Sie habe immer schon gerne Grenzen überschritten, erklärt Eva Glawischnig ihren Wechsel zu Novomatic. Mit den Grünen habe sie sich wieder ausgesöhnt.

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Im Mai 2017 trat Eva Glawischnig als Bundessprecherin der Grünen zurück, aus gesundheitlichen Gründen, wie sie damals sagte. Im darauffolgenden Jahr heuerte sie zum Entsetzen vieler Parteifreundinnen beim Glücksspielkonzern Novomatic an. Derzeit ist Glawischnig in Bildungskarenz – und sucht wieder die Veränderung.

STANDARD: Sie werden nicht zu Novomatic zurückkehren. Was wollen Sie machen?

Eva Glawischnig: Ich werde mich mit 1. Juli als Beraterin im Bereich Nachhaltigkeit selbstständig machen. Ich habe gemerkt, dass mein Herz nach wie vor ganz stark für diesen Bereich schlägt.

STANDARD: Das ist ein ziemlicher Themenwechsel vom Glücksspiel zur Nachhaltigkeit.

Glawischnig: Nein, meine Aufgabe bei Novomatic war ja auch das Management im Bereich Corporate Responsibility and Sustainability. Da geht es genau um diese Fragen: Wie erwecke ich diese Ziele der Nachhaltigkeit zum Leben? Das war meine Aufgabe.

STANDARD: Was haben Sie aus drei Jahren Novomatic mitgenommen?

Glawischnig: Der Perspektivenwechsel ist sehr lehrreich. Wenn du aus der Politik kommst, machst du Vorgaben, arbeitest auf Gesetzesänderungen hin, änderst Rahmenbedingungen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur anderen Seite, wo die Zivilgesellschaft und die Unternehmen diese Vorgaben dann mit Leben erfüllen müssen. Ich habe auch gelernt, wie schwierig es ist, dieser Fülle an Vorgaben gerecht zu werden.

STANDARD: Sie haben quasi für die Bösen gearbeitet. Ihr Wechsel zu Novomatic hat hohe Wellen geschlagen und gerade bei den Grünen für Empörung gesorgt. Sie sind zum Klassenfeind, ins Reich des Bösen gewechselt. Warum haben Sie diesen Job überhaupt angenommen, war da auch eine gewisse Trotzreaktion dabei?

Glawischnig: Es gibt nicht Gut und nicht Böse. Es wird wenig Unternehmen in Österreich geben, die ich als Politikerin nicht kritisiert habe. Ich wollte wirklich etwas ganz anderes machen. Und ja, es war eine leichte Trotzhaltung auch dabei. Ich habe aber immer schon gerne Grenzen überschritten und andere Perspektiven gesucht. Auch deshalb war die Zeit bei Novomatic eine sehr wertvolle Erfahrung.

STANDARD: Und da war nie eine Spur von schlechtem Gewissen dabei? Sie haben für einen Glücksspielkonzern gearbeitet.

Glawischnig: Ein Leben ohne Brüche wäre kein Leben, in dem man auch etwas lernt. Ich habe meine Entscheidungen getroffen. Ich stehe auch zu mir selber.

STANDARD: Was war letztlich Ihr Motiv für den Abgang bei den Grünen?

Glawischnig: Ich habe neun Jahre lang die Partei geführt, das ist eine sehr, sehr lange Zeit. Ich war 17 Jahre lang in der Politik. Ich habe das gemacht, was ich kann, ich habe das gegeben, was ich geben kann. Mein Körper hat letztendlich eine Reaktion gesetzt, die mir diese Entscheidung aufgezwungen hat.

STANDARD: Haben Sie sich nicht ausreichend gewürdigt und geschätzt gefühlt? War das auch ein Grund für den Abgang?

Glawischnig: Die körperlichen Grenzen waren ausschlaggebend. Aber natürlich geschah das in einem Klima, das das befördert hat. Wenn man sich sehr bemüht, das Beste zu geben, es aber trotzdem nicht ausreicht und manche unzufrieden sind, wenn dann Kritik geübt wird – das ist mit Sicherheit nicht leicht. Und wenn das aus den eigenen Reihen kommt, tut man sich noch schwerer damit. Aber ich habe ganz großen Respekt vor allen, die sich jetzt bei den Grünen engagieren und die Entscheidung getroffen haben, in die Regierung zu gehen. Ich bin im Herzen eine Grüne und wünsche ihnen nur das Allerbeste.

STANDARD: Sie sind 2018 allerdings aus der Partei ausgetreten. Bleibt es dabei?

Glawischnig: Das war eine gemeinsame Entscheidung. Aber das Papier ist egal, ich bin und bleibe eine Grüne.

STANDARD: Es gibt eine deutliche Parallele zu Rudolf Anschober, der ebenfalls an seine körperlichen Grenzen gestoßen ist und die Notbremse ziehen musste. Letztlich hat er auch Reaktionen bis hin zu Morddrohungen nicht mehr ausgehalten. Wie geht man mit diesem Irrsinn um, der aus Social Media über einen hereinschwappt?

Glawischnig: Ich kann Anschober sehr gut verstehen. Er hat immer den direkten Kontakt mit Menschen gesucht, im Zug, auf der Straße. Wenn man das nicht mehr schrankenlos wahrnehmen kann, weil man bedroht wird, ist das eine enorme Umstellung. Plötzlich muss man auf sich selbst aufpassen, weil es Morddrohungen gibt. Die Social Media sind eine extrem brutale Welt, in der alles so schnell geht und Dinge nicht lange überlegt werden, ehe sie gepostet werden. Das ist eine neue Form der Kommunikation, mit der alle in der Politik umgehen lernen müssen.

STANDARD: Frauen sind von der Brutalität, die die Social Media mit sich bringen, offenbar noch härter betroffen.

Glawischnig: Ja, da kommt diese sexualisierte Gewalt dazu, diese Drohungen. Das ist eines meiner Projekte, die ich immer noch verfolge, gemeinsam mit Maria Windhager, die mir als Anwältin zur Seite steht. Die macht hervorragende Arbeit. Da gibt es wirklich Grenzverschiebungen hin zum Positiven – dank ihr, das muss ich sagen. Da haben uns die Grünen immer unterstützt.

STANDARD: Was gibt es für Strategien, als Politiker mit dieser Belastung umzugehen? Man ist permanent Beleidigungen und Demütigungen ausgesetzt.

Glawischnig: Das kann man sich nicht täglich anschauen, das muss auch nicht sein. Man braucht da eine gewisse Gelassenheit. Man muss Pausen machen können. Sieben Tage und 24 Stunden, das geht einfach nicht. Ich weiß, es ist ganz schwer, Pausen zu machen, aber ohne geht es einfach nicht. Das ist auch kein nachhaltiger Umgang mit dem Beruf. Das ist etwas, was ich gerne anbieten möchte: persönliches Coaching. Ich möchte meine Erfahrungen teilen, ergebnisorientiertes Führen, Stressresistenz, Konfliktmanagement, Verhandlungsführung, Sitzungsführungen, Umgang mit Interessenvertretern ...

STANDARD: Sie könnten Ihre Dienste Wolfgang Mückstein, dem neuen Gesundheitsminister, anbieten, der wird das brauchen.

Glawischnig: Ich wünsche ihm von Herzen alles Gute. Alle, die jetzt Verantwortung tragen, haben meinen allerhöchsten Respekt.

STANDARD: Was kann Mückstein besser machen als Rudolf Anschober?

Glawischnig: Dazu werde ich in der Öffentlichkeit nichts sagen.

STANDARD: Was sagen Sie zum Zustand der Koalition?

Glawischnig: Das mag ich auch nicht kommentieren. Bis 2050 wollen wir eine klimaneutrale Welt schaffen, das ist eine Herausforderung, wir müssen dabei auch soziale Ziele mitverfolgen. Wir müssen die EU wiederbeleben. Da ist eine Politik notwendig, die sich an Inhalten ausrichtet. Da muss es um die Sache gehen. Die Politik muss den Blick wieder auf das Wesentliche lenken.

STANDARD: Ist für Sie eine Rückkehr in die Politik denkbar?

Glawischnig: Nein. Ich freue mich jetzt auf meine neue Aufgabe. Ich habe viel gelernt in der Politik, das möchte ich jetzt weitergeben. Schnell in den Entscheidungen sein, nüchtern bleiben, eigeninitiativ bleiben, selbstkritisch sein. (Michael Völker, 17.4.2021)