Im medizinischen "Herz der Finsternis": Robert Koch fahndet in seinem Forschungszelt auf den Sese-Inseln im Victoriasee nach den Erregern der Schlafkrankheit.
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Seit gut einem Jahr ist sein Name wieder in aller Munde, auch wenn er bereits vor über 110 Jahren starb: Das liegt schlicht daran, dass Robert Koch (1843–1910) der Namensgeber jenes Instituts ist, das in der Corona-Krise Deutschland täglich mit neuen Zahlen und den wichtigsten Fakten zur Pandemie versorgt. Und Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), berät in zentraler Funktion die deutsche Regierung im Kampf gegen Covid-19.

Im Juni 2020, als die erste Welle der Corona-Infektionen abgeebbt war, sorgte der deutsche Historiker Jürgen Zimmerer (Uni Hamburg) mit einem Essay im "Spiegel" für einige Diskussion. Der Professor mit Schwerpunkt Globalgeschichte hatte nämlich eine Umbenennung des Robert-Koch-Instituts gefordert und diese unter anderem mit den tiefen Verstrickungen des Medizinpioniers in den Kolonialismus begründet.

Robert Koch als Vorbild?

"Ich erhielt dafür viel Zustimmung, aber auch ziemlich viele Wutmails", erinnert sich Zimmerer. "Viele hielten diesen Debattenanstoß für entbehrlich, da er nur den Namen eines weiteren großen Mannes beschmutzen und indirekt auch die Virologie angreifen würde." Der Historiker ist aber nach wie vor überzeugt davon, dass die Diskussion geführt werden sollte, auch und zumal in Corona-Zeiten: "Die große Frage ist, ob Robert Koch gerade in unserer heutigen Situation als wissenschaftliches Vor- und Leitbild taugen kann."

Robert Kochs Verdienste sind unbestritten: Der Mediziner gilt gemeinsam mit seinem französischen Rivalen Louis Pasteur als Begründer der modernen Bakteriologie und Mikrobiologie. Koch entdeckte die Erreger des Milzbrands und der Tuberkulose, wurde 1905 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Doch schon bei der Bekämpfung der Tuberkulose zeigt sich die Ambivalenz von Kochs Leistungen: Das von ihm entwickelte Tuberkulin erwies sich als Heilmittel unbrauchbar. Schon beim Tuberkulinskandal habe Koch lange Zeit Daten zurückgehalten und ein fragwürdiges Wissenschaftsverständnis an den Tag gelegt, kritisiert Zimmerer.

In kolonialen Diensten

Die mit Abstand dunkelsten Flecken auf Kochs nicht eben sauberem Medizinerkittel sind aber seine Forschungen in Afrika. Ein Jahr nachdem er seine Tätigkeit als Gründungsdirektor des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten aufgegeben hatte, schiffte er sich 1905 zu seiner letzten großen Forschungsreise nach Deutsch-Ostafrika ein, die nur durch die Entgegennahme des Nobelpreises kurz unterbrochen wurde.

Aus der damals größten deutschen Kolonie, die seit 1885 zu Deutschland gehörte, waren kurz zuvor alarmierende Meldungen von Ausbrüchen der gefürchteten Schlafkrankheit (Afrikanische Trypanosomiasis) gekommen. Man wusste damals zwar bereits, dass diese meist tödlich verlaufende Infektionskrankheit von sogenannten Trypanosomen verursacht und von Tsetsefliegen übertragen wird. Unklar war allerdings, ob etwa Tiere Zwischenwirte sein können.

Robert Koch nimmt Proben eines getöteten Krokodils, um es auf Trypanosomen zu untersuchen.
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Vor allem aber ging es darum, eine medikamentöse Therapie gegen die Infektion zu testen – um so auch die weitere Ausbeutung afrikanischer Arbeitskräfte zu gewährleisten.

Rücksichtslose Forschung

Dieses schwärzeste Kapitel in Kochs Karriere hat der deutsche Mediziner und Schriftsteller Michael Lichtwarck-Aschoff zum Herzstück seines neuen Tatsachenromans "Robert Kochs Affe" gemacht, der auch anhand von Originalzitaten Kochs beklemmende Bilder von Kochs Projekt und dessen blutigem Kontext zeichnet. Denn während der Mediziner mit aller Rücksichtslosigkeit forschte, schlugen deutsche Militärs den 1905 ausgebrochenen Maji-Maji-Aufstand gegen die Kolonialherren mit aller Brutalität nieder.

In Lichtwarck-Aschoffs literarisch raffinierter Expedition ins "Herz der Finsternis" deutscher Kolonialmedizin wird die Infektionsforschung in gewisser Weise zur Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln und Robert Koch zum Protagonisten einer entgrenzten Medizin. Hatte sich der Wissenschafter in den Jahren zuvor immer wieder darüber beklagt, dass in Deutschland Versuche an Menschen auch wegen des Tuberkulinskandals ab 1900 strikter geregelt wurden, so gab es in den Kolonien damit keine Probleme. Bereits 1903 schrieb Koch aus dem südlichen Afrika: "Hier draußen aber, da liegt das Gold der Wissenschaft noch auf der Straße."

Schwerste Nebenwirkungen

Koch wurde mit seinem Team schließlich nicht auf deutschem, sondern auf britischem Kolonialgebiet tätig: auf den Sese-Inseln im Victoriasee, wo die Schlafkrankheit besonders verheerend wütete. Die Erkrankten wurden von den Kolonialmedizinern gleich mehrfach auf brutale Weise behandelt, beginnend mit den Diagnosemethoden. Koch empfahl, die Infizierten "herauszugreifen" und in Konzentrationslagern zu versammeln.

Isolierung der Infizierten in einem "Konzentrationslager" am Victoriasee im Jahr 1907.
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Besonders grausam waren die "Therapien" mit dem arsenhaltigen Mittel Atoxyl, das in hoher Dosierung stark giftig war, wie man längst wusste. Und Koch steigerte die Dosis immer weiter. "Die schweren Nebenwirkungen nahm er wissentlich in Kauf", kritisiert Zimmerer: "Es kam zu zahlreichen Erblindungen und zu Todesfällen." Die Versuche, die keine Heilung brachten, sondern nur die Epidemie ein wenig eindämmten, wurden wenig später vom deutschen Reichskolonialamt untersagt.

Literarisierte Wissenschaftsgeschichte(n)

Wie schon in seinem Roman über den Wiener Biologen Paul Kammerer ("Der Sohn des Sauschneiders oder ob der Mensch verbesserlich ist", 2019) erzählt Lichtwarck-Aschoff in seinem neuen Buch ein weiteres umstrittenes und bis heute aktuelles Kapitel der Biowissenschaften im frühen 20. Jahrhundert. Schließlich geht es im Buch nicht nur um Kochs rücksichtslose Forschungen, sondern als inhaltliches Leitmotiv um das Problem des "gesunden Trägers" von Erregern, das Deutschlands berühmtestem Seuchenarzt viel Kopfzerbrechen bereitete und auch bei Corona relevant ist.

In der Frage der Umbenennung des Robert-Koch-Instituts gibt sich Lichtwarck-Aschoff im Gespräch mit dem STANDARD dennoch eher zurückhaltend: Er trete lieber für "Gegendenkmäler" ein, und am RKI habe man im Moment sicher dringendere und wichtigere Dinge zu tun, sagt der literarisch spätberufene Mediziner, der bis zu seiner Emeritierung als Anästhesist tätig war und nach wie vor an der Uni München lehrt. Die verharmlosende Darstellung von Kochs Forschungen in Afrika auf der RKI-Homepage ("Seine letzte Forschungsreise war das dunkelste Kapitel seiner Laufbahn") verdiene aber eindeutig eine Nachschärfung.

Michael Lichtwarck-Aschoff: "Robert Kochs Affe. Der grandiose Irrtum des berühmten Seuchenarztes". € 24,80 / 284 Seiten. S. Hirzel, Stuttgart 2021
Hirzel

Afrikaner als Forschungsopfer

So wie Lichtwarck-Aschoff, der sein nächstes Buch dem rassistischen Gedankengut bei Immanuel Kant widmen wird, tritt auch Jürgen Zimmerer für eine sehr viel gründlichere Aufarbeitung des wissenschaftlichen Rassismus und seiner Folgen ein, die bis heute nachwirken. Und Zimmerer erinnert daran, dass französische Mediziner vor gut einem Jahr in aller Öffentlichkeit vorschlugen, Covid-Impfstoffe zuerst einmal in Afrika zu testen.

Für den Historiker ist deshalb nicht weiter verwunderlich, warum man dort etwa im Zusammenhang mit HIV oder Impfungen der Forschung eher kritisch gegenübersteht: "Seit rund 200 Jahren waren Afrikanerinnen und Afrikaner oftmals die Leidtragenden genau dieser modernen Wissenschaft." (Klaus Taschwer, 14.4.2021)