"andererseits" steht für Inklusion im Journalismus, >>> Link zur Plattform.

Foto: Logo, andererseits

Wien – Rund ein Jahr ist es her, dass die inklusive Onlineplattform "andererseits" ins Leben gerufen wurde. Seitdem bietet sie Menschen mit und ohne Behinderung einen Raum, in dem sie gemeinsam an Artikeln, Grafiken und Podcasts arbeiten. Das 20-köpfige Redaktionsteam ist freiwillig tätig. Ziel ist es aber, entlohnte journalistische Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Denn: "Ihre Perspektiven sind bereichernd für uns alle", meint Mitgründerin Katharina Brunner.

Das Online-Magazin wurde im April des Vorjahres von Clara Porak, Katharina Kropshofer und Brunner gegründet. Erstere wollte einen Text gemeinsam mit ihrem Bruder Matthias, der mit einer Behinderung lebt, verfassen. Nachdem sie die Idee in ihrem Bekanntenkreis geteilt hatte, meldeten sich viele Leute, die mitmachen wollten. Mittlerweile bietet "andererseits" neben den Textbeiträgen auf der Webseite auch den Podcast "Sag's einfach!" und einen wöchentlichen Newsletter an – sehr zur Zufriedenheit von Brunner.

Bewusstsein dafür fehle, dass man Menschen ausschließt

"Ich glaube, 'andererseits' ist auch deshalb entstanden, weil plötzlich coronabedingt Zeit war zu überlegen, was besser laufen sollte", erinnert sich die 25-Jährige im Gespräch mit der APA. So sei es der Mehrheitsgesellschaft etwa "sehr gut möglich, ein Leben zu leben, ohne mit Menschen mit Behinderung in Kontakt zu kommen. Dadurch lernt man oft gar nicht, dass die Art und Weise, wie man kommuniziert, nicht für alle verständlich ist", gibt die freie Journalistin und Anthropologiestudentin zu Bedenken. In Redaktionen fehle "oft das Bewusstsein dafür, dass man Menschen ausschließt". Zudem sei es dort nicht einfach, die nötige Zeit für inklusives Arbeiten aufzubringen, sagt sie.

"Ich habe den Eindruck, dass es im Journalismus auf Leistung und Schnelligkeit ankommt. Das ist für viele Menschen mit Einschränkungen schwierig", meint auch Nikolai Prodöhl, der seit knapp einem Monat bei "andererseits" tätig ist und eine Sprachbeeinträchtigung hat. Auch sei es als Mensch mit Beeinträchtigung nicht einfach, eine journalistische Ausbildung zu bekommen. "Das ist das Gute an 'andererseits': Man bekommt einfach Hilfe", freut sich der 32-Jährige gegenüber der APA.

Prodöhl ist hauptsächlich für den Podcast von "andererseits" tätig. Darin ist er bereits geübt, macht er doch mehrmals im Monat Radiobeiträge für den Communitysender und Ausbildungskanal "Tide" in Hamburg. Besonders gerne spricht er über die Themen Teilhabe und Behindertensport. Hauptberuflich arbeitet er in einer Werkstatt und kümmert sich um Bio-Gemüse. Diese Tätigkeit würde er aber für eine Vollzeitbeschäftigung als Sportmoderator im Behindertenbereich an den Nagel hängen. Warum? "Weil ich gerne über Themen rede und Leute befrage. Das macht mir einfach Spaß", erklärt Prodöhl.

Er möchte einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen mit Behinderung korrekter in den Medien dargestellt werden, schließlich gebe es ja ziemlich viele davon. Derzeit würden sie selten und wenn dann häufig falsch in der Berichterstattung vorkommen. "Es wird oft berichtet, welche Einschränkungen Menschen mit Behinderung haben, aber nicht, was sie leisten und was sie gut können", bemängelt Prodöhl.

Prekäre Situation

Die "andererseits"-Redaktion trifft sich alle zwei Wochen zu einer Sitzung – derzeit aufgrund der Corona-Pandemie online. Viele der Teilnehmer studieren noch oder sind als freie Journalisten und Journalistinnen tätig. Niemand kann derzeit bezahlt werden. "Es ist eine eher prekäre Situation", gesteht Brunner. Das solle sich im besten Fall aber in Zukunft ändern.

Nachdem klar ist, welche Themen von wem bearbeitet werden sollen, arbeitet meistens eine Person ohne Behinderung mit einer Person mit Behinderung zusammen. "Manche brauchen mehr Unterstützung bei der Recherche, manche mehr bei der Interviewführung. Andere sind komplett selbstständig", erklärt Brunner.

Die so entstehenden Beiträge drehen sich nicht nur um das Leben und die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen. "Es geht vor allem darum, dass Menschen mit Behinderung die Geschichten gestalten", sagt die 25-jährige Mitgründerin. Vor kurzem entstand ein Schwerpunkt zum Thema Mut. Dabei erschien unter anderem ein Porträt über Osama Abu El Hosna, der im Zuge des Wiener Terroranschlags einem verwundeten Polizisten half. Eine Podcast-Ausgabe befasst sich mit der deutschen Kapitänin und politischen Aktivistin Carola Rackete. Manche der Texte zum Thema Mut sind in einer von "andererseits" gestalteten Beilage in der aktuellen Ausgabe der Wiener Straßenzeitung "Augustin" zu finden.

Kooperationen

Der Text "Auf den zweiten Blick" von Ende Februar ist dagegen persönlicher Natur. Franziska Bock schreibt darüber, dass sie als 27-Jährige mit sichtbarer Behinderung ohne zu fragen immer noch eine Frankfurter von einem Fleischhauer geschenkt bekommt. Dabei studiert sie und kann selbstständig leben. Es gelte eine Balance zu finden: "Menschen mit Behinderung dürfen nicht nur wegen ihrer Einschränkung abgestempelt werden, aber man darf diese und die damit verbundenen Hindernisse auch nicht kleinreden oder ignorieren."

Manchmal kooperiert "andererseits" mit anderen Medien. Ein Text von Hanna Gugler, in dem sie über ihre Beziehung zu ihrem Freund in Zeiten der Corona-Pandemie schreibt, erschien etwa im STANDARD.

Die Kooperationen seien jedoch ein "zweischneidiges Schwert", meint Brunner. Einerseits haben die Texte bei etablierten Medien ein größeres Publikum, doch wenn "andererseits" die Texte liefert, finde keine Inklusion in der Redaktion des Mediums selbst statt. "Optimal wäre es, wenn wir inklusives Arbeiten auch in andere Redaktionen bringen." Dadurch würden auch dort Journalisten und Journalistinnen ihre Arbeit umgestalten und offener für neue Textformate sein, so die junge Mediengründerin. Dass es dafür höchste Zeit ist, steht für sie fest: "Die Medienlandschaft müsste generell umdenken." (APA, 15.4.2021)