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"Mörder, Dieb, Diktator" wird Russlands Präsident Wladimir Putin hier genannt. Das Transparent hing bereits am Freitag vor der russischen Botschaft in Prag – neben einem Bild zur Unterstützung von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.

Foto: AP / Petr David Josek

Szenenwechsel im Beziehungsdrama zwischen Moskau und dem Westen: Erst am Freitagabend hatte Russland Einreisesperren gegen hochrangige US-Regierungsvertreter verhängt – als Reaktion auf die Ausweisung von zehn russischen Diplomaten aus den USA, die Washington wiederum mit einem Russland zugeschriebenen Hackerangriff begründet hatte. Am Samstag verlagerte sich der Fokus des Konflikts nun nach Mitteleuropa, konkret ins EU- und Nato-Mitgliedsland Tschechien.

Schon der Ort der am Abend kurzfristig angesetzten Pressekonferenz sorgte für verdutzte Gesichter: Obwohl Premier Andrej Babiš teilnehmen sollte, fand diese nicht im Regierungsamt unten am Prager Moldauufer statt, sondern oben im Czernin-Palais, dem Sitz des tschechischen Außenministeriums. Was Babiš und Innenminister Jan Hamáček, der gerade auch interimistisch Außenminister ist, dort verkündeten, hatte es dann in sich – und brachte doch zunächst mehr Fragen als Antworten.

Kern der Verlautbarung: Zwei Explosionen, die sich 2014 in einem Munitionsdepot im südostmährischen Vrbětice zugetragen und zwei Todesopfer gefordert haben, sollen auf das Konto des russischen Geheimdiensts GRU gehen. Dafür jedenfalls gebe es laut Erkenntnissen des tschechischen Geheimdiensts BIS einen "begründeten Verdacht". Tschechien werde daher 18 Mitarbeiter der russischen Botschaft in Prag ausweisen, die ebenfalls für russische Geheimdienste arbeiten sollen. Binnen 48 Stunden müssten sie das Land verlassen.

Russland schlug am Sonntagabend zurück und weist seinerseits 20 tschechische Diplomaten aus, zitiert die Nachrichtenagentur Ria das russische Außenministerium.

Erinnerung an Fall Skripal

Aber zurück zu Samstag: Praktisch zeitgleich zur Pressekonferenz veröffentlichte die tschechische Polizei im Internet Fahndungsfotos von zwei Männern, die sich im Oktober 2014, zur Zeit der ersten Explosion, in Tschechien aufgehalten haben sollen: Ihre russischen Pässe, heißt es dort, seien auf die Namen Alexander Petrow und Ruslan Boschirow ausgestellt.

In dem Fahndungsaufruf werden aber auch zwei andere Identitäten angegeben: Die eine steht demnach in einem Pass der Republik Moldau, die andere in einem Pass Tadschikistans. Jedenfalls soll es sich um dieselben Männer handeln, die die britischen Behörden 2018 für den versuchten Mord an dem ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal verantwortlich gemacht haben.

Laut tschechischen Medienberichten hatten sie sich sogar vorab für einen Besuch auf dem Areal des Militärtechnischen Instituts angemeldet, wo eine Privatfirma Lager für Munition gemietet hatte. Nach Angaben des Unternehmens sind sie dort aber nie eingetroffen. Die beiden Toten vom Oktober 2014 waren Mitarbeiter der Firma. Im Dezember 2014 kam es auf demselben Areal zu einer weiteren Explosion.

Waffen für Kriegsgebiete?

In den Mittelpunkt des Interesses rückte am Sonntag die These, wonach Russland Waffen unschädlich machen wollte, die ein bulgarischer Geschäftsmann dort zwischengelagert und gerade für den weiteren Transport vorbereitet habe. Doch selbst wenn sich dieser Verdacht erhärtete, bliebe vorerst unklar, wohin die Waffen hätten gebracht werden sollen.

Als mögliche Ziele gelten der Donbass in der Ostukraine, wo damals der Konflikt mit prorussischen Separatisten eskalierte, sowie das Bürgerkriegsland Syrien, wo Russland das Regime von Bashar al-Assad unterstützt. Moskau habe möglicherweise verhindern wollen, dass Waffen und Munition über Tschechien in die Hände ukrainischer Regierungstruppen oder syrischer Aufständischer gelangen. Laut dem öffentlich-rechtlichen tschechischen Rundfunk arbeiten die Behörden mit beiden Versionen.

"Absurde Vorwürfe"

Russland selbst wies am Sonntag sämtliche Anschuldigungen zurück. Die Vorwürfe seien "absurd", erklärte das Außenministerium in Moskau. Es sei schwer, hier nicht die "Spur der USA" zu sehen. Für die Ausweisung von Botschaftsangehörigen kündigte Russland harte Vergeltungsmaßnahmen an – und diese wurden noch Sonntagabend bekannt: Demnach weist Russland 20 tschechische Diplomaten aus, zitiert die Nachrichtenagentur Ria das russische Außenministerium. Die Staatsvertreter müssten das Land bis Montagabend verlassen.

Zuvor wurde der tschechische Botschafter in Moskau einbestellt. Dabei wurde er über die Maßnahmen informiert. Der russischen Staatsagentur Tass zufolge dauerte die Unterredung nur 20 Minuten. Laut tschechischer Seite sind 16 Diplomaten und vier Mitarbeiter ohne Diplomatenstatus betroffen. In Moskau bleiben damit nur noch etwa fünf tschechische Diplomaten übrig. Die Agentur Interfax zitierte einen ungenannten Diplomaten mit der Aussage, eine Schließung der Botschaft stehe ebenfalls im Raum.

Auch innenpolitisch bringt die Affäre in Tschechien sechs Monate vor der Parlamentswahl einiges ins Rollen. Zuletzt wurde hitzig über einen Einsatz des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V sowie über die mögliche Beteiligung Russlands am geplanten Ausbau des Atomkraftwerks Dukovany diskutiert. Der im Zuge einer Regierungskrise jüngst gewachsene Handlungsspielraum des als prorussisch geltenden Präsidenten Miloš Zeman, er dürfte am Wochenende um einiges geschrumpft sein. (Gerald Schubert, 18.4.2021)