Nach dem Lobautunnel sorgt nun ein weiteres Straßenprojekt für Kritik.

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Nicht nur der geplante Lobautunnel sorgt in Wien für Debatten, sondern auch ein weiteres Straßenbauprojekt: Am Donnerstag wird der Mobilitätsausschuss des Gemeinderats die Mittel für die Stadtstraße, eine Verbindung zwischen dem Stadtentwicklungsgebiet Aspern und der Südosttangente, bewilligen. Nun meldeten sich Experten aus den Bereichen Verkehrs-, Klima- und Politikwissenschaften zu Wort. Sie kritisierten das Vorhaben und wiesen auf Alternativen hin.

Kritik am Vorhaben

Allein schon die Bezeichnung als "Stadtstraße" sei irreführend, ärgerte sich Hermann Knoflacher, emeritierter Professor am Institut für Verkehrswissenschaften (TU Wien). Tatsächlich handle es sich um "eine vom lebenden Organismus der Stadt weitestgehend getrennte vierspurige Fahrbahn", wie er in einer der APA übermittelten Stellungnahme des Wissenschaftsnetzwerkes Diskurs ausführte. Schon in den 1970er-Jahren sei bei der geplanten Gürtelautobahn versucht worden, mit dem Begriff "Hochleistungsstraße" die Bevölkerung zu "täuschen", warf er vor. Nach deren Widerstand habe die sozialdemokratische Regierung 1972 das Vorhaben gestoppt. Laut Knoflacher "eine kluge und weitblickende Entscheidung für die Stadt Wien".

Knoflacher übte in der jüngeren Vergangenheit auch immer wieder Kritik am geplanten Lobautunnel und plädiert stattdessen für eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und Maßnahmen für den Rad- und Fußgängerverkehr. In die gleiche Richtung argumentierte Barbara Laa, Verkehrswissenschafterin an der TU Wien: "Es ist erschreckend, dass Politiker immer noch mit dem Versprechen der Verkehrsentlastung solche kontraproduktiven Megaprojekte forcieren. In der Fachwelt ist das Phänomen des 'induzierten Verkehrs' längst bekannt: Mehr Straßen führen zu mehr Autoverkehr."

Expertin sieht Klimaziele gefährdet

Auch auf die potenziellen Auswirkungen der Stadtstraße auf das Klima wurde in der Stellungnahme erinnert. Helga Kromp-Kolb, emeritierte Professorin am Institut für Meteorologie und Klimatologie (Boku), verwies darauf, dass die übergeordnete Verkehrsplanung in Wien vor Festlegung der jetzt gültigen Klimaziele erfolgt sei. "Bevor weitere Beschlüsse zur Umsetzung dieses Verkehrsplanes getroffen werden, sollte das gesamte Konzept auf seine Verträglichkeit mit den Klimazielen überprüft werden", forderte sie. Für Laa ist es verantwortungslos, "dass mitten in der globalen Klimakrise diese immensen Summen für den Bau von neuen Schnellstraßen in Wien – teilweise sogar in Naturschutzgebieten -aufgebracht werden sollen. Der Bau würde über Jahrzehnte hinweg zu einem höheren CO2-Ausstoß führen.

Politikwissenschaftler Mathias Krams von der Universität Wien ist davon überzeugt, dass die Stadtstraße nicht geeignet sei, um die in den Entwicklungsstrategien enthaltenen Ziele der Reduktion der Pkw-Pendlerinnen- und Pendler, der Verschiebung des Modalsplits und der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Vielmehr stehe sie diesen diametral dagegen.

Abschließend mahnte er: "Um die Ziele in den Stadtentwicklungsstrategien zu erreichen, muss stetiges Verkehrswachstum hinterfragt und diesem mit einem umfassenden nachhaltigen Mobilitätsmanagement entgegengewirkt werden – das Projekt der 'Stadtstraße' Aspern setzt hier genau die falschen Anreize. Der Wiener Gemeinderat erweist sich damit auf dem Weg zur 'Klimamusterstadt' einen schwer revidierbaren Bärendienst."

Stadt Wien betont Wichtigkeit

Die Stadt Wien hob unterdessen die Wichtigkeit des Projekts hervor, handle es sich hierbei um einen wichtigen Teil "des zukunftsorientierten Mobilitätskonzeptes", wie es in einer Aussendung hieß. Die 3,2 Kilometer lange Strecke soll die Südosttangente (A23, Anschlussstelle Hirschstetten) mit der S1-Spange Seestadt Aspern bei der Anschlussstelle Seestadt West verbinden. Ziele sind, damit den Durchzugsverkehr aus den Siedlungsgebieten abzuziehen, durch die Entlastung die Lebensqualität in Ortskernen wie Hirschstetten, Stadlau und Breitenlee deutlich zu verbessern und zusätzlich neue Stadtteile zu erschließen, wurde betont.

"Wir wollen Transitverkehr nicht mehr in die Stadt lassen. Es ist widersinnig, Transitverkehr, besonders Schwerverkehr, der weder Ziel noch Ursprung in Wien hat, in die Stadt hineinzuziehen. Keine Metropole Europas tut das", so der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Erich Valentin (SPÖ). Und weiter: "Es gilt im Kleinen wie im Großen: Zuerst Verkehr beruhigen, dann Grätzl gestalten. Verkehre, die nicht mit der Stadt zu tun haben, werden um sie herumgeführt. Damit gewinnen wir Raum, um Ortszentren mit hoher Lebensqualität zu gestalten."

Mit dem Bau der Stadtstraße soll Ende des heurigen Jahres begonnen werden, die Verkehrsfreigabe ist für Ende 2025 avisiert, das Bauende 2026 geplant. Die valorisierten Projektkosten belaufen sich unter Berücksichtigung der derzeitigen Marktlage und Entwicklung auf rund 460 Millionen Euro. (APA, 14.4.2021)