In den nächsten Wochen soll die Impfkampagne deutlich in die Gänge kommen.

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Mitte dieser Woche erreichten die EU positive Nachrichten: Im Frühling, also während des zweiten Quartals, werden mehr Impfstoffdosen vom Pharmakonzern Biontech/Pfizer zur Verfügung stehen als bisher angenommen. Konkret geht es insgesamt um 50 Millionen Dosen, die an die einzelnen Mitgliedsstaaten geliefert werden können. Das gab EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch bekannt.

Für Österreich bedeutet das, dass etwa eine Million Dosen früher als gedacht geliefert werden. Konkret sollen im April 100.000 Dosen, im Mai 300.000 Dosen und im Juni dann 600.000 Dosen ankommen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sprach in diesem Zusammenhang einerseits von einem "Impfturbo", der nun gezündet werden könne, andererseits betonte er immer wieder, dass es "zusätzliche Dosen" seien, die Österreich nun erhalte. Die Opposition übte an dieser Darstellung scharfe Kritik. Was steckt hinter der vorgezogenen Lieferung?

Vorgezogen, nicht zusätzlich

Tatsächlich kann es irreführend sein, im Zusammenhang mit der neuen Lieferung von Zusatz-Dosen zu sprechen: Denn die Dosen sind Teil der bisherigen Liefervereinbarungen. Sie werden nur nicht – wie ursprünglich vereinbart – zu Jahresende geliefert, sondern um einige Monate vorgezogen. Das stellt einerseits Von der Leyen selbst klar: "Die Lieferung der 50 Millionen Dosen war ursprünglich für das vierte Quartal 2021 vorgesehen. Diese Impfstoffdosen sind nun im zweiten Quartal verfügbar", heißt es im offiziellen Statement der Kommissionspräsidentin.

Andererseits bestätigt dies auch Renée Gallo-Daniel, Senior Public Affairs Manager bei Pfizer Austria und Präsidentin des österreichischen Verbands der Impfmittelhersteller, im STANDARD-Gespräch: "Ja, die Darstellung, dass die Dosen nicht aus einem Zusatzankauf der EU stammen, sondern vorgezogen geliefert werden, ist richtig. Statt im Laufe des Jahres kommen sie im zweiten Quartal." Laut Status Quo der Verträge sei geplant, bis Ende 2021 elf Millionen Dosen nach Österreich zu liefern. Auch das Gesundheitsministerium bestätigt dem STANDARD, dass die Gesamtmenge der Dosen, die Österreich bis Jahresende erhält, gleich bleibt und sich durch diese Lieferung nicht verändert.

Womöglich ausgleichender Turbo

Inwiefern kann durch diese Lieferung nun ein Turbo gezündet werden? Es macht tatsächlich einen wesentlichen Unterschied, ob die Dosen zu Jahresende oder bereits im zweiten Quartal vorhanden sein werden. Denn insgesamt hat Österreich bisher an die 28 Millionen Impfdosen von unterschiedlichen Herstellern bestellt, die bis Jahresende geliefert werden sollen. Entscheidend ist aber, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch ein Mangel an Impfstoffdosen herrscht: Es gibt mehr Personen, die sich impfen lassen wollen, als aktuell Impfstoff verfügbar ist. Dieses Verhältnis wird sich vermutlich erst im Laufe des Sommers drehen. Insofern macht es tatsächlich einen Unterschied, dass durch die eine Million an vorgezogenen Dosen 500.000 Personen früher als zuletzt geplant einen Erststich erhalten können.

Es gibt nur einen Haken an der Formulierung des "Turbos": In der Zwischenzeit wurde bekannt, dass der Impfstoff von Johnson und Johnson vorläufig nicht mehr an die EU ausgeliefert werden wird, er wird auch in Österreich bis auf weiteres nicht verimpft. Im zweiten Quartal sollten davon etwa 670.000 Dosen an Österreich geliefert werden – ursprünglich hätten es sogar etwa eine Million Dosen in diesem Zeitraum sein können, Österreich hatte aber weniger bestellt als möglich war. Das besondere an dem Impfstoff, sofern er wieder eingesetzt werden sollte: Es reicht im Gegensatz zu den anderen bisher zugelassenen Vakzinen ein Stich für die Vollimmunisierung. Zum Status Quo kann die Biontech/Pfizer-Lieferung diesen Ausfall also zumindest stark abfedern. Oder, wie man es im Gesundheitsministerium formuliert: "Die neue Lieferung sichert uns entscheidend ab", was das Angebot einer Erstimpfung für alle Impfwilligen bis Mitte Juli betrifft.

Warum früher geliefert wird

Dass Österreich diese vorzeitige Biontech/Pfizer-Lieferung erhält, sei auch dem Verdienst des Kanzlers zuzuschreiben: So lautet die Botschaft, die vom türkisen Teil der Regierung gesendet wird. "Der hartnäckige Einsatz von Bundeskanzler Sebastian Kurz auf europäischer Ebene hat sich ausgezahlt", sagte etwa Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) dazu. In der Frage der Verteilung habe Österreich darauf gepocht, die gleichmäßige Auslieferung pro rate zur Bevölkerung einzuhalten. Auch Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) sagte im Interview mit "Oe24", dass dem Kanzler hier "ein großer Wurf gelungen" sei.

Dass der Kanzler sich hier durchaus selbstbewusst in den Vordergrund rückt, irritiert die Opposition nicht nur in Österreich: "Es ist eine typische Kurz-Masche", sagt SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Schieder, zum STANDARD. "Wenn es schlecht läuft, ist die EU Schuld. Wenn etwas klappt, dann hat Kurz es persönlich durchgebracht". Unterm Strich sei es ein toller Verhandlungserfolg der EU, von dem alle profitieren würden.

Ein Indiz, das gegen eine entscheidende Rolle Kurz' bei der Impfstoffvermehrung spricht: Auch Kanada und die USA haben in der vergangenen Tagen angekündigt, bereits früher mehr Dosen des Pfizer/Biontech-Vakzins zum Einsatz zu bringen. Im Fall von Kanada handelt es sich um acht Millionen Dosen, die bis Ende Juni in die Planung einfließen. In den USA werden gar bis Ende Mai zehn Prozent mehr geliefert sein, als ursprünglich vereinbart. In beiden Fällen der Grund: Nicht politische Interventionen, sondern gesteigerte Produktionsmöglichkeiten beim Hersteller.

Wie wurde die vorzeitige Lieferung nun konkret möglich? Da müsse man mehrere Elemente berücksichtigen, sagt Gallo-Daniel von Pfizer Austria: Das wichtigste Element sei, dass man herstellerseitig Anfang Jänner gesehen habe, dass man mehr Impfstoffdosen brauche werde. Dann habe man begonnen, die Kapazitäten auszudehnen: Durch Ausbau und Umstellungen habe man in Belgien die Produktion hochfahren können. Das zweite Element, das sich auswirke: "Biontech hat in Marburg ein neues Werk, dass es auch ermöglicht, mehr Dosen zur Verfügung zu stellen. Weiters sind Pfizer/Biontech Kooperationen auch mit anderen Unternehmen eingegangen, zum Beispiel mit Sanofi oder Novartis. Diese Elemente haben es in Summe möglich gemacht, die Dosen anbieten bzw. vorziehen zu können", sagt Gallo-Daniel. Insgesamt könne man 600 Millionen Dosen an die EU liefern.

Verteilung gemäß Schlüssel

"Damit es zu so etwas kommt, dass 50 Millionen Dosen früher geliefert werden, braucht es auf der einen Seite einen Hersteller, der in der Lage ist, diese Menge früher zur Verfügung zu stellen, so wie es von der Leyen gesagt hat", führt Gallo-Daniel weiter aus. "Auf der anderen Seite braucht man einen verlässlichen Partner, der sagt: Wir brauchen diese Dosen." Da würden die EU-Kommission und die Regierungschefs der Länder eine Rolle spielen.

Die nun vorgezogenen Dosen werden jedenfalls gemäß dem Bevölkerungsschlüssel auf die Mitgliedsstaaten gleichmäßig aufgeteilt. Zu den Verhandlungen und wie diese zustande kamen, will die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich keinen Kommentar abgeben. In einem offiziellen Statement, das Mitte März veröffentlicht wurde, betont die Kommission, immer schon für eine Verteilung gemäß Bevölkerungsanteil eingetreten zu sein: "Die Kommission stimmt den jüngsten Aussagen mehrerer Mitgliedstaaten zu, wonach sich die gerechteste Lösung für die Zuteilung von Impfstoffdosen nach dem Bevölkerungsanteil jedes Mitgliedsstaates bemisst. Dies ist die Lösung, die die Kommission für alle Verträge mit Abnahmegarantien vorgeschlagen hat."

Verhandlungen für 2022 und 2023

Die EU-Kommission will in den nächsten Monaten jedenfalls verstärkt auf Zusammenarbeit mit Biontech/Pfizer setzen. Konkret wird um einen Vertrag verhandelt, der die Lieferung von 1,8 Milliarden Dosen bis 2023 vorsieht. "Wir arbeiten daran, die Kapazitäten an allen Ecken und Enden auszubauen", sagt Gallo-Daniel dazu. Konkreteres könne sie derzeit noch nicht sagen. (Vanessa Gaigg, 17.4.2021)