Rudolf Anschober erzählte bei seinem Rücktritt als Gesundheitsminister von Drohungen gegen ihn und nahe Verwandte. Auch an der Wohnadresse von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (hinten) waren bereits höhere Sicherheitsvorkehrungen nötig.

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Noch am Tag, an dem der scheidende Gesundheitsminister viele Menschen im Land mit seiner Rücktrittsrede berührte, weil er auch die Belastung durch Morddrohungen gegen ihn und ihm Nahestehende erwähnte, ging es in sozialen Medien wieder ab. Den "Gulag bis zum Tod" wünschte man Rudolf Anschober in einschlägigen Telegram-Gruppen. Und gegen seinen Nachfolger, Wolfgang Mückstein, zog der virtuelle Mob auch gleich los, kaum war sein Name bekanntgegeben worden.

Im Innenministerium kann man jedenfalls bestätigen, dass Drohungen, wüste Beschimpfungen und klassische Hassrede besonders auf Social-Media-Kanälen seit Beginn der Pandemie explodieren. Minister Karl Nehammer (ÖVP) hat das am eigenen Leib erfahren müssen: Ein Mann schrieb ihm per E-Mail, er solle "gut auf seine Kinder aufpassen". Es folgte eine rechtskräftige Verurteilung wegen gefährlicher Drohung.

Drohungen gegen Kinder

Beleidigungen und Drohungen sind zwar nichts Neues, aber: "Seit Corona ist es sicher noch schlimmer geworden", erzählt ein Sprecher des Innenministeriums. "Die Leute haben im Netz überhaupt keine Hemmungen mehr." Was die Polizei und das Innenministerium dagegen machen? "Das ist eine der sensibelsten Materien überhaupt, es ist eine ständige Gratwanderung zwischen Sicherheit und dem Eingriff in die Privatsphäre."

Die Arten des Personenschutzes seien divers: Da gibt es Personen, die allein bewacht werden, andere, wo man die ganze Familie schützen müsse; manche nur, wenn sie ihr Zuhause verlassen, etwa auf dem Weg zur Schule; manche aber selbst daheim; einige 24 Stunden am Tag, andere nur punktuell. Je nach Fall sind zum Beispiel Cobra oder LVT im Einsatz. "Und natürlich gibt es eine laufende Gefahreneinschätzung, wenn sich die Gefahrensituation verändert, etwa durch neue Briefe oder Postings auf Social Media", sagt der Mitarbeiter von Nehammer. Wer gerade aller Personenschutz bekomme, verrate man aus Sicherheitsgründen nicht. Menschen, die ihren Hass virtuell ausleben, müssen jedenfalls wissen, "dass nicht alles wurscht ist, was sie im Netz äußern", so der Sprecher, "denn vieles ist strafrechtlich relevant, es gibt immer wieder Amtshandlungen, Ausforschungen und sogar Verurteilungen, oft wegen Verhetzung".

Verbreitet wurde in Gruppen der Corona-Skeptiker beispielsweise die Privatadresse von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Bedroht wurde auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP): Nach Mordfantasien eines Facebook-Nutzers wurde ihre private Wohnadresse verstärkt überwacht. "Meiner Wahrnehmung nach haben sich die moralischen Grenzen der politischen Debatte in den letzten Jahren massiv verschoben. Dies kann auch an der zunehmend digital geführten Diskussion liegen. Dort ist man gefühlt anonymer, die Emotionen sind beherrschend, tonangebend, und man muss seinem Gegenüber nicht in die Augen sehen", so Tanner zum STANDARD.

Vor allem Justizministerin Alma Zadić (Grüne) sah sich direkt nach ihrem Amtsantritt mit einer Welle an Hasspostings konfrontiert. Es waren vor allem rassistische Inhalte, die einen großen Teil der Postings ausmachten. Von rechter Seite wurde Zadić etwa unter anderem in Verbindung mit dem radikalen Islam gebracht, obwohl sie selbst ohne Bekenntnis ist. Neben rassistischen Beleidigungen habe es auch Drohungen gegeben, sagt das Justizministerium. Sowohl per E-Mail als auch auf Social-Media-Accounts.

"Wutwellen" gegen Ministerin

Diese Drohungen seien im letzten Jahr "immer wieder wellenartig" aufgetreten. Das Auftreten dieser "Wutwellen" scheine mit der medialen Präsenz der Ministerin oder den jeweiligen Themen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, zusammenzuhängen.

Inhaltlich beziehen sich diese häufig sexistischen Posts nicht auf die Politik Zadićs, heißt es aus dem Ministerium. Sondern vielmehr auf ihre Herkunft oder das Geschlecht. In "einigen krassen Fällen" entschied die Ministerin, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen. In eine Anstalt eingewiesen wurde beispielsweise ein 68-Jähriger, der in rechtsextremen Kreisen bestens vernetzt ist. Er hatte geschrieben, dass die damals schwangere Zadić die Geburt ihres Kindes "sicher nicht" erleben würde. In den Maßnahmenvollzug kam der Mann aber nicht deshalb – dafür sei die Drohung laut Staatsanwaltschaft zu unkonkret gewesen; sondern weil er Belohnungen für das Foltern von Muslimen ausgeschrieben hatte.

Seit fünf Jahren gibt es bei der Wiener Staatsanwaltschaft eine Sondergruppe, die sich mit Verhetzung, Verstößen gegen das Verbotsgesetz und speziellen Formen von Beleidigung beschäftigt. Fünf Staatsanwälte bearbeiten den Themenkomplex. 2019 sind 525 Personen wegen Verhetzung oder Wiederbetätigung in den Fokus geraten, in 78 Fällen kam es zu einer Anklage. Ein Anstieg war im letzten Jahr nicht feststellbar, heißt es bei der Staatsanwaltschaft. Was man aber feststellen könne, sei, dass es im Zusammenhang mit Corona-Demos zu Vorfällen komme, bei denen Maßnahmen der Regierung mit Nazi-Methoden verglichen werden. (Vanessa Gaigg, Colette M. Schmidt, Nina Weißensteiner, Fabian Schmid, 18.4.2021)