Annalena Baerbock gilt als äußerst fleißig und zielstrebig.

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Nun hat sie ihren Co-Parteichef Robert Habeck überflügelt.

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CDU-Vorsitzender Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder können sich nicht einigen, wer für die gemeinsame Fraktion antritt.

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Lange hatten es die deutschen Grünen spannend gemacht. Dann ging es doch schnell. Am Montagvormittag, gut fünf Monate vor der Bundestagswahl, wurde in der Malzfabrik in Berlin-Tempelhof der Vorhang gelüftet: Annalena Baerbock heißt die Frau, die die Partei als Spitzenkandidatin in die Wahl führen wird.

Die gebürtige Hannoveranerin, Bundestagsabgeordnete für ihren Wahlkreis im ostdeutschen Brandenburg und wie der ursprünglich favorisierte Robert Habeck Parteichefin, gilt als inhaltlich äußerst sattelfest und bestens vernetzt. Genauso wie er zählt die 40-Jährige zum Realo-Flügel der Partei. Ihr Anspruch, stellte sie in ihrer Antrittsrede klar, ist nicht weniger als das Kanzleramt.

Keine Regierungserfahrung

Regierungserfahrung hat sie anders als Habeck bisher aber keine. Dafür, und das zählt bei den Grünen mehr noch als bei anderen, ist sie die einzige Frau, die bei einer der großen Parteien als Spitzenkandidatin das Erbe Merkels beansprucht.

Bei der Pressekonferenz in der Malzfabrik gab sich Baerbock demonstrativ bereit für ihre neue Aufgabe. Sie habe eine "klare Idee für eine Kanzlerschaft in Deutschland", sagte sie unmittelbar nach der Entscheidung, die Habeck verkündet hatte.

Die Rede der designierten Kanzlerinkandidatin.
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"Zukunft ist nichts, was einfach so passiert", erklärte sie in ihrer Rede und führte ihre Vision "für ein gerechtes Land" aus: Mehr Digitales, mehr Kinderbetreuung, eine "neue politische Kultur", eine "wehrhafte Demokratie" für ein "Deutschland im Herzen Europas" schwebt Baerbock vor, aber auch "Klimaschutz als Basis für Wohlstand und Sicherheit".

Umfragen, die die Grünen aktuell als erste Konkurrenten der Union sehen, legen nahe, dass Baerbocks Weg nach der Wahl am 26. September – zumindest theoretisch – durchaus ins Kanzleramt führen könnte. Das ZDF-Politbarometer weist Baerbock zwar Grünen-intern höhere Chancen auf einen Wahlsieg aus, insgesamt galt allerdings Habeck als Favorit, was eine grüne Kanzlerschaft betrifft.

Solider Platz zwei

Aktuell können sich 21 Prozent der Befragten vorstellen, bei der Bundestagswahl ein Kreuzerl bei den Grünen zu machen, damit verliert die Partei zwar zwei Prozentpunkte gegenüber der Vorwoche, liegt aber immer noch weit vor der SPD, die mit 14 Prozent auf Platz drei folgt. Die CDU/CSU kommt auf 31 Prozent. Die einzig denkbare Koalitionsoption ist, Stand 18. April, folglich Union/Grüne.

Lange hatte Habeck, ehemaliger schleswig-holsteinische Minister für Umwelt, Landwirtschaft und Energie, als Favorit gegolten, extra für ihn waren die Grünen einst von ihrem Dogma abgewichen, dass Parteichefs nicht zugleich auch (Landes-)Minister sein können. Von vielen Medien gefeiert, konnte Habeck – im Gegensatz zu Baerbock – auf erfolgreiche Regierungsarbeit verweisen, die Energiewende, ein Kernstück grüner Parteilinie, trieb er in dem kleinen Land im hohen Norden Deutschlands konsequent an.

Doch wurden ihm abseits seines Leibthemas immer wieder Aussetzer angekreidet, etwa als er sich in einem Interview schwertat mit der Frage, wie die Grünen nun zu Whistleblower Julian Assange stehen. Nun haben sich die Grünen in der "K-Frage" für seine Co-Parteichefin entschieden. Dass Habeck auch im Wahlkampf – und darüber hinaus in einer möglichen Regierungsbeteiligung – eine gewichtige Rolle spielen dürfte, steht aber fest.

Am Montag gab sich der Unterlegene konziliant: "Wir beide wollten es, aber am Ende kann es nur eine machen", sagte er und versprach, die neue Spitzenkandidatin mit voller Kraft zu unterstützen. "Es wird nicht immer leicht sein", sagt diese wenig später. Der Wahlkampf werde die Partei gehörig fordern. Die Partei werde sich aber untereinander helfen, die größte Kraft entstehe immer aus gemeinsamem Handeln.

Union uneinig

Im deutschen Wahljahr steht heute aber auch an anderer Front ein möglicherweise entscheidender Tag an, was die Suche nach dem Spitzenpersonal der in Umfragen führenden Unionsparteien betrifft. Ein Treffen der beiden Kandidatur-Aspiranten Armin Laschet und Markus Söder im Bundestagsgebäude in Berlin verlief in der Nacht berichten zufolge ergebnislos. Sollten sich die Rivalen auch heute nicht einigen, könnte es auf eine Entscheidung in der Bundestagsfraktion am Dienstag hinauslaufen.

Für Montagabend beraumte CDU-Chef Laschet eine Sitzung des Parteivorstands in Berlin an, zu der er auch Söder einladen wollte. Dieser wiederum erklärte in München nach einem Treffen des CSU-Präsidiums, man wolle keinen Streit zwischen den beiden Schwesterparteien, sondern eine gemeinsame Entscheidung.

Söder gibt nicht auf

Er fühle sich aber – nach acht Tagen der Debatten – bereit, als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu gehen, sofern Vorstand, Fraktion und Basis auch in der CDU dies wünschen. Diesen Zuspruch ortet Söder. Die letztendliche Entscheidung müsse aber die CDU treffen, betonte er. Laschets eine Stunde zuvor ausgesprochene Einladung nach Berlin schlug Söder postwendend aus. Groll würde er gegen seinen Konkurrenten aber nicht hegen, sollte dieser sich durchsetzen, ließ er Laschet ausrichten.

Die Union steht nicht nur wegen der internen Folgen des Streits fünf Monate vor der Bundestagswahl maximal unter Druck, möglichst schnell eine Entscheidung zu finden. Hinzu kommt nun auch der frische Wind, den die grüne Konkurrenz mit der Kür Baerbocks entfacht hat. (Florian Niederndorfer, 19.4.2021)