Ein Relief in einem Museum in Damaskus. Syriens Kulturstätten wurden im Krieg von der Terrorgruppe "Islamischer Staat" schwer beschädigt.

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"Wir wollen ein anderes Verhältnis zum globalen Süden, eine neue Form des Miteinanders und gemeinsam entscheiden: welche Dinge gehören zurück, welche können in europäischen Museen bleiben, wie kommen wir in einen für alle sinnvollen Austausch": Hermann Parzinger.

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Als einer der drei Gründungsintendanten des ethnologischen Berliner Humbold-Forums und als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz steht er im Fokus der Debatte um die Rückgabe von Kulturgütern aus Kolonialkontext. Als Archäologe legt Hermann Parzinger jetzt das Buch Verdammt und vernichtet – Kulturzerstörung vom Alten Orient bis in die Gegenwart (C. H. Beck) vor. Das Thema Ikonoklasmus, also bewusst herbeigeführter Bildersturm, spielt in die Debatte um Rückgaben mit hinein.

STANDARD: Welche Triebkräfte stecken hinter Ikonoklasmus?

Parzinger: Ganz unterschiedliche. Es gibt politische, ökonomische, religiöse Gründe, die sich auch vermischen. Es gibt daneben aber immer auch den Aspekt der Umverteilung von Vermögen. Ob das jetzt die spätantiken Tempelschätze waren oder in der Zeit der Reformation, als man religiöse Kunst aus katholischen Kirchen verkauft hat. Auch die Nazis und der IS haben neben aller Ideologie letztlich ein Geschäft im Verkauf von Kunst gesehen.

STANDARD: Die Autorin Cathrin Nixey hat in ihrem Bestseller "Heiliger Zorn – Wie die frühen Christen die Antike zerstörten" das Urchristentum mit dem IS verglichen: blindwütig marodierend, aber auch gezielt gegen religiöse Konkurrenzsysteme vorgehend. Ist der Vergleich berechtigt?

Parzinger: Den Vergleich würde ich nicht ziehen. Denn es gibt eine sehr lange Koexistenz der antiken Christen und Heiden. Die Ziele der Christen waren auch eher ökonomisch als religiös motiviert: Bei der Zerstörung des Serapeums in Alexandria durch Christen wissen wir, dass der christliche Bischof Theophilos vor allem nach dem Tempelschatz trachtete. Man sieht generell, dass Mächtige in allen Zeiten versuchten, diese Vorgänge für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Blindwütig zerstören wollte man selten. Selbst in der Französischen Revolution, wo man zunächst schon ganz bewusst die Symbole des Ancièn Regime beseitigen wollte, dachte man bald um: Der Begriff "Vandalismus" taucht zum ersten Mal auf und man beginnt, die Dinge als nationalisiertes Volkseigentum zu schützen.

STANDARD: Ikonoklasmus findet auch heute in den westlichen Staaten statt. Statuen von antisemitischen oder rassistischen historischen Persönlichkeiten werden laufend in Frage gestellt oder gestürzt. Ist es legitim, sich dieser zementierten, aus heutiger Sicht oft verwerflichen Heroisierungen zu entledigen?

Parzinger: Ja, das finde ich schon. Es ist aber nicht der richtige Weg, dass eine Gruppe sich selbst das Recht erteilt, bestimmte Denkmäler zu zerstören. Natürlich hat man eine gewisse Sympathie dafür, wenn die Statue eines Sklavenhändlers ins Hafenbecken gestürzt wird, aber dieses Recht könnten sich auch andere politische Gruppen herausnehmen. Es sollte in solchen Fällen immer eine zivilisierte Debatte geben und in jeder Demokratie gibt es Verfahren, wie man Denkmäler auch ohne Gewalt beseitigen kann.

STANDARD: Sie warnen im Buch vor der Gefahr der neuen Kriege, Bürgerkriege, die oft entlang ethnischer Konflikte geführt werden. Warum sind gerade diese für Kulturgut so gefährlich?

Parzinger: Das beginnt schon in den 1970er-Jahren bei den Roten Khmer in Kambodscha, die einen Krieg gegen das eigene Volk führten. Man hatte das auch bei den ethnischen Konflikten im ehemaligen Jugoslawien, wo ganz bewusst die Zerstörung von kulturellem Erbe mit ethnischen Säuberungen einherging. Letztlich sind wir wieder beim IS, der ganze Volksgruppen und deren Kultur auslöschen möchte. Das zeigt die Bedeutung von kulturellem Erbe als Identifikationskern.

STANDARD: Die Gefahr von Ikonoklasmus in Staaten mit gefährdeter Sicherheitslage gilt vielen als Hauptargument, um von Restitution kolonialen Raubguts abzusehen. Ist Ihr Buch diesbezüglich als Warnung zu sehen?

Parzinger: Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, dass man das heute nicht mehr sagen kann. Das ist eine Argumentation aus früheren Jahrzehnten, wo man gemeint hat, man könne nach Afrika und andere Länder nichts zurückgeben, weil es dort keine vernünftigen Museen gibt, weil die Objekte zerstört, gestohlen oder weiterverkauft würden. Das stimmt so nicht. Und das heute zu behaupten wäre fortlebender struktureller Rassismus. Aber natürlich würde man jetzt nicht an ein Bürgerkriegsland Kulturgüter restituieren. Man würde eben warten, bis die Situation wieder stabil ist.

STANDARD: Sie stehen in Deutschland mitunter im Mittelpunkt der Debatte um Rückgaben der durch einen britischen Kolonialkrieg erbeuteten und in die ganze Welt verkauften Benin-Bronzen. Über die Plünderungen schreiben Sie in Ihrem Buch, von Rückgaben liest man aber nichts. Warum?

Parzinger: Ja, weil das Thema meines Buches die Kulturzerstörung war und nicht die etwaige Wiedergutmachung. Aus dem Kolonialbereich habe ich Beispiele von drei Kontinenten angeführt: die Conquista in Südamerika, die ein wirklicher kultureller und teilweise auch physischer Genozid war; in Asien die Opiumkriege und der Boxeraufstand, wo deutsche und österreichisch-ungarische Truppen erstmals beteiligt waren; und das symbolhafteste Beispiel für Afrika, die Zerstörung des Königreichs Benin. Ich habe mich bei anderen Gelegenheiten klar geäußert, dass es hier Rückgaben geben muss.

STANDARD: Nun fragen bei Wiedergutmachung viele: Wo anfangen und wo aufhören? Verkannt wird aber oft die Tatsache, dass die Staaten des globalen Nordens unzählige Kulturobjekte voneinander besitzen und untereinander ein reger Leihverkehr inklusive Tourismus herrscht. Das Verhältnis zum globalen Süden hingegen ist keines auf Augenhöhe.

Parzinger: Das ist vollkommen richtig. Natürlich kann man sagen: Wie weit wollen wir zurückgehen mit Wiedergutmachung? Man hat sich bislang immer an der Haager Landkriegsordnung von 1899 bzw. 1907 orientiert. Da läge Benin davor. Vieles wurde auch legal am Kunstmarkt in London erworben. Nur die Frage ist, was ist juristisch legal und was ist ethisch-moralisch vertretbar. Heute gibt es an dem Punkt ein entscheidendes Umdenken. Wir wollen ein anderes Verhältnis zum globalen Süden, eine neue Form des Miteinanders und gemeinsam entscheiden: Welche Dinge gehören zurück, welche können in europäischen Museen bleiben, wie kommen wir in einen für alle sinnvollen Austausch.

STANDARD: Ihr Buch ist zeitgleich mit "Afrikas Kampf um seine Kunst" von Bénédicte Savoy im selben Verlag erschienen. Die Kunsthistorikerin zitiert Sie darin mit dem Satz: "Die Provenienz völkerkundlicher Bestände ist ein relativ neues Thema." Das war 2017. Debattiert wird darüber aber bis hin zur Uno seit den 60er-Jahren. Haben Sie das Thema unterschätzt?

Parzinger: Savoy zeigt in dem Buch sehr schön, welche Fülle an Initiativen es damals schon gab. Da hat sie sicherlich einen nicht sehr ruhmvollen Teil der Geschichte unserer Kulturpolitik aufgezeigt. Das Zitat von mir ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen, denn ich meinte, dass das Thema noch nie zuvor so sehr im medialen Fokus stand. Mich stört manchmal das Schwarz-Weiß-Denken und die Auffassung mancher, dass alles, was je gesammelt wurde, zurückgegeben werden muss. Denn es gibt auch sehr viele unproblematische Kontexte. Und es stimmt nicht, dass wir untätig waren, wir haben eine ganze Reihe von Projekten: mit Namibia, Tansania, Nigeria, Brasilien. Es muss die Bereitschaft geben, Dinge zurückzugeben, nicht erst in zehn Jahren, sondern bald. Aber es muss jetzt auch die Zeit da sein, mit den Verantwortlichen der Herkunftsländer diese Probleme gemeinsam zu lösen.

STANDARD: Savoy hat aber schon klargestellt, dass es damals wie heute um einige wenige Schlüsselobjekte von soziokulturellem Wert ging, nicht um die Rückgabe ganzer Sammlungen. Kommen Sie und Savoy irgendwann doch noch auf einen grünen Zweig?

Parzinger: Das denke ich schon. Ich kann ja verstehen, dass man eine gewisse Radikalität verfolgt, um zu erreichen, dass überhaupt etwas in Bewegung kommt. Das ist Savoy gelungen. Aber es geht ein bisschen unter in der Debatte, dass die Museen diesen Dingen heute sehr offen gegenüberstehen und auch schon vor längerer Zeit mit Rückgaben tätig geworden sind. Da wünschte ich mir mehr Differenzierung.

STANDARD: In Frankreich, Deutschland und auch Österreich gibt es einen gewissen politischen Willen dahinter. Aus Großbritannien hört man nichts. Hat man dort zu viel zu verlieren?

Parzinger: Diesen Eindruck kann man gewinnen. Aber auch dort sind Diskussionen in Gang. Die Universität Aberdeen in Schottland hat eine Benin-Bronze zurückgegeben. Die anglikanische Kirche will zwei Bronzen zurückgeben. Es ist eine Dynamik, wo man nicht auf den Letzten warten sollte – wenn wir vorangehen, dürfte das eine Sogwirkung haben. Aber man sollte vielleicht auch nicht mit dem Finger auf die zeigen, die mehr Zeit brauchen. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 15.4.2021)