Wir wollen Kunst! Wir brauchen Kunst! Damit stimmen wir nicht in den Reigen ein, wonach die Covid-19-Pandemie zeige, dass wenn's um nichts geht, die Politik immer den Mund voll nimmt, wie wichtig doch Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft ist, aber, kaum kommt mal der Ernstfall, die Kunst schnell vergessen sei. Vielmehr sind die Ausrufe seit jeher rechtspolitische Essenz des Urheberrechts: Die Vision ist, dass der Geist und die Freude unserer Gemeinschaft am besten gefördert werden, wenn die Kreativen gesetzlich geschützt sind. Das soll sie motivieren, weiter für uns Kunst zu schaffen.

Andererseits ist Common Sense, dass der Schutz nur so weit gehen darf, dass unsere Gesellschaft nicht vom Nutzen ungebührlich ausgeschlossen wird. Auch andere Kreative dürfen nicht in ihrem Schaffen gehindert werden. Dieser Balanceakt ist dem Urheberrecht in die Wiege gelegt.

Bis 7. Juni 2021 ist eine weitere EU-Urheberrecht-Richtlinie, nämlich zum Digital Single Market (DSM-RL), ins nationale Recht der Mitgliedsstaaten umzusetzen. Die DSM-RL enthält auch Regelungen zum berüchtigten "Upload-Filter" für Online-Plattformen. Wieder wird vorhergesagt, dass die Veränderungen und die technischen Schutzmaßnahmen das fragile Gleichgewicht der Urheberrechtsindustrie zum Einsturz bringen könnten. Auch die Nutzung zu Zwecken der Karikatur oder der Kritik könnten betroffen sein. Schlauer wäre es wohl, wenn sich die Player auf praktikable Selbstregulierung einigen würden

Schranken für unser aller Wohl

Nicht jedes "Werk" ist urhebergesetzlich geschützt, und wenn urhebergesetzlicher Schutz grundsätzlich gewährt wird, ist dieser durch sogenannte "freie Werknutzungen" beschränkt. Im Gesetz wurden somit feine Justierungen vorgenommen, um eine gerechte Balance herzustellen. Technische Entwicklungen erfordern es aber laufend, die Stellschrauben nachzuziehen. So wurde etwa das neue Verwertungsrecht des Öffentlich-zur-Verfügung-Stellens durch die Entwicklung des Internets eingeführt. In den letzten Jahren wurde der Markt für Online-Inhalte aber noch komplexer: Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten sind zu einer Hauptquelle der Online-Nutzung geworden. Dabei werden von Nutzern oft Inhalte hochgeladen und geteilt, welche urhebergesetzlichem Schutz unterliegen. Das nahm die EU zum Anlass, die DSM-RL zu erlassen. Nach Kritikern der DSM-RL wurde dabei übersehen, dass rein faktisch nicht alle vom Urheberrecht erfassten Schutzgegenstände gleichermaßen vom Teilen über solche Plattformen erfasst sind.

"Bunte Gesellschaft" an Schutzgegenständen

Das österreichische Urheberrechtsgesetz ("UrhG") schützt nämlich Unterschiedliches und nicht alles wird online geteilt: Im Kern werden Werke der Literatur und der Kunst geschützt. Dahinter tun sich umfassende und wohl zum Teil auch überraschende Schutzgegenstände auf den Gebieten der Literatur, der Tonkunst, der bildenden Künste und der Filmkunst auf. So können Computerprogramme (Software) als Sprachwerke geschützt sein. Auch choreografische und pantomimische Werke gelten als Werke der Literatur. Zu den Werken der bildenden Künste zählen auch die Werke der Lichtbildkunst (Lichtbildwerke), der Baukunst und der angewandten Kunst (des Kunstgewerbes). Weiters können "Sammelwerke" infolge der Zusammenstellung einzelner Beiträge zu einem einheitlichen Ganzen geschützt sein; so auch Datenbank-Werke. Begleitend regelt das UrhG auch den Schutz von technischen Maßnahmen (Digital Rights Management) und den Schutz von Kennzeichnungen (©-Watermarks).

Neben den eigentlichen Urheberrechten gewährt das UrhG auch Schutzrechte für bestimmte Leistungen, nämlich sogenannte "Leistungsschutzrechte". So erhalten ausübende Künstler, Veranstalter, Investoren in Datenbanken und Hersteller von Lichtbildern, von Schallträgern oder von Rundfunksendungen und diejenigen, welche alte, bisher nicht veröffentlichte Werke (nachgelassene Werke) veröffentlichen, gesetzliche Ausschließungsrechte.

Eigentlich nicht ins Urheberrecht passend, weil es sich um Persönlichkeits- beziehungsweise Lauterkeitsrecht handelt, werden auch "Briefschutz", das "Recht am eigenen Bild" und "Nachrichten- und Titelschutz" im UrhG geregelt.

Upload-Filter: gerecht(fertigt)e Verteilung von (Impf-)Schutz?
Zeichnung: Daniel Jokesch

Doch Recht haben und Recht bekommen, ist bekanntlich ein wesentlicher Unterschied. Wie oben angedeutet, stellen Online-Plattformen die Rechtsdurchsetzung vor weitere praktische Probleme.

Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist

Karl Valentin hat damit wohl weder die Lage des Kulturbetriebs beziehungsweise Urheberrechts noch die Unfähigkeit der Regierenden, ein effizientes, korruptions- und missbrauchsfestes Corona-Impfmanagement, insbesondere für junge Hochrisikopatienten, aufzusetzen, vorhergesagt. Die Hoffnung, dass die Covid-19-Krisen, Lockdowns und die damit einhergehende Entschleunigung zu – in der Terminologie von Bernd Marin in "Die Welt danach" – "Kollateralnutzen" führt, hat sich auch bei der Novelle des Urheberrechts nur bedingt bewahrheitet. Wir brauchen in Zeiten wie diesen umso mehr Achtsamkeit und Visionen – und Visionen dürfen entgegen der Ansicht unseres Altbundeskanzlers keinen Ruf nach einem Arzt auslösen.

Visionen sollen auch nicht ausschließlich der Jugend vorbehalten sein. Deren Politikinteresse ist auch tatsächlich größer, als manch selbst davon Verdrossener proklamiert. Das zeigt exemplarisch, dass die Gretchenfrage kürzlich von einem Zehnjährigen gestellt wurde: "Max, nun sag’, wie hast du’s mit der Art 17-Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon." Doch wie jeder Kern – und nicht nur jener des Faust’schen Pudels – ist das Kernproblem doch viel komplexer: Die DSM-RL behandelt einige auszubalancierende Themen, von der Erleichterungen für Forschungseinrichtungen bis hin zum Urhebervertragsrecht und auch die Haftung von Online-Plattformen, wobei letztgenannte Regelungen unter dem Schlagwort "Upload-Filter" läuft.

Code darf nicht Gesetz sein

Lawrence "Larry" Lessig sagte vor mehr als 20 Jahren in seinem "Code and Other Laws of Cyberspace" voraus, dass die per Programmiercode aufgestellten Regeln die Gesetze ablösen beziehungsweise die Letztgenannten den Codes nicht mehr die Stirn bieten können, die in Demokratien erforderlich wären. Wenn man sich die Marktkonzentrationen mancher Code-Based-Companies, wie Google, Apple, Facebook und Amazon (oft "GAFA" genannt), ansieht, irrte Larry nicht gänzlich. Viele Online-Plattformen – als Beispiel das zu Google gehörende YouTube – dienen dazu, einen breiteren Zugang zu kulturellen und kreativen Werken zu schaffen. Diese Plattformen bieten der Kultur- und Kreativwirtschaft umfangreiche Möglichkeiten, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Sie bringen aber auch rechtliche und faktische Herausforderungen mit sich. Die DSM-RL versucht dies durch Regelungen zur Förderung von Lizenzen – im österreichischen Urheberrecht "Werknutzungsbewilligungen" genannt – zwischen Rechteinhabern und Online-Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten zu fördern. Diese Lizenzen sollen grundsätzlich auch den Nutzern zugutekommen, also auch deren Nutzung legitimieren, soweit die Nutzer mit ihrer Tätigkeit keine erheblichen Einnahmen erzielen; ein praktisch wohl schwieriges Abgrenzungskriterium, insbesondere bei Influencern.

Lessig postulierte schon damals, dass es schwere Zeiten für richtige Lösungen seien, aber leichte Antworten auf die Debatten von gestern werden uns nicht zu einer richtigen Lösung führen. Das Urheberrecht ist ein plakatives Beispiel dafür: Einst waren die Autoren wohlhabend oder durch die Kirche finanziert und mussten Bücher literally abgeschrieben werden. Also gab es faktisch keinen Bedarf für gesetzlichen Schutz. Der Buchdruck läutete die Urhebergesetzwerdung ein. Als Fotokopierer eine Bedrohung heraufbeschworen, änderte man die Gesetze, um gerechten Ausgleich für die Rechteinhaber zu schaffen. Als Videogeräte in den Haushalten Fernsehsendungen aufzeichnen konnten, wurde das Gesetz entsprechend geändert. Das Gesetz konnte die durch technische Entwicklungen hervorgerufene Bedrohungen relativ erfolgreich ausgleichen. Aber auch der Umstand, dass Kopien qualitativ schlechter waren als das Original, half faktisch den Rechteinhabern. Doch die Online-Welt hat neben perfekten Kopien auch eine Dynamik gebracht, der keiner mehr Herr zu werden scheint.

"Upload-Filter" als faktisches Gesetz

Wie angesprochen, versucht die DSM-RL durch Regelungen zur Förderung von Lizenzen zwischen Rechteinhabern und Online-Plattformen das Teilen von Online-Inhalten zu fördern. Aber wenn keine Lizenz erteilt wurde, müssen die Plattformen angemessene Anstrengungen ergreifen, um zu verhindern, dass über die Plattform Inhalte ohne Lizenz durch Nutzer verfügbar gemacht werden. Das kann wohl faktisch ausschließlich über automatisierte Prozesse, eben "Upload-Filter", welche die Daten automatisch "kontrollieren", umgesetzt werden. Hierfür sollen nach der DSM-RL die Rechteinhaber den Plattformen unter Berücksichtigung der Größe der Rechteinhaber, der Art ihrer Werke und sonstigen Faktoren die einschlägigen und notwendigen Informationen bereitstellen. Also kommen mit der DSM-RL nicht nur auf die Plattformen, sondern auch auf die Rechteinhaber neue Pflichten zu. Spannend wird, wie die Plattformen prüfen sollen, ob die gemeldeten Werke wirklich und – insbesondere bei User-Generated-(Mit)-Content – für wen sie geschützt sind.

Des Pudels Kern der "Upload-Filter" ist aber, dass sie Einfallstor von Überwachungsdruck und schlussendlich Zensur sein können. Auch wenn die DSM-RL anspricht, dass die Mittel angemessen und verhältnismäßig sein müssen, um dem Urheberrechtsschutz zu dienen, sind diese Kehrseiten der Medaille nicht auszuschließen. Wir haben ja spätestens seit dem Corona-Impf-Fiasko gelernt, dass Missbrauch dort passiert, wo er ermöglicht wird; umso mehr, wenn er unter dem Anschein legitimer Interessen oder gar bestehender Regelungen erfolgt. Die dagegen von der DSM-RL vorgesehenen Transparenzpflichten der Plattformen und Beschwerdestellen für Nutzer können wohl nicht effizient helfen, weil "Upload-Filter" technische Fakten schaffen, die praktisch nur schwer umgestoßen werden können.

Wo kein Kläger, da kein Kampf gegen Filter?!

Die Grenzen der freien Meinungsäußerung und auch der Kunstfreiheit, also insbesondere der zulässigen Kritik, Karikatur, Parodie und dergleichen, sind ja seit jeher in nahezu jedem einzelnen Fall bis zu den Höchstgerichten umstritten. Auf solche Rechte gestützte Versuche, Ausnahmen von den technisch vorgegebenen Filtern zu erreichen, wird schon rein faktisch ein Berg-Auf-Kampf zulasten dieser Rechte werden. Und anonyme Meinungsäußerung wird in diesem Zusammenhang wohl faktisch gänzlich unmöglich werden, weil es ja der Bekämpfung der normativen Kraft des Faktischen der Filter der Plattformen bedarf und dafür ist ein "Kläger" notwendig.

Daran wird wohl wenig ändern, dass die Arbeitsgruppenentwürfe zur die DSM-RL umsetzenden österreichischen Urheberrechts-Novelle 2021 des Bundesministeriums für Justiz vom Dezember 2020 vorsehen, dass der Nutzer vor oder beim Hochladen angeben kann, dass diese Nutzung zu Zwecken der Karikatur, der Parodie, der Pastiches, der Kritik oder der Rezension erfolgt und deswegen erlaubt sei, wenn dies für den Anbieter einer großen Online-Plattform offenkundig ist.

Lessig hatte schon damals richtig erkannt, dass eine wichtige Dimension des Urheberrechts darin liegt, dass es zwar dem Schutz der Rechteinhaber dient, dieser Schutz aber keineswegs absolut sein darf. Mögen "Upload-Filter" in klaren Piraterie-Fällen der 1:1-Kopien – insbesondere von Filmen und Musiktiteln – eine praktisch wirksame und daher angemessene Maßnahme sein, wird es in allen anderen Bereichen sehr schnell "grau". Da hilft auch nicht, dass wir inzwischen an graue Baby-Elefanten gewohnt sind. Es wird schlicht und ergreifend zu kompliziert für allgemein gültige Regeln.

Das haben die Player in Deutschland erkannt und eine "Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII)" als eine unabhängige Experten-Stelle eingerichtet. Sie wurde von Internetzugangsanbietern und Rechteinhabern gegründet, um nach objektiven Kriterien prüfen zu lassen, ob die Sperrung des Zugangs zu urheberrechtsverletzenden Webseite erfolgen soll. Das wäre wohl auch bei Plattformen ein besserer Ansatz als "Upload-Filter", die normativ anmutende Fakten ohne Einzelfallprüfung schaffen.

Wir wollen keinen Überwachungsdruck durch Polizei-Roboter, weder auf unseren Straßen noch virtuell. Schon gar nicht wollen wir solche, welche durch (über)mächtige Unternehmen betrieben werden. (Max Mosing, Daniel Jokesch, 22.4.2021)