Burg-Gastspiel "Richard II." bei den Bregenzer Festspielen mit Jan Bülow und Sarah Viktoria Frick.

Burgtheater / Marcella Ruiz Cruz

ElĪna Garanča und Wolfgang Koch in "Parsifal" an der Wiener Staatsoper.

Foto: Staatsoper/Michael Pöhn

Wien/Bregenz – Wann ist eine Premiere eine Premiere? Ganz einfach: immer dann, wenn das Theater oder die Oper "jetzt" sagen. Mit dieser Definitionsfrage steuern die Häuser ihre Publicity. Das hat beim Gerangel um Jelinek-Uraufführungen (Die Kontrakte des Kaufmanns, 2009) schon die seltsame Bezeichnung "Urlesung" hervorgebracht. Diese ist noch keine Uraufführung, aber doch mehr als eine Voraufführung – und zieht deshalb ebenso Aufmerksamkeit auf sich.

In Pandemiezeiten stellt sich die Frage angesichts voraufgezeichneter und gegebenenfalls mehrfach kompilierter Mitschnitte erneut. Siehe etwa die "Vorpremiere" des Wiener Burgtheaters von Shakespeares Richard II. in Bregenz an diesem Wochenende. Weil die Theater derzeit ausschließlich im Bundesland Vorarlberg geöffnet sind, packt das Burgtheater die Koffer und zieht für zwei Vorstellungen von Ost nach West.

Vor die Haustür

Eine Win-win-Situation: Zunächst kann das Burgtheater damit erstmals seit 2. November 2020 wieder vor Livepublikum spielen. Zweitens bekommen Vorarlberger Theatergeher eine Inszenierung des namhaften Regisseurs Johan Simons vor die Haustür geliefert. Und obendrein könnte aus dieser aus der Not geborenen Idee eine längerfristige Zusammenarbeit zwischen den Bregenzer Festspielen und dem Burgtheater entstehen.

Damit würde man einer alten, unter Direktor Achim Benning (1976–1986) initiierten Tradition folgen, wonach das Burgtheater regelmäßig auf Bundesländertour ging. Von Rundreisen kann heute zwar nicht die Rede sein, doch ist es dem amtierenden Hausherrn Martin Kušej sehr wohl ein Anliegen, "als Bundestheater außerhalb Wiens erlebbar zu sein", wie er anlässlich des Bregenz-Gastspiels bekundete.

Dieses sei der Auftakt für weitere Kooperationen. Ob diese von gleicher Art sein könnten wie die allsommerlichen mit den – merke: koproduzierenden – Salzburger Festspielen, ist offen. Im hinter den Kulissen spürbaren Definitionsstreit um den Begriff "Premiere" im Fall des Bregenz-Gastspiels (für jeweils einhundert Zuschauer; beide Vorstellungen am Samstag und Sonntag sind ausverkauft) hat das Burgtheater jedenfalls klargemacht: Die Premiere gehört dem Haus am Ring, Kritiker sind zur "Vorpremiere" in Bregenz nicht zugelassen. Wann es die Premiere in Wien geben wird, ist allerdings fraglich.

Verschlusssache

Ganz anders agiert die Staatsoper: Sie veranstaltet Premieren, von denen jedoch zunächst keiner wissen darf, dass sie sich ereignet haben. Wobei dies natürlich nicht ganz stimmt: Kritikerinnen und Kritiker, die durch Tests als fieberfrei erkannt wurden, haben etwa am Sonntag vor einer Woche die Parsifal-Premiere mit Elīna Garanča und Jonas Kaufmann erlebt.

Dennoch blieb Wagners Oper Verschlusssache: Einen hauseigenen Stream bot die Staatsoper nicht an. Und wertende Aussagen zu der Inszenierung von Kirill Serebrennikow dürfen erst ab diesem Sonntagabend, 19 Uhr, publiziert werden. Es gilt eine strenge Sperrfrist! Zu diesem Zeitpunkt wird die Gesamtaufzeichnung (als Stream auf Arte Concert, Beginn 14 Uhr) zu Ende gegangen sein.

Aber wird dies eine echte Premiere gewesen sein? Wohl nur eine halbe: Den akustischen Teil des Parsifal gibt es nämlich bereits am Samstag auf Ö1 (19.30 Uhr). Fazit: Corona-Lockdowns provozieren seltsame Definitionsfragen. (Margarete Affenzeller, Ljubisa Tošic, 17.4.2021)