New York – Als Kind habe sie eigentlich Rockstar werden wollen, erzählte Grace Coddington einmal dem britischen "Guardian". "Aber ich bin unmusikalisch und sehr schüchtern, also war das ein Hirngespinst." Das frühere Model sei trotzdem ein Rockstar geworden, zumindest in der Modebranche, sagte ihre Chefin Anna Wintour einmal der "New York Times". Fast 30 Jahre lang arbeitete Coddington beim US-Modemagazin "Vogue", bis sie sich 2016 aus dem Job der Kreativchefin zurückzog.

Seitdem verfolgt die Frau mit den berühmten roten Haaren, die am Dienstag 80 Jahre alt wird, eigene Projekte, arbeitet aber auch immer noch mit ihren früheren Kollegen der "Vogue" zusammen. "Ich gehe auf keinen Fall in Rente. Ich will nicht einfach nur herumsitzen."

Grace Coddington im Jahr 2016 in New York
Foto: imago images/Future Image

Außerhalb der Mode-Branche bekannt wurde Coddington 2009 als Überraschungsstar des Dokumentationsfilms "The September Issue". Das war eigentlich ein Film über die eisige "Vogue"-Chefin Wintour und die umfangreiche September-Ausgabe der Mode-Bibel, aber Coddington stahl mit ihrem wallenden roten Haar, mit ihren Ideen, ihrer Sturheit und den Auseinandersetzungen mit Wintour allen anderen die Show.

Madman Films

Dabei war sie anfangs gar nicht begeistert von der Idee eines Dokumentarfilms. "Meine Reaktion auf diese aufdringliche Idee war natürlich eine des Grauens, weil ich schon immer der Meinung war, dass die Menschen sich auf ihre Jobs konzentrieren sollten und nicht auf diesen modischen "Ich will ein Star sein"-Blödsinn."

Mit der Doku "The September Issue" zum Star

Danach musste auch Coddington zugeben: "Dieser Film ist der einzige Grund, dass man jemals von mir gehört hat." Seitdem veröffentlichte sie mehrere Bücher, unter anderem eine Autobiografie, moderierte eine Interview-Sendung und arbeitete mit zahlreichen Designern zusammen. Dabei sei sie eigentlich "ein bisschen ein Feigling". Sie bekomme leicht Panik, sei außerdem "methodisch langsam, was manche Menschen in den Wahnsinn treibt".

Als "einsames und kränkliches" Kind wuchs Grace Coddington im Hotel der Eltern auf der spärlich bevölkerten Insel Anglesey vor der Nordwestküste von Wales auf, wie sie in ihrer Autobiografie schreibt. Coddingtons Job-Aussichten damals: "entweder Mitarbeiterin einer Uhren-Fabrik oder eines Snack-Shops." Doch schon als Kind liebt der Katzen-Fan "schöne Anziehsachen auf schönen Fotos" und zieht mit 18 nach London, um Model zu werden. Kurze Zeit später zerstört ein schwerer Autounfall, bei dem die Scherben des Rückspiegels Coddingtons linkes Augenlid zerschneiden, all ihre Model-Träume.

Zweite Karriere als Moderedakteurin

Sie startet eine zweite Karriere als Mode-Redakteurin, schon bald arbeitet sie mit Models wie Nadja Auermann, Naomi Campbell und Natalia Vodianova ("mein Lieblingsmodel") sowie Star-Fotografen wie Mario Testino (anfangs ein "nerviger Junge"), Annie Leibovitz und Helmut Newton zusammen.

Coddington, die zweimal geschieden ist und keine Kinder hat, küsste Mick Jagger, schminkte Prince Charles und wurde nach dem frühen Tod ihrer Schwester vom Schuh-Designer Manolo Blahnik getröstet – während sich die Branche um sie herum im Eiltempo veränderte, Fotoshootings über die Jahre von "drei entspannten Wochen" auf "drei hektische Tage" verkürzt und Hollywood-Stars zu "Vogue"-Covermodels wurden.

Architectural Digest

Von der Corona-Pandemie erhofft sich Coddington, die die Zeit mit ihrem Partner Didier Malige auf Long Island bei New York verbringt, nun eine dringend benötigte Atempause und einen Neuanfang für ihre Branche. "Die Designer sind erschöpft", wurde sie kürzlich in der "Vogue" zitiert. "Man muss langsamer werden und weniger machen, aber dafür besser. Es geht um Qualität, Qualität, Qualität." (Apa, red, 20.4.2021)