Spieler, die nach Schlusspfiff erschöpft zu Boden gehen. Kein Bild mit Seltenheitswert. Auch Andrea Belotti (AC Torino) hat es schon abgegeben.

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Peter Kuhnt hat viel zu tun als Physiotherapeut.

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Immer öfter wird Alarm geschlagen, immer wieder warnen namhafte Persönlichkeiten aus dem Profifußball vor den Folgen zunehmender Überlastung der Spieler. So prophezeite etwa Liverpool-Trainer Jürgen Klopp bereits 2019 den "Tod dieses wunderschönen Spiels, wenn wir nicht lernen, besser mit unseren Spielern umzugehen". Manchester-City-Coach Pep Guardiola formulierte es nicht weniger drastisch: Der Spielplan sei "verrückt" und werde die Spieler "umbringen". Am stärksten betroffen sind jedenfalls Profis von den Spitzenclubs in den europäischen Topligen, allen voran die Primgeiger aus der englischen Premier League, die selbst im Winter kaum Ruhe finden.

Mehrfachbelastung

Liga, internationale Clubwettbewerbe, Cup, Länderspiele, Testspiele und, last but not least, quer über den Globus verteilte, mit Langstreckenflügen verbundene Spiele zu Promotion-Zwecken belasten die Akteure bis ans Limit. Hinzu kommen, den Wünschen der TV-Stationen folgend, teils stark differierende Anpfiffzeiten, die auch Klopp den Kragen platzen ließen: "Dieser Rhythmus ist ein kompletter Killer" schimpfte der Deutsche Ende November, als Liverpool um 12.30 Uhr antreten musste.

Spieler mit Vielfachbelastung sind aus Sicht des deutschen Sportphysiologen Peter Kuhnt von Bundesligist TSG Hoffenheim "sehr gefährdet. Für diejenige, die keine Länderspielpausen haben, ist es eine unglaublich hohe Belastung. Sie haben keine Möglichkeit, sich zu regenerieren." Neben der physischen Belastung ortet der 59-Jährige auch "eine sehr hohe mentale Belastung", weil die Spieler in der Öffentlichkeit stehen.

Ein Teufelskreis

Als Physio mit 23 Jahren Erfahrung bei Borussia Dortmund kennt Kuhnt das straffe Programm nur allzu gut. "Wenn jemand nach einem anstrengenden Jahr total platt ist, aber noch eine EM vor der Brust hat, dann zieht er auch die noch durch. Und danach sitzt ihm der Verein schon im Nacken, weil schon wieder trainiert wird." Während die Spieler stöhnen, bastelt die Uefa weiter an neuen Formaten. Nach der Reform der Uefa-Klubwettbewerbe sollen mehr Vereine am Kuchen mitnaschen, etwa durch die neu geschaffene Europa Conference League. Allerdings sind auch mehr Spiele vorgesehen. Viele international engagierte Profis haben jetzt schon bis zu 70 Einsätze pro Saison, manche kommen auf noch mehr.

Die Krux dabei: Ein paar hundert Spitzenspieler werden mit Matches überladen, während tausende Kollegen von weniger potenten Vereinen kaum Möglichkeiten haben, sich zu präsentieren. Mit der Einführung der Nations League hat man dem Fußball einen Bärendienst erwiesen. Ein Bewerbsländerspiel vermag mehr Spannung zu erzeugen als ein freundschaftlicher Vergleich, ausbaden müssen es aber letztlich die Spieler, die mehr gefordert werden, wenn es nicht nur um das Renommee geht.

Überfüllter Kalender

Auch die internationale Spielergewerkschaft FIFPro wettert seit Jahren vergeblich. Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann warnte Ende März: "Wenn es nicht zu einer Lösung kommt, führt es weiterhin zu Verletzungen, die letztlich die Karrieren der Spieler verkürzen." Der Kalender sei gerade in Zeiten der Pandemie völlig überfüllt. Man habe in der Vergangenheit versagt. Es seien immer mehr Bewerbsspiele hinzugefügt, es sei Intensität erhöht und nicht auf das Gesundheitsproblem reagiert worden.

Forderungen nach längeren Pausen zwischen Spielen sowie einer mindestens vierwöchigen Sommer- und zweiwöchigen Winterpause verhallten bisher ohne Effekt. Im Gegenteil, die Match-Kalender sind dichter, die Spiele zudem schneller, psychisch und physisch fordernder als je zuvor. Bloß zwei Wochen Urlaub seien daher schon zu wenig, sagt Kuhnt. "Wenn man ihnen noch zehn Tage mehr gönnt, kriegt man das zehnmal zurück." Wenn aber der Kopf nicht funktioniere, funktioniere auch der Körper nicht – und umgekehrt.

Körperliche Folgen

Verletzungen können die Folge sein. Wobei aber nach Ansicht Kuhnts "die schweren Verletzungen, etwa am Kreuzband, im Großen und Ganzen abgenommen haben, seit sich die Athletik der Spieler verbessert hat." Auf Grund des hohen Tempos, das mittlerweile herrsche, musste das Training komplett geändert werden. "Dementsprechend haben sich die Verletzungsmuster mehr in den muskulären Bereich verschoben. Schambeinentzündungen haben gerade bei jüngeren Spielern zugenommen", sagt Kuhnt. Als vorbeugende Maßnahmen versuche man "mit anderen Aktivitäten und adaptiertem Krafttraining alles in die richtigen Bahnen zu lenken", erklärt der Spezialist. Die Physiotherapie habe sich stark verändert, sie sei wissenschaftlicher geworden. Dadurch lasse sich stets noch etwas mehr herausholen.

Positive Beispiele

Wichtig sei die Trainingssteuerung. Und dazu benötige es das Bewusstsein und die Eigeninitiative der Spieler. Beides habe sich zum Positiven verändert. Kuhnt: "Wenn man auf einem hohen Niveau spielen will, muss man auch zuhause darauf achten, dass alles in vernünftigen Bahnen läuft. Bei Cristiano Ronaldo weiß man, wie akribisch er hinsichtlich Schlafrhythmus und Trainingsintensität mit seinem Körper umgeht."

Auch Robert Lewandowski rage heraus. "Wenn man überlegt, wie lange er schon auf hohem Niveau spielt und wie intensiv er an seinem Körper arbeitet, dann ist das ein Zeichen, dass man viel erreichen kann."Um in Sachen Belastung gegenzusteuern, wird in heißen Phasen vermehrt auf Regeneration gesetzt. Generell sei es aber "ein zweischneidiges Schwert", sagt Kuhnt. "Vereine und Spieler möchten so erfolgreich wie möglich sein. Und Spieler wollen auch hauptsächlich auf den großen Hochzeiten tanzen."

Fortschritt bei Jungprofis

Und das so früh wie möglich. Um international mithalten zu können, wurde wie in anderen Topligen Europas auch in Deutschland die Altersgrenze für Profis auf 16 gesenkt, auch wenn zu befürchten ist, dass die Verschleißerscheinungen in so jungen Jahren zu groß sein können. Kuhnt: "Wenn wir zehn, 20 Jahre zurückdenken, dann hätte ich das sofort unterschrieben, weil man damals von der Trainingslehre noch nicht ganz so weit war." Im Laufe der Jahre habe sich das aber deutlich verbessert. Man müsse von Situation zu Situation entscheiden, ob ein junger Fußballspieler auf Topniveau die hohen Belastungen kompensieren könne, wenn sein Körper noch nicht dafür bereit ist, um ihn nicht zu verheizen, so Kuhnt. "Es funktioniert, aber es gibt immer wieder Situationen, die man nicht steuern kann. Man kann noch so viele Möglichkeiten haben, Spieler zu schützen, es passieren immer Dinge, die man nicht absehen kann, dazu ist der Mensch einfach zu individuell." (Thomas Hirner, 19.4.2021)