Nach fünf Monaten Corona-bedingt ohne physischen Kontakt wirkt die erste Umarmung, auch wenn sie unter widrigen Umständen zustande kommt, wie eine Befreiung – sowohl für Rosa Luzia Lunardi (85) als auch für die Krankenschwester Adriana Silva da Costa Souza. Ein sogenannter "hug curtain" machte diesen Kontakt nach Monaten der Abstinenz möglich. Der Vorhang schützt vor einer möglichen Infektion mit dem Coronavirus. Dokumentiert hatte die berührende Umarmung der dänische Fotograf Mads Nissen.
Für seine Aufnahme aus einem brasilianischen Pflegeheim in São Paulo vom 5. August 2020 wurde er am Donnerstag mit dem World Press Photo Award 2021 für das weltbeste Pressefoto des Jahres ausgezeichnet. "Die Hauptbotschaft dieses Bildes ist Empathie", sagt Nissen, es zeige Liebe und Mitgefühl. Nissen arbeitet seit 2014 für die dänische Zeitung "Politiken" und als freier Fotograf für Zeitschriften und Magazine wie "Newsweek", "Der Spiegel", "Stern", "The Sunday Times" oder "Time".
Kampf der Einsamkeit
"Dieses äußerst kraftvolle Bild zeigt uns, wie man Einsamkeit heilen kann", lautet die Begründung der Jury. Und: Das ikonische Foto spiegle eine Vielfalt an Emotionen wider wie "Verwundbarkeit, Liebe, Verlust, Trennung, Untergang, aber eben auch Überleben", heißt es weiter. Es stehe stellvertretend für Hoffnung in Zeiten der Pandemie.
Brasilien gehört zu den Ländern weltweit, die am stärksten von Covid-19 betroffen sind. Bis jetzt sind über 350.000 Menschen daran gestorben.
Mehrfach ausgezeichnet
Für Mads Nissen ist es nicht die erste Auszeichnung beim weltweit wichtigsten Fotopreis: Er reüssierte bereits im Jahr 2015 in der Kategorie Pressefoto des Jahres mit einer Aufnahme eines schwulen Paares, fotografiert in intimer Atmosphäre in St. Petersburg, die im Rahmen einer Serie zu Homophobie in Russland entstand.
Nissen dokumentierte zuvor etwa die Nahrungsmittelkrise im Niger, die Überbevölkerung auf den Philippinen oder den Regenwald am Amazonas.
"Mein Anspruch ist, Geschichten zu machen, die mich tangieren, für die ich brenne", sagte Nissen im Jahr 2015 in einem STANDARD-Interview über seine Arbeit als Fotograf. "Wenn ich arbeite, versuche ich, das Resultat auszublenden und meiner Intuition zu folgen. Also mehr mit dem Bauch statt mit dem Hirn. Ich vergleiche es gern mit Tanzen. Denkst du zu viel nach, verlierst du den Rhythmus."
Fotos aus Gefängnis
Beim World Press Photo Award 2021 gewinnt der Italiener Antonio Faccilongo mit seiner Getty-Reportage über palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen in der Kategorie "Story of the Year".
Der Fotograf möchte die Auswirkungen des Konflikts auf palästinensische Familien zeigen, er "konzentriere sich nicht auf Krieg, militärische Aktionen und Waffen, sondern auf die Weigerung der Menschen, sich der Inhaftierung zu ergeben, und auf ihren Mut und ihre Ausdauer, in einer Konfliktzone zu überleben", so die Jury. Faccilongo nannte seine Reportage "Habibi", was auf Arabisch "meine Liebe" bedeutet. Seine Fotos definiert er als Versuch, "kulturelle Brücken zu bauen und Leute zusammenzubringen".
Kein körperlicher Kontakt
Derzeit befinden sich über 4.000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Die Besuchsmöglichkeiten sind stark reglementiert. Körperlicher Kontakt mit Besuchern ist nicht erlaubt – außer mit den Kindern. Die Fotoserie entstand vor dem Hintergrund, dass es Versuche gibt, Sperma aus dem Gefängnis zu schmuggeln, um Familien zu gründen. Als Transporteure fungieren Behälter, die die Kinder übergeben.
Insgesamt wurden dieses Jahr mehr als 75.000 Arbeiten von rund 4.300 Fotografen eingereicht. Die 45 Gewinner kommen aus 28 verschiedenen Ländern.
In Österreich sind die weltbesten Pressefotos traditionell in der Wiener Galerie Westlicht zu sehen. (Oliver Mark, 15.4.2021)

Das "World Press Photo 2021" des Dänen Mads Nissen: Umarmung einer Krankenschwester und einer 85-jährigen Frau in einem brasilisanischen Pflegeheim.
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In der Kategorie "Story of the Year" gewinnt der Italiener Antonio Faccilongo mit seiner Getty-Reportage über palestinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen.
Der Fotograf möchte die Auswirkungen des Konflikts auf palästinensische Familien zeigen, er "konzentriere sich nicht auf Krieg, militärische Aktionen und Waffen, sondern auf die Weigerung der Menschen, sich der Inhaftierung zu ergeben, und auf ihren Mut und ihre Ausdauer, in einer Konfliktzone zu überleben". Faccilongo gewann mit seiner Serie auch die Kategorie "Long Term Projects".

In der Kategorie "Contemporary Issue": Dieses Foto von Fatima und ihrem Sohn beim Angeln. Aufgenommen wurde es in Jemen von Pablo Tosco, Argentina.
Erster Preis in der Kategorie "Environment Single" kommt von Ralph Pace, United States.
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Platz ein bei "Environment Stories": Pantanal Ablaze, Lalo de Almeida, Brazil, Panos Pictures for Folha de São Paulo.
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Bei "General News Stories" gewann Valery Melnikov mit "Paradise Lost", Russia, Sputnik.
Mit diesem Foto einer Rettung von Giraffen holte Ami Vitale den ersten Preis bei "Nature Single".
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Bei "Nature Stories" gewann Jasper Doest aus den Niederlanden mit "Pandemic Pigeons – A Love Story".
Dieses Foto einer Transgender-Person mit Freundin vom russischen Fotografen Oleg Ponomarev gewann den ersten Preis in der Kategorie "Portraits – Singles".
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Bei "Portraits – Stories" holte Gabriele Galimberti für "National Geographic" Platz eins.
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Mit "Log Pile Bouldering" entschied Adam Pretty, Australia, Getty Images, die Kategorie "Sports – Singles" für sich.
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Bei "Sports – Stories" gewann Chris Donovan, Canada, mit "Those Who Stay Will Be Champions".
Platz eins bei "Spot News – Singles" geht an Evelyn Hockstein für "The Washington Post" mit ihrer Aufnahme "Emancipation Memorial Debate".
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Alexey Vasilyev gewinnt den ersten Preis bei "Contemporary Issues Stories", die beiden russischen Buben Semyon and Stepan spielen mythische Figuren in einem Film.
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Die Kategorie "Spot News – Stories" geht an Lorenzo Tugnoli ("Contrasto", Italien). Seine Aufnahme zeigt die verheerende Explosion in Beirut.
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