Vor zwei Jahren hätte sich wohl niemand gedacht, dass Städte wie Dubrovnik, Venedig oder Hallstatt einmal so leer sein können. Sprach man bis vor kurzem noch vom Overtourism, ist der Tourismus in der Pandemie praktisch zum Erliegen gekommen. Wer im vergangenen Jahr reiste, tat das oft innerhalb Österreichs oder Europas. Könnte der Trend zum regionalen und damit klimaschonenden Reisen bleiben?

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Stefan Gössling glaubt nicht so recht daran. Er ist Professor für nachhaltigen Tourismus an der Universität Lund in Schweden und forscht seit Jahren zu den Motiven und Auswirkungen des Reisens. Es ist nicht das erste Mal, dass der globale Tourismus einbricht. Auch die Viren Sars und Mers sowie die Finanzkrise 2008/09 waren Dämpfer für die Branche, die sich aber schnell erholte. Auch nach Corona wird schnell wieder alles beim Alten sein, glaubt Gössling.

Gut für die Wirtschaft, schlecht für die Umwelt. Denn zumindest die aktuellen Reisegewohnheiten werden zu einer immer größeren Belastung für das Klima. Der mengenmäßig größte Brocken ist dabei das Fliegen, erst danach kommen Autofahrten in den Urlaub und die Emissionen aus der Beherbergung. Das sei insofern bemerkenswert, als nur rund vier Prozent der Weltbevölkerung einmal pro Jahr fliegen. "Fliegen ist etwas sehr Elitäres", sagt Gössling.

Tierfette, Wasserstoff und E-Kerosin

Seit Jahrzehnten versprechen Flugzeughersteller und Airlines, Fliegen nachhaltiger zu machen. Ins Spiel gebracht werden etwa Zeppeline, Elektroantrieb oder Treibstoffe aus Tierfetten, Forstabfällen oder der angeblichen "Wunderpflanze" Jatropha. Durchgesetzt hat sich bisher nichts davon, die Emissionen sind immer weiter gestiegen. Momentan wird immer wieder Wasserstoff ins Spiel gebracht.

Flugzeuge mit Wasserstoff zu betreiben sei zwar grundsätzlich möglich, sagt Gössling. Aber: "Wenn man damit wirklich fliegen möchte, muss ein großer Teil des Flugzeuges aus Tanks bestehen." Das würde wiederum heißen, weniger Leute pro Flug unterbringen zu können, wodurch mehr Personal, mehr Start- und Landeslots und damit auch mehr Landebahnen benötigt werden. Dabei sind viele Flughäfen schon jetzt ausgelastet. "Ich frage mich, wie das gehen soll", sagt Gössling.

Klimaneutrales Fliegen hält Gössling für möglich – zu Mehrkosten von etwa 35 Prozent.
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Die ersten Wasserstoffflugzeuge sollen außerdem erst 2035 präsentiert werden. "Zu diesem Zeitpunkt sollten wir die Emissionen aus dem Flugverkehr eigentlich schon halbiert haben", sagt Gössling. Batterien kommen, wenn überhaupt, nur auf Kurzstreckenflügen infrage. Für längere Strecken sind die Akkus einfach zu schwer und speichern zu wenig Strom. Im "absolut optimistischsten Fall" geht Gössling davon aus, dass E-Flugzeuge in zehn bis zwanzig Jahren bis zu 15 Prozent aller Flugstrecken abdecken können.

35 Prozent höhere Ticketpreise

Auf den anderen Strecken kämen als Alternative sogenannte E-Fuels, synthetisch erzeugte Treibstoffe, infrage. Dabei wird unter großem Energieeinsatz CO2 zu Kerosin umgebaut, das chemisch mit dem Sprit aus Erdöl identisch ist. Mit dem klimaneutralen Flugbenzin könnten dann auch alte Flugzeuge betrieben werden.

Bis 2050 wäre der komplette Umstieg auf E-Fuels machbar, hat Gössling mit Kollegen ausgerechnet. Dafür bräuchte es aber Photovoltaikanlagen mit einer Fläche von 140.000 Quadratkilometern – mehr als die Größe Griechenlands. "Das wäre eine Herausforderung der Sonderklasse", sagt Gössling. Verfügbar wäre die Fläche aber grundsätzlich, etwa in Nordafrika, wo auch gute Energieernten möglich wären. Das würde Fliegen verteuern, aber nicht unleistbar machen. Rund ein Drittel mehr müssten wir laut Gössling für Flugtickets bezahlen. Die Preissteigerung hätte auch einen Steuerungseffekt: Viele Menschen würden dann seltener, dafür länger verreisen.

Massentourismus kann für das Klima durchaus sinnvoll sein.
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Das oft ins Feld geführte Argument, dass Reisen der Völkerverständigung diene und deshalb möglichst nicht beschränkt werden sollte, lässt der Tourismusforscher nicht gelten. Zumindest global gesehen handelt es sich bei den meisten Reisen um sogenannten SSS-Tourismus – Sun, Sand and Sea. Da gehe es vor allem darum, sich von der Bevölkerung vor Ort verwöhnen zu lassen. "Den kulturellen Austausch daran müsste man mir noch erklären", so Gössling. Dazu gebe es zahllose Barrieren, etwa die Sprache. In vielen Fällen könnten Reisen xenophobe Einstellungen sogar noch verstärken.

Massentourismus hat Vorteile

Die "leichte Arroganz", die er gegenüber dem Massentourismus spürt, sei aber nicht angebracht. Weil viele Menschen auf einmal transportiert und versorgt werden können, hätten Pauschalreisen aus energetischer Sicht viele Vorteile. "Jeder von uns möchte reisen, und ich bin froh über jeden, der auf die Balearen fährt", sagt er. "Wenn alle mit dem Rucksack nach Neuseeland fliegen würde, um dort nachhaltig durch die Berge zu wandern, hätten wir ein anderes Problem."

Das, was wir erlebt haben müssen, sei oft von außen oktroyiert. Wer in Europa bleibt, während andere um die Welt fliegen, wird schnell als Stubenhocker abgestempelt. Gerade die sozialen Medien, die solche Zwänge erschaffen, sieht Gössling auch als Chance. "Foodstagramer" haben bereits eine neue Nahrungsmittelkultur angestoßen, viele beschäftigen sich nun mehr mit ihrem Essen. "Diese Diskussion brauchen wir auch beim Reisen." (Philip Pramer, 16.4.2021)