Wien – Auch am Tag nach Rudolf Anschobers aufsehenerregendem Abgang war Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sichtlich bemüht, den Eindruck zu festigen, als könnten er und seine Vertrauten in der Koalition kein Wässerchen trüben: Bevor er mit vier anderen Regierungsmitgliedern von Türkis-Grün nach dem Ministerrat zu Ausführungen rund um den EU-Wiederaufbaufonds anhob, versuchte er im Rücktritt des nach Eigenangaben oft alleingelassenen und nun ausgepowerten grünen Gesundheitsministers "eine Chance" für bessere politische Kultur zu erkennen.

Kanzler Kurz (ÖVP) am Mittwoch mit geeinter türkis-grüner Ministerformation nach dem denkwürdigen Rücktritt von Rudolf Anschober (Grüne).
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Doch dabei nahm der Kanzler vor allem andere in die Pflicht: gehässige Mitbürger, die Drohungen gegen Spitzenpolitiker ausstoßen; die Opposition, die die Regierung im Parlament mit Misstrauensanträgen konfrontiere; die Medien, in denen sich oft Rücktrittsaufforderungen fänden – ja, auch all das sei für alle in seiner Riege "eine ständige Belastung", erklärte Kurz.

Linientreue statt Verrat

Einwände, dass Ex-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) ihn angesichts Anschobers Aufgeben via ORF dafür kritisiert habe, dass die Absetzung von dessen Spitzenbeamten Clemens Martin Auer "besser nicht zu einem Zeitpunkt, wo der Gesundheitsminister im Krankenhaus gelegen ist", abzuhandeln gewesen wäre, wischte der Kanzler gekonnt vom Stehtisch: Fest stehe, dass Spitzenrepräsentanten, oft tage- und nächtelang im Einsatz, auch noch tiefer persönlicher Herabwürdigung ausgesetzt seien. An Derartigem beteilige er sich nicht – und "da werde ich meiner Linie treu bleiben", so Kurz.

Anschobers nicht gerade subtilen Populismusvorhalt in Richtung Kanzlerpartei ließ er ebenfalls an sich abprallen. Mit Verweis auf "eine Ärztin" – gemeint war offenbar SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner – verwies er darauf, dass diese vor gar nicht allzu langer Zeit Kinder als "Opfer" der Regierungspolitik wegen der Corona-bedingten Schulschließungen bezeichnet habe – das sei ihm "sehr nahe gegangen".

Zusammenhalt statt Zoff

An der Seite von Kurz gab Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der weiterhin an eine volle Legislaturperiode von Türkis-Grün glaubt, den interimistischen Gesundheitsminister – da erst am Montag die Angelobung von Anschobers Nachfolger Wolfgang Mückstein ansteht.

Warum rücken die Koalitionäre ausgerechnet jetzt wieder so nahe zusammen? Regierungsinsider verweisen unisono auf die hohe Verantwortung, die man als Regierung nun trage, um das Land in der Pandemie wieder auf Vordermann zu bringen – und wer da die Koalition gefährde, könne bei Neuwahlen nur verlieren.

Aber auch schnöde rechnerische Überlegungen spielen eine Rolle: Solange sich keine rot-grün-pinke Mehrheit abzeichne, würden die Grünen sicher nicht das Handtuch werfen, erklärt ein Kogler-Kenner. Der ÖVP sei mit dem Kurs von FPÖ-Klubchef Herbert Kickl ("Kurz muss weg!") endgültig ein Ausweg abhandengekommen – und solange sich mit der SPÖ keine vielversprechendere Option auftue, bleibe es dabei: Auch ihr blieben vorerst nur die Grünen als Partner. Also bleibe trotz Anschobers denkwürdigen Abgangs so lange wie möglich alles wie gehabt. (Nina Weißensteiner, 14.4.2021)