Gernot Blümel sieht dies anders – und disqualifiziert sich damit für das Amt, sagt Schriftsteller Doron Rabinovici im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch die Replik vom Soziologen Christian Fleck.

Belasteter Amtsträger: Finanzminister Gernot Blümel.
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Im Grunde muss ein Minister nie zurücktreten. Er wird notfalls entlassen. Jeder Rücktritt birgt einen Rest an Freiwilligkeit und erfordert ein Mindestmaß an jener Haltung, über die etwa Rudolf Anschober verfügte. Ermittlungen gegen ein Regierungsmitglied sind an sich noch kein Rücktrittsgrund. Für alle im Rechtsstaat gilt die Unschuldsvermutung. Die juristische Untersuchung mag anzeigen, wie penibel die Justiz allen Verdachtsmomenten nachgeht – ohne Ansehen der Person und ihrer Macht.

Die Korruptionsstaatsanwaltschaft musste gegen Minister Gernot Blümel (ÖVP) tätig werden, um zu klären, ob vom Glücksspielkonzern Novomatic Schmiergeld an die Türkisen geflossen sei, da der Firmenchef in einer Kurznachricht an Blümel, damals noch Stadtrat in Wien, um eine Intervention bat und zugleich – mitten im Wahlkampf – eine Spende in Aussicht stellte, worauf der Spitzenpolitiker nicht etwa auf Distanz ging, sondern der Kontakt zwischen den beiden erst so richtig innig wurde.

Was indes vor Gericht noch kein Urteil ist, kann für einen hohen Amtsträger durchaus belastend werden. Der frühere Innenminister Karl Blecha (SPÖ) trat zurück, ehe gegen ihn ermittelt wurde und er verurteilt war. Sogar der britische Prinz Andrew, der sich nie einer Wahl zu stellen hat, verzichtete aufgrund eines Interviews im Fernsehen auf alle offiziellen Funktionen, obgleich die Erhebungen wegen Missbrauchsvorwürfen ergebnislos abgeschlossen worden waren.

Türkise Dreistigkeit

Frei nach Karl Kraus kann gesagt werden, jeder österreichische Skandal fängt an, wenn die Türkisen ihm ein Ende machen. Kanzler Sebastian Kurz und sein Finanzminister benehmen sich, als wollten sie partout in die Rolle der heimischen Donald Trumps und Viktor Orbáns schlüpfen. Sie bringen den Rechtsstaat in Misskredit. Sie kreiden den Behörden an, ihrer Arbeit nachzugehen. Sie behaupten, es handle sich bei der unabhängigen Justiz um rote Netzwerke. Ein Sektionschef im Justizministerium wird nach Bekanntwerden der Ermittlungen vom Kabinettschef des Finanzministers kontaktiert und sorgt sich, "wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung". Die Frau des Ministers geht während der Hausdurchsuchung mit dessen Laptop spazieren. Der Kanzler diskreditiert unabhängige Medien und leitet über Twitter Diffamierungen weiter, die unterstellen, der Falter wäre Teil der politischen Opposition. Interventionen gegen Artikel und Redaktionen sind an der Tagesordnung.

"Das Geschäftsmodell jener Partie, die Türkis genannt sein will, war von Anfang an der Hang zur Grenzüberschreitung."

Dieses Vorgehen kann nicht unter dem Begriff "Buberlpartie" abgetan werden, denn das, was in den inkriminierten Chats samt Bussi-Emojis zutage tritt, ist ja nicht einfach Jugendlichkeit, sondern die Dreistigkeit nicht mehr junger, doch unreifer Schnösel, die sich nicht um das kümmern, was Anstand und Haltung ausmachen. Niemand soll nun so tun, als wäre das alles eine große Überraschung. Das Geschäftsmodell jener Partie, die Türkis genannt sein will, weil sie nicht so schwarz angeschrieben sein möchte, wie sie nun einmal ist, war von Anfang an der Hang zur Grenzüberschreitung. Das zeigte schon ihr Umgang mit Menschenrechten, ihre Koketterie mit Ressentiments, der Pakt mit Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl, ihr Schweigen anlässlich der Razzia im Bundesamt für Verfassungsschutz und vieles mehr. Die Chats, die nun auftauchten, beweisen, diese Herren sind im Amt, weil sie nie in Würde waren, aber das hat mit dem Alter dieser Riege nichts zu tun. Der Finanzminister ist bereits 39, da sollte ein erwachsenes Auftreten vor den Abgeordneten des Nationalrats kein Problem mehr darstellen.

Rede und Antwort

Stattdessen erklärte er erst vor dem Untersuchungsausschuss sechsundachtzigmal, wesentliche Sachverhalte, zu denen ihn Abgeordnete fragten, seien ihm nicht erinnerlich, um Monate später bei der zweiten Vorladung den Fragen der Mandatare wiederum mit allerlei Tricks auszuweichen, wobei ihn darin auch noch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) unterstützte, als wäre er sein Vormund und nicht der Vorsitzende. Das selbstgefällige Gehabe des Finanzministers erinnerte an einen frühen Klassiker des Austropops aus dem Jahr 1970, an den Song der Worried Men Skiffle Group: "Glaubst i bin bled, das i waas, wiri haas!".

Die Worried Men Skiffle Group vertonte 1970 das Gedicht "Glaubst i bin bled" von Konrad Bayer (1932-1964).
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Wenn dem Minister gar kein Ausweg mehr einfiel, entschlug er sich der Aussage, indem er auf die laufenden Ermittlungen gegen ihn verwies, als wäre er irgendein Staatsbürger, der nur die eigenen Interessen zu wahren hätte, und nicht der politische Repräsentant, der gefälligst vor dem Parlament Rede und Antwort zu stehen hat.

Politische Verantwortung

Dieses Verhalten disqualifiziert ihn jedoch für sein Amt und müsste zum Rücktritt führen, denn entschlagen darf sich jeder Angeklagte, da seine Worte sonst gegen ihn verwendet werden könnten. Aber das Regierungsmitglied hat vor der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen und politische Verantwortung zu übernehmen. Kann ein Minister das nicht, dann mag die Unschuldsvermutung für ihn privat gelten, aber der Staatsmann hat damit das Urteil über sich gesprochen. Hätte er einen Funken an Respekt vor der Verfassung und vor dem Parlament, würde er zurücktreten: Das ist allerdings von einem Gernot Blümel kaum zu erwarten. (Doron Rabinovici, 20.4.2021)