Die niederländische Handballerin Maura Visser jubiliert – Zuhörer lässt das nicht kalt.

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Schreie können Leben retten. Vielen Spezies dienen schreiähnliche Rufe als Alarmsignale bei sozialen Konflikten oder als Warnungen vor Gefahren. Das gilt auch für Menschen. Eine Eigenheit des Homo sapiens ist aber, auch aus anderen Emotionen heraus zu schreien: etwa aus Freude oder Vergnügen. Wie Forscher nun herausgefunden haben, ruft positiv konnotiertes Geschrei im Gehirn von Zuhörern sogar stärkere Reaktionen hervor. Die Studienergebnisse wurden im Fachblatt "Plos Biology" veröffentlicht.

"Wir kennen keine andere Spezies, die auch aus Freude oder Vergnügen schreit", sagte der Psychologe Sascha Frühholz von der Universität Zürich, Erstautor der Studie. Die Forschung habe sich bislang aber vorwiegend auf alarmierende Angstschreie konzentriert.

Um das zu ändern, gingen Frühholz und Kollegen zunächst der Frage nach, wie sich Menschenschreie klassifizieren lassen und wie die unterschiedlichen Kategorien von anderen Artgenossen wahrgenommen werden. Dazu baten sie insgesamt zwölf Studienteilnehmer in einen schalldichten Raum, wo sie tief Luft holen und anschließend mit voller Kraft schreien sollten.

Schriller Schrei mit Eigenheiten

Dieses anstrengende Prozedere wiederholten die Schrei-Probanden für verschiedene emotionale Szenarien, die ihnen die Forscher vorgaben: etwa, dass ein nahestehender Mensch verstorben war oder der favorisierte Fußballmannschaft einen Sieg errungen hatte. Zur Erholung erhielten die Teilnehmenden nach dem Brüll-Experiment Bonbons.

Zwar seien alle Schreie schrill, kräftig und hochtönig gewesen, sagte Frühholz. Dennoch zeigten sich in den akustischen Profilen feine Unterschiede. So ließ sich die Emotion der Schreie in Schmerz, Wut und Angst (die Alarmschreie) sowie Vergnügen, Traurigkeit und Freude einteilen. Einem selbstlernenden Algorithmus gelang es denn auch, die Schreie mit einer hohen Wahrscheinlichkeit richtig zu klassifizieren.

Unerwartete Ergebnisse

In einem zweiten Teil des Experiments spielten die Wissenschafter 23 weiteren Probanden die aufgenommenen Schreie der ersten Gruppe in jeweils gleichen Lautstärken vor und analysierten währenddessen deren Hirnströme. Zudem klassifizierten auch die Zuhörer die Schreie anhand der emotionalen Natur.

"Überrascht hat uns, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer auf nicht-alarmierende und positive Schreie rascher, genauer und hinsichtlich ihrer Hirnaktivität empfindlicher reagierten, als wenn die Probanden schreiend Alarm schlugen", fasste Frühholz das unerwartete Ergebnis zusammen. Konkret seien Hirnareale im vorderen Großhirn, in der Hörrinde und im limbischen System bei den nicht-alarmierenden Schreien deutlich aktiver gewesen.

Zudem erkannten die Teilnehmer der Zuhör-Gruppe Freudenschreie meist präziser als Schreie, die vor Gefahren und Bedrohungen warnten. Das sei besonders überraschend, weil aus evolutionärer Sicht vor allem Alarmsignale bedeutsam seien, sagte Frühholz. Der Psychologe spekuliert, dass dies mit der zunehmenden Komplexität sozialer Strukturen des Menschen zusammenhängen könnte – und der Reduktion natürlicher Feinde: "Heute schleichen keine gefährlichen Wildtiere mehr durch die Städte."

Um den Einfluss veränderter Lebensumstände auf ihre Schrei-Kommunikation festzumachen, wäre eine ähnliche Untersuchung in anderen Kulturen interessant. "Es könnte gut sein, dass wir beispielsweise bei Naturvölkern andere Muster erkennen als bei uns Westeuropäern", sagte Frühholz. (red, APA, 16.4.2021)