Erheben ihre Stimme: Doris Uhlich (rechts) und Georgij Makazaria.

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Es ist ruhig geworden rund um Kunst und Kultur. Seit einem halben Jahr sind die Kulturstätten geschlossen, nur die Museen durften zwischendurch immer wieder aufsperren. Die großen Leidtragenden sind die Künstlerinnen und Künstler. Wie geht es ihnen nach einem Jahr Pandemie? Und wie sehen sie ihre Zukunft? Ein Gespräch mit der Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich und dem Sänger und Schauspieler Georgij Makazaria von der Band Russkaja.

STANDARD: Unser Thema ist: Wie geht es den Kulturschaffenden? Können Sie diese Frage nach einem Jahr Pandemie überhaupt noch hören?

Makazaria: Ich kann diese Frage nicht oft genug hören. Uns Künstlern geht es nicht gut. Mir persönlich geht es zwar finanziell einigermaßen, ich bin froh, dass ich in Österreich lebe und halbwegs eine Unterstützung bekomme. Aber ich kenne Kollegen in anderen Ländern, die kriegen gar nichts. Und ja: Mir fehlen die Bühne, die Menschenmassen, das schreiende, hüpfende und im Kreis laufende Publikum.

Uhlich: Die Frage ist wichtig, auch wenn ich selbst in einer Krise bin, darüber zu sprechen, weil einfach so viel schon darüber gesprochen wurde. Man sehnt sich so sehr nach Perspektiven. Emotional geht es mir schlecht, die derzeitige Situation ist beunruhigend und aufrüttelnd, vor allem wenn ich höre, dass der Herbst wackelt. Glücklicherweise geht es mir durch eine Konzeptförderung finanziell gut. Zudem probe und unterrichte ich.

STANDARD:In Österreich sind, gemessen an anderen Ländern, viele Hilfen an Künstler geflossen. Reichen sie aus?

Makazaria: Ich kann nur von mir sprechen, meine Familie und ich machen derzeit keine großen Urlaube, zum Anziehen brauche ich nicht viel, wir kommen gut zurecht. Die Tatsache, dass ich wöchentlich in Willkommen Österreich auftrete, hilft auch. Ich kriege aber auch mit, dass Leute sich zunehmend beruflich umorientieren. Nicht nur Künstler.

Uhlich: Ein Tausender reicht zum Leben nicht aus, ich kriege aus meinem Umfeld mit, dass viele Menschen wirklich leiden. Auf lange Sicht sind die Hilfen zu wenig. Viele stehen vor großen Problemen, die Reserven sind aufgebraucht. Bei den Hilfen muss nachgelegt werden. Stichwort: Koste es, was es wolle.

STANDARD: Vielen Künstlern geht es ähnlich wie Ihnen, dennoch ist es sehr leise rund um Kunst und Kultur geworden. Warum ist das so?

Uhlich: Es hat viel mit fehlender Energie zu tun. Man schlägt ein paarmal Alternativen vor, aber dann wird es schwierig, sich weiterhin zu motivieren und immer wieder neue Anläufe zu nehmen. Es brodelt in allen. In jedem Supermarkt drängeln sich die Menschen, man merkt, es ginge auch in der Kultur anders, es bräuchte aber eine andere Lobby, eine, die nach vorne prescht und für alle spricht. Gleichzeitig reden wir in unserem Bereich von Livekunst, von Performances mit beweglichem Publikum, von Dancefloors. Ich denke, es ist vielen bewusst, dass sich diese Formate schlecht mit dem Virus vertragen. Es könnte auch als ein Zeichen von Solidarität verstanden werden, wenn sich die Kulturszene angesichts der angespannten Situation in den Krankenhäusern zurücknimmt.

STANDARD: Hat der Wirklichkeitssinn über den Möglichkeitssinn gesiegt, um mit Musil zu sprechen?

Makazaria: Unsere Möglichkeiten aufzutreten sind weggefallen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht systemrelevant sind. Wir Künstler haben jetzt aber viel Zeit, Sachen im Bereich Songwriting oder Merchandising vorzubereiten. Und das machen die meisten von uns auch. Alternativen gibt es einige.

STANDARD: Der digitale Raum steht zur Verfügung.

Uhlich: Ich komme aus der Livekunst. Der Schritt in die digitale Welt erfordert viel neues Wissen. Dieses muss man sich erst einmal aneignen. Ich nehme die Herausforderung, Arbeiten im digitalen Raum zu denken, gerne an. Für die Zukunft wird diese Kompetenz immer wichtiger werden. Die Frage ist aber, inwieweit das digitale Universum mit der Arbeit, für die man steht, in Kommunikation treten kann. Im digitalen Raum gelingt vieles nicht. Hier Qualität zu schaffen braucht Zeit, Geld und Erfahrung.

Makazaria: Zudem stehen wir im digitalen Raum in Konkurrenz zu den ganz Großen. Warum sollte man sich für Russkaja ein Onlineticket kaufen, wenn man auch einen Superstar sehen kann? Es wird darauf ankommen, ob man es schafft, etwas Neues und Interessantes zu bieten. Sich hinzustellen und an 40 Locations dasselbe Konzert zu spielen, das funktioniert online nicht. Das Gute ist aber, dass man im digitalen Raum viel mehr Menschen erreichen kann.

STANDARD: Haben Sie das bei Ihren Onlinekonzerten geschafft?

Makazaria: Wir haben bei unseren Konzerten keinen Eintritt verlangt, sondern die Möglichkeit angeboten, freiwillig etwas zu bezahlen. Die Technik hat uns 2500 Euro gekostet, die Einnahmen waren genau so hoch. Verdient haben wir also nichts. Wir haben allerdings auch kaum Geld in die Promo gesteckt. Da ginge sicher mehr.

Uhlich: Bei Onlineformaten bin ich noch in der Babyphase. Für meine nächste Premiere, die im Herbst stattfinden soll, mache ich mir diesbezüglich viele Gedanken. Was ist, wenn die Mutationen zuschlagen? Wie kann ich dann das Netz nutzen? Wirklich aktiv bin ich bei Onlineworkshops. Erst gestern hatte ich einen Nackttanz-Workshop.

STANDARD: Für Ihre letzte Arbeit, "Habitat", bei der 120 nackte Menschen auf der Bühne waren, haben Sie eine Pandemieversion erarbeitet. Wie leicht fällt Ihnen die Adaption an neue Gegebenheiten?

Uhlich: Am Anfang dachte ich noch, ich möchte der Pandemie voraus sein. Mit viel Interesse und Leichtigkeit habe ich mich an die neuen Gegebenheiten angepasst. Bei Habitat ist mir das vielleicht auch deswegen gelungen, weil mich die Tatsache, dass da so viele nackten Menschen auf der Bühne sind, herausgefordert hat. Ich habe mir selbst eine Utopie in der Dystopie erschaffen, indem ich mithilfe von "Ganzkörperkondomen" einen Weg gefunden habe, Nähe und Distanz zu thematisieren. Das hat mich viel Kraft gekostet. Meine Konzepte mussten sich mit der Pandemie mitentwickeln.

Makazaria: Wir haben die Hoffnung, im Herbst wieder auftreten zu können, bereits aufgegeben. Die Booker empfehlen uns, uns auch für 2022 mit einer Tournee Zeit zu lassen. Am Anfang des Jahres werden erst einmal die Großen touren, für uns Kleinen ist kein Platz. Die Szene kannibalisiert sich selbst.

STANDARD: Treten sich im Tanzbereich die Gruppen auch auf die Zehen? Es gibt wenige Koproduktionshäuser und viele freie Gruppen.

Uhlich: Die Frage bei uns ist eher, inwieweit Häuser überhaupt das Risiko eingehen können, jemanden einzuladen. Man weiß nicht, ob man nicht wieder absagen muss. Bei der Einladungsdynamik merke ich eine große Verlangsamung, Konkurrenzdruck nehme ich weniger wahr. Was es aber schon gibt, ist, dass Veranstalter einen bitten, Arbeiten zu streamen. Damit es bei all den Verschiebungen zu keinen Staus kommt. Auch die eigenen Stücke stehen plötzlich miteinander in Konkurrenz. Man muss sich entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit man neue Stücke erarbeitet.

STANDARD: Wird die Kulturszene nach der Pandemie anders ausschauen als zuvor?

Uhlich: Reisen werden ein großes Thema werden. Wenn Künstler auf Tournee gehen, dann werden sie das besser mit den einzelnen Theaterhäusern abstimmen, die ihrerseits besser zusammenarbeiten werden müssen. Ich denke, dass Sicherheitskonzepte Teil der ästhetischen Konzepte werden.

Makazaria: Das Publikum wird sich in zwei Hälften teilen: Die einen halten es nicht mehr aus und werden auf Konzerte etc. gehen. Die anderen werden weiterhin daheimbleiben. Das wird uns noch längere Zeit begleiten. Leider.

STANDARD: In welches Projekt werden Sie sich stürzen, wenn die Pandemie vorbei ist?

Uhlich: Diese Vorstellung ist so utopisch, ich kann mir eine Welt ohne Pandemie oder pandemische Narben nicht mehr vorstellen. Mein Traum ist, dass wir die Furcht vor dem eigenen und vor anderen Körpern ablegen, dass wir wieder weltoffen sind. Dass ich wieder international arbeiten kann.

Makazaria: Von dieser Welt träume ich jeden Tag. Bei Russkaja haben wir einen Song, bei dem das Publikum im Kreis läuft, und einen anderen, wo es seine Probleme rausschreit. Diese Songs will ich wieder live vor Publikum spielen. (Stephan Hilpold, 18.4.2021)