Ob ich neidig bin? Na, aber so was von! Und dafür muss man mir nicht einmal etwas von Trainingscamps am Meer erzählen. Oder zeigen. Alltag anderswo reicht vollkommen: Fotos von Menschen, die in Bregenz am Ufer des Bodensees im Strandcafé sitzen etwa … So was tut weh. Richtig weh. Ich will mein Leben zurück! Ja, eh so wie alle.

Foto: Brigitte Rinderer

Richtig schlimm wird es aber, wenn mir wer Bilder aus Kroatien schickt. Markus Steinacher etwa. Der ist einer meiner engsten Vereins-Trainingsbuddies und war gerade in Zadar. Dienstlich – und das tatsächlich ganz ohne Schummeln: Markus war als Kameramann mit Elisabeth Niedereders "Tristyle"-Gang auf Trainingscamp. Im Iadera, einem Luxushotel, das ich sehr gut kenne (ich habe einst für die Betreiber gearbeitet). Und natürlich haben Markus (mit Kappe) und Lissy Bilder geschickt. Viele Bilder. Vom Hotel – aber auch vom Sport: Freiwasserschwimmen. Radfahren. Laufen. Am Meer. In der Sonne. Aber vor allem: mit Menschen.

So, als wäre alles wie immer. Ob ich also neidig bin? Nein, natürlich nicht: Ich habe Markus, Lissy & Co die Freundschaft aufgekündigt.

Foto: Tristyle / Niklas Stadler

Nicht nur den beiden: Auch Barbara Tesar ist hiermit von der Liste meiner Freundinnen und Freunde gestrichen. Die Veranstalterin von Istria Bike beteuert zwar, dass sie voll und ganz versteht, was in mir vorgeht, wenn ich Fotos von ihren Trainingscamps sehe, aber das hilft mir nicht: Tesar sitzt am Meer – ich in Wien. Sie radelt, läuft und schwimmt in einem Umfeld, das sich (beinahe) nach Normalität anfühlt, während ich mich in einem Hamsterrad aus Gurgeln, Zoom-Konferenzen und Panikattacken von Menschen, denen man helfen will, den Kinderwagen in der aufzuglosen U-Bahn-Station hochzutragen, bewege.

Foto: istriabike.com

Obwohl ich weiß, dass ich da ohnehin noch aus einer superprivilegierten Position heraus jammere: Ich drängle mich nicht mit Kind und Kegel in einer kleinen, balkon- oder terrassenlosen Wohnung. Ich bin (angeblich) alt genug, um die Teil-Eremitage halbwegs wegzustecken. Ich habe (meistens) genug zu tun, um nicht in den Bore-out zu schlittern.

Und auch wenn es mir ab und zu fast den Vogel rausschießt, wenn ich sehe, wie Jugendliche, die wohl kaum in 10er-WGs leben, auf so ziemlich alles pfeifen, was derzeit in Ostösterreich vorgeschrieben ist: Ich verstehe es. Die Kids drehen durch. Sind auf Anschlag.

Wenn dann wer meint, dass die doch das gleiche Ventil nutzen könnten wie ich, tippe ich mir an die Stirn: Haben Sie schon mal versucht, eine ganz normale 15-Jährige zu Schwimmen-Radfahren-Laufen-plus-ein-bissi-Yoga zu motivieren? Nicht ein Mal – ein ganzes Jahr lang. Eben.

Thomas Rottenberg

Aber für Sie und mich, die angeblich "Erwachsenen", gilt: Neid ist okay und verständlich – aber mit einem bissi Kreativität und Mut sollte es gelingen, zumindest Ansätze von Normalität ins Leben oder auch ins Training zurückzubringen. Und, das vor allem, einem qua Homeoffice und Vereinzelung oft schwammig-formlosen Alltag Stringenz zu geben. Keine Ahnung, wie Sie ticken, aber mich rettet derzeit unter anderem die Struktur. Der Plan.

Etwa indem ich versuche, wieder halbwegs regelmäßig schwimmen zu gehen: Natürlich ist das Wasser noch a....kalt. Neun Grad hatte die Neue, zehn die Alte Donau laut Homepage der Stadt Wien, als ich mich heuer das erste Mal in die Fluten warf.

Thomas Rottenberg

Nicht, um irgendwem zu zeigen, was für ein "harter Hund" ich bin. Im Gegenteil: Ich habe "meinen" Thermo-Testneo von der Dezember-Kaltwassergeschichte zum Glück noch nicht zurückgeschickt. Damit hält auch einer wie ich es ein paar Minuten aus.

Allerdings lasse ich ganz bewusst Handschuhe und Füßlinge weg. Auch wenn ich so gerade einmal 500 Meter schaffe, bevor Zehen, Finger und Nase richtig kalt werden: Es geht darum, das Wasser wieder zu fühlen. Es zu spüren. So zu tun, als gäbe es so etwas wie "Normalität".

Thomas Rottenberg

Das Gleiche gilt natürlich auch fürs Radfahren. Draußen. Die Simulation von Gruppe, die zehntausend anderen Biker auf den Routen von Watopia, sind irgendwann einfach kein Ersatz mehr für das, was (Gegen-)Wind, Hügel, Sonne und der Sound der Reifen auf unterschiedlichen Asphaltsorten bedeutet und bewirkt: Natürlich würde ich verdammt gerne in der Gruppe, im "Packel", fahren. Ich verstehe auch alle, die sich nicht (mehr) an die Vorgaben halten. Oder halten können.

Auch weil sie irgendwann an der Sinnfrage scheitern: Die "beaten tracks" sind zu Hauptverkehrszeiten dermaßen bevölkert, dass es ziemlich wurscht ist, ob man bewusst alleine losfährt und in einem Rudel Unbekannter landet – oder sich doch gleich mit Freunden an der "gelben Brücke" trifft.

Thomas Rottenberg

Nur: Was wäre Plan B? Radfahren verbieten? Triathlon-Wettkampf-Abstände auf dem Donauradweg verordnen? Das funktioniert in großen Bewerben meist nicht einmal, wenn die Rennrichter unmittelbar neben den AthletInnen auf dem Motorrad fahren: Ab und zu wird zwar wer in die Penaltybox geschickt – aber das ist eher ein Alibi-Rüffel. (Der die, die es oft willkürlich trifft, umso grantiger macht): Nähme man das Reglement ernst, müsste man oft das halbe Feld aufhalten.

Das tut natürlich niemand. Aber wirklich drüber geredet wird auch nicht.

Erkennen Sie die Parallele?

Thomas Rottenberg

Dennoch bin ich derzeit über meine Tri- und Marathon-Sozialisation oft alles andere als unglücklich: Ich bin die langen, einsamen Solo-Einheiten gewohnt. Egal ob (zwiftlos) auf der Rolle, auf dem Rad im Wienerwald oder auf langen Dauerläufen. Ich habe dadurch gelernt, Einsamkeit anzunehmen, Alleinsein zu lieben.

Das gilt auch für das Schwimmen: "Kacheln zählen" ist langweilig – bis man das Meditative darin erkennt. Die Ruhe der Gleichförmigkeit spürt und lernt, dass man Gelassenheit nicht auf Knopfdruck, proaktiv, abrufen kann: Man muss von ihr gefunden werden.

Auch wenn das esoterisch klingt: Genau das hilft mir gerade. Nicht immer, aber eben oft. Auch wenn es da einen Unterschied gibt: Verordnete Vereinzelung ist nicht das gleiche wie freiwillige.

Thomas Rottenberg

Aber ganz abgesehen davon: Versuchen Sie dieses Konzept einmal einem oder einer Jugendlichen schmackhaft zu machen. Jemandem, mit dem Gefühl, jetzt schon ein zweites Jahr lang um sein oder ihr Leben betrogen zu werden.

Kommen Sie ihr oder ihm ruhig mit obigem Eso-Schmonzes – der Effekt wird ziemlich ähnlich sein wie die Einladung zum Dauerlauf als Ersatz für Ausgehen, Party und Rumknutschen: Sie könnten genauso gut mit der Wand reden.

Nachvollziehbar. Vor allem, wenn sonnenklar ist, dass sich ringsum auch sonst keiner mehr an irgendwas hält.

Thomas Rottenberg

Längst nicht nur bei den Kids: Wer vergangenen Sonntag auf der Prater-Hauptallee nicht absichtlich wegschaute, konnte den Versorgungstisch, den ein Sportverein da am Streckenrand aufgestellt hatte, ebenso wenig übersehen wie größere, homogene Gruppen von RadfahrerInnen oder LäuferInnen in jeweiligen Teamdressen.

Ich verstehe das. Sowohl was Motivation und Logik (es blieb nie mehr als einer oder eine beim Tisch stehen) als auch was die Verzweiflung angeht, die Menschen dazu treibt, eindeutige Regeln, superhöflich formuliert, zu "umgehen".

Ringsum bei den Würstelständen pfeift sich ja auch längst keiner mehr was, Sport im Freien ist nachweislich weniger infektiös als Trankeln unterm Budeldach – und wenn sogar die Cops beim Vorbeifahren lieber ins Handy als auf die Rudel achten …

Thomas Rottenberg

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kann das mehr als sehr gut verstehen. Auch nachvollziehen. Ich klage oder prangere niemanden an. Ich bin manchmal eher fast neidig oder habe das Gefühl, im "falschen" Verein zu sein: Wir halten uns an die Regeln. Noch. Obwohl wir längst weder uns selbst noch einander, geschweige denn dem Rest der Welt plausibel erklären können, wieso: Klar, es steht in den Verordnungen. Sinn, Hintergrund und Absicht – auch klar.

Aber das ist auch die Motivation, in weiten Teilen des städtischen Straßennetzes Tempo 30 zu verordnen: Jeder weiß, dass sich so gut wie niemand dran hält und dass der Regelbruch nicht bloß so gut wie nie und nirgendwo Konsequenzen hat, sondern geradezu vorausgesetzt wird: Fahren Sie mal konstant 30 km/h, wo es gilt – sogar die Polizei wird hinter Ihnen die Lichthupe anwerfen. Und jetzt übersetzen Sie das "auf Corona". Mit oder ohne Sport.

Beinahe rührend ist es, dann auf Menschen zu treffen, die sich darüber tatsächlich noch echte Gedanken machen: Auf meinem Sonntagslongrun flüchtete ich vor den Massen von Hauptallee und Insel ans rechte Donauufer. Bog dann Richtung Nordbahnhof ab – und erkundete nach gefühlten Ewigkeiten hinter den Stadterweiterungsbauten wieder einmal die letzten, hier immer noch versteckten allerletzten Brachflächen der einstigen Riesengstettn.

Thomas Rottenberg

Im hintersten Winkel, zwischen alten Gleisen und Industrieruinen, traf ich dann Annika, Laura, Ben und Julian. Die jungen Frauen tanzten, die Jungs filmten. Richtig gut, richtig cool

Ich nahm die Kamera raus – und fragte natürlich vorher. Das "Ja" kam mit einem "Aber": "Ist das nicht eigentlich illegal? Wir haben doch Lockdown. Ausgangssperre und so …"

Ich war leicht perplex, aber dann einigten wir uns auf zwei der fünf Ausnahmen: "Das hier ist Arbeit. Außerdem ist Bewegung im Freien erlaubt, weil sie wichtig ist – weil sonst irgendwann alle durchdrehen: Ob man tanzt oder läuft, spielt da hoffentlich keine Rolle."

Thomas Rottenberg

Beim Weiterlaufen war ich mir dann aber nimmer ganz so sicher: Mit einem bisschen bösen Wollen ließe sich schon ein Verordnungsstrick finden, den man den vier um den Hals legen könnte.

Allein der Umstand, dass ihnen nicht wurscht war, ob das, was sie taten regelkonform war oder nicht, machte sie "anfällig" für Vernaderer.

Aber darum geht es nicht: Die vier haben alles richtig gemacht. Weil sie das für sie passende Ventil gesucht und gefunden haben: Tanzen und filmen – in der hintersten, allerletzten Gstettn der Stadt.

Thomas Rottenberg

Dass das geht, ist wichtig. Weil es zeigt, dass es immer Orte, Wege und Möglichkeiten gibt, dem Durchdrehen entgegenzutreten.

Und auch wenn das an Traum- und Sehnsuchtsorten, an Stränden oder in Strandcafés gerade nicht geht: Vielleicht funktioniert es ja doch im Hinterhof. Auf der Gstettn.

Markus, Lissi, Barbara & Co um ihre Strandläufe und -touren, die Xi-berger um ihre Strandcafés zu beneiden, ist dazu kein Widerspruch. Das ist legitim.

Umso schöner wird es sein, all das wieder selbst zu erleben. Irgendwann. Hoffentlich. Bestimmt.

(Tom Rottenberg, 13.4.2021)

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