Mann muss nicht selbst ins Parlament (hier der Plenarsaal des Ausweichquartiers in der Hofburg) kommen, um seine Meinung zu geplanten Gesetzen kundzutun. Bürgerinnen und Bürger können das online erledigen.

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"Dieser Paragraf in seiner jetzigen Form stellt meiner Meinung nach einen Rückschritt in der Korruptionsbekämpfung dar." Kurz und bündig beschreibt Theodor G., warum er den geplanten Paragrafen 112a in der Strafprozessordnung nicht haben will. Und so wie er denken viele: 3.196 Bürgerinnen und Bürger hatten bis Mittwochmittag im Rahmen des Begutachtungsverfahrens für ein neues Staatsschutzgesetz auf der Homepage des Parlaments eine ablehnende Stellungnahme abgegeben. Und stündlich werden es mehr.

112a, auch als Razzia-Paragraf bekannt, ist derzeit der umstrittenste Paragraf des Landes. Wie berichtet, wollte die Regierung damit einführen, dass die Beschlagnahmung von Unterlagen und Datenträgern bei Ämtern und Behörden künftig nur noch im Ausnahmefall durch die Justiz möglich sein soll. Das Ansinnen einer Staatsanwaltschaft, etwa bei konkreter Verdachtslage das Mobiltelefon eines Behördenleiters sicherzustellen, soll per Amtshilfeverfahren durchgeführt werden. Also das Ministerium selbst soll zustimmen und einem betroffenen Mitarbeiter dann das Handy abnehmen.

Heftiger Widerspruch

Heftiger Widerspruch der Staatsanwaltschaft sowie von Richterinnen und Richtern ließ nicht lange auf sich warten. Die Staatsanwälte-Vereinigung betonte, dass eine effektive Strafverfolgung auch im öffentlichen Bereich gesichert sein müsse. Der Entwurf der Bundesregierung, den das Innenministerium zusammen mit der Verfassungsschutzreform in Begutachtung geschickt hat, sei in der vorliegenden Form abzulehnen, weil er die Ermittlungskompetenzen der Staatsanwaltschaften zu sehr einenge und damit in vielen Fällen eine erfolgreiche Aufklärung von Straftaten erschweren oder gar unmöglich machen würde.

Auch die politische Opposition ist gegen die Novelle, die inzwischen nicht nur im parlamentarischen Begutachtungsverfahren, sondern auch im Justizministerium auf dem Prüfstand steht. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat angekündigt, nach Gesprächen mit internen und externen Experten den Gesetzesentwurf, der Razzien im Behördenbereich beinahe verunmöglichen und durch Amtshilfe ersetzen würde, noch einmal zu überarbeiten.

Die Fülle an Stellungnahmen von Privatleuten während der parlamentarischen Begutachtung dürfte dabei auch eine Rolle spielen. Die Frist für eine Meinungsäußerung, die online eingegeben werden kann, läuft noch bis zur ersten Maiwoche.

Textbausteine

Bei einem Gutteil der Stellungnahmen liefert der Verein Aufstehn.at die Vorlagen für die Texte. Auf seiner Homepage und via Social Media hat die Aktion "Vertuschungsparagrafen stoppen!" tausende Menschen mobilisiert. Online werden mehrere rechtlich fundierte Textbausteine angeboten, eine direkte Verlinkung zum Parlament macht die Abgabe der Proteststimme sehr einfach. Dementsprechend finden sich in der Liste der Stellungnahmen viele gleichlautende Sätze wie "Ich fordere die Streichung des geplanten § 112a StPO aus dem Entwurf oder seine Beschränkung auf nachrichtendienstliche Daten im Sinne der Entschließung des Parlaments aus dem September 2019".

Die Initiative #Aufstehn erreicht laut eigenen Angaben rund 350.000 Menschen in Österreich. Ziel der Initiative sei es, die zivilgesellschaftliche Partizipation zu fördern und mithilfe digitaler Technologien Zugangsbarrieren zu politischen Prozessen abzubauen und Mitbestimmung zu ermöglichen. In der jüngeren Vergangenheit wurden bereits mehrere Petitionen gegen Regierungsvorhaben organisiert, darunter gegen den damals unter Schwarz-Blau diskutierten Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt, gegen die Zerschlagung der AUVA oder für einen unabhängigen ORF.

Stellungnahme liken

Da trifft es sich wunderbar, dass sich Bürgerinnen und Bürger seit 2017 auch verstärkt am parlamentarischen Geschehen beteiligen können. Sie haben die Möglichkeit, Stellungnahmen zu Ministerialentwürfen (Gesetzesvorschlägen der Ministerien) und im Rahmen einer öffentlichen Ausschussbegutachtung einfach über die Parlaments-Website einzubringen. Zusätzlich können die einzelnen Stellungnahmen mit einer Zustimmungserklärung unterstützt werden. Man kann diese Zustimmungserklärung aber auch ablehnen oder sich überhaupt dazu entschließen, dass die abgegebene Stellungnahme nicht veröffentlicht werden darf. Für die Abgabe einer Meinung muss man eine gültige E-Mail-Adresse haben, die zur Authentifizierung der Absender dient.

Die erste große Welle erlebte diese "Erweitertes Begutachtungsverfahren" genannte Bürgerbeteiligung im Vorjahr als Reaktion auf Corona-Verordnungen und auf eine Änderung des Epidemiegesetzes. Mehr als 35.000 Stellungnahmen waren im März 2020 eingegangen – und das, obwohl die verkürzte Begutachtungsfrist nur wenige Tage dauerte.

Bürgerbeteiligung wird ausgebaut

Mittlerweile stellt sich das Problem, bei tausenden Stellungnahmen einen Überblick zu behalten beziehungsweise die Meinung von Einzelpersonen oder von Organisationen zu filtern. Hier soll es bald ein Software-Update geben. Theoretisch muss jede einzelne Stimme beim weiteren Verlauf der Gesetzwerdung berücksichtigt werden.

Der Prozess der parlamentarischen Mitbestimmung soll in Kürze sogar noch ausgebaut werden. Der Nationalrat hat erst vor wenigen Wochen einhellig den Weg für eine Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes geebnet, die eine Meinungsabgabe zu allen Gesetzesvorhaben zulässt – und nicht, wie jetzt, nur zu Entwürfen aus den Ministerien.

Europaratsempfehlung

Damit werden ab August etwa auch Gesetzesanträge von Abgeordneten, fertige Regierungsvorlagen, Initiativen des Bundesrats und Ausschussanträge einer Begutachtung zugänglich gemacht. Die Abgabe von Stellungnahmen wird dabei so lange möglich sein, bis das parlamentarische Verfahren zur Gänze abgeschlossen ist. Eine ähnliche Regelung wird auch für Bürgerinitiativen und Petitionen gelten.

Diese Erweiterung des Begutachtungsverfahrens beruht laut SPÖ auch auf Empfehlungen der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (Greko). Womit sich der Kreis zum Protest gegen Paragraf 112a schließt. (Michael Simoner, 14.4.2021)