotionalen Zeit. Die Leute suchen nach einem Ventil und denken nicht darüber nach, dass es online genauso Regeln gibt wie offline", sagt Jax.

Mikel Arteta, Trainer des 13-fachen englischen Meisters Arsenal, forderte soziale Netzwerke schon im Februar dazu auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Familie des Spaniers erhielt Gewaltdrohungen. Arteta betonte, dass die mentale Gesundheit durch solche Hassnachrichten "großen Schaden" nehme. Arsenal-Legende Thierry Henry kündigte an, seine Accounts stillzulegen, bis Rassismus und Cyber-Bullying ernst genommen werden.

Dem ehemaligen englischen Nationaltrainer Sam Allardyce gehen die aktuellen Boykottaufrufe nicht weit genug. Er fordert ein Zeichen des gesamten britischen Profifußballs. "Eine vereinte Front mit allen 92 Profivereinen wäre für mich der einzige Weg, der einen Unterschied ausmachen könnte", sagte Allardyce. Doch finanzielle Interessen würden gegenüber solch einem Vorhaben schwerer wiegen. Soziale Medien sind ein fester Bestandteil der Businesspläne von Fußballklubs.

Online-Zivilcourage

Fakt ist, dass Algorithmen der sozialen Netzwerke kontroverse Postings nur befeuern. Zugespitzte Inhalte bekommen mehr Interaktionen, dadurch verbreiten sich auch rassistische Inhalte rasant. Das sei nicht nur im Sport ein Problem, sagt Jax. Er rät, auf beleidigende Kommentare sachlich zu reagieren. Man solle darauf hinweisen, wie verletzend ein Posting für andere ist. Damit erreiche man auch "stille Mitlesende", die nicht posten. Jax nennt es Online-Zivilcourage zeigen. "Das ist schwer und frustrierend, aber hilfreich. Die Leute, die die Reaktion lesen, sind vielleicht später auch dazu bereit, digital aufzustehen."

Laut Angaben von Facebook wurden im vierten Quartal 2020 rund 33 Millionen Hasspostings gelöscht. Das sind mehr als im gesamten Jahr 2019 zusammen. Zudem wurde mehr Personal für die entsprechende Bekämpfung von missbräuchlichen Inhalten eingestellt. Den Rangers geht das nicht weit genug. Jeder schwarze Spieler der Rangers musste rassistische Anfeindungen erfahren, sagt Kapitän James Tavenier. Sein Trainer Steven Gerrard sagt: "Es wurde lang genug darüber gesprochen, und es wirkt nicht so, als ob die Plattformen Rücksicht darauf nehmen. Sie hören nicht zu." Er und die Spieler sind mit ihrer Geduld am Ende. (Lukas Zahrer, 13.4.2021)