Annalena Baerbock will für Erneuerung eintreten: "Für den Status quo stehen andere."

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Es sei ein "besonderer Tag", sagt Robert Habeck am Montagvormittag. Der Grünen-Chef steht auf einer Bühne in der Berliner Malzfabrik, einem ehemaligen Industriekomplex, und nimmt die Rolle des begrüßenden Moderators ein. Da ist schon klar, was er wenig später ausspricht: "Die erste grüne Kanzlerkandidatin wird Annalena Baerbock sein."

Doch die 40-jährige Baerbock spricht nicht gleich, Habeck möchte vorher noch etwas anmerken. "Wir beide wollten es", sagt er und plaudert damit kein Geheimnis aus.

In grünen Kreisen war in den vergangenen Wochen vor allem dieses "Luxusproblem" Thema gewesen: Es gibt zwei geeignete Kandidaten für die Kanzlerkandidatur – und beide sind auch bereit. Und nun fällt die historische Rolle der ersten grünen Kanzlerkandidatur ihr zu.

"Annalena, die Bühne gehört dir", fährt Habeck dann fort. Baerbock tritt vor, nimmt noch einen Schluck Wasser und ist dann bereit. Erst einmal hat es einen Kanzlerkandidaten einer Oppositionspartei gegeben. 2002 war das, der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle nannte sich so – zum Gaudium seiner Mitbewerberinnen und Mitbewerber.

Stabil in Umfragen

Doch jetzt, da Baerbock antritt, lacht niemand mehr. Die Grünen liegen in Umfragen zwischen 21 und 23 Prozent, die Wahrscheinlichkeit, dass sie der nächsten Bundesregierung angehören, ist recht groß. Dies könnte in einer Koalition mit der CDU sein, aber auch in einem Jamaikabündnis (CDU, Grüne, FDP) oder einer Ampel (Grüne, SPD, FDP).

Sie habe an diesem Montag schon sehr an den Parteitag vor drei Jahren denken müssen, meint Baerbock. Im Jänner 2018 wurde sie mit Habeck an die Spitze der Grünen gewählt. "Das ist erst der Anfang", habe es damals geheißen. Heute jedoch, so Baerbock, beginne "ein neues Kapitel für unsere Partei, wenn wir es gut machen, vielleicht für unser Land".

Vor ihr hat schon Joschka Fischer Geschichte geschrieben, er war unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder von 1998 bis 2005 der erste grüne Außenminister und Vizekanzler Deutschlands. Baerbock will noch höher hinaus: Sie will Kanzlerin Angela Merkel beerben. Diese wurde 2005 die erste Kanzlerkandidatin Deutschlands.

Für Erneuerung

"Ich möchte mit meiner Kanzlerkandidatur ein Angebot an die Gesellschaft machen: unser vielfältiges und reiches Land in eine gute Zukunft führen. Dafür sind Veränderungen nötig, ich trete an für Erneuerung, für den Status quo stehen andere", sagt Baerbock.

Bei den wichtigsten Politikfeldern nennt sie natürlich den Klimaschutz. Dieser sei "die Aufgabe unserer Zeit, die Aufgabe unserer Generation". Er solle das künftige Fundament für Wohlstand sein.

Wichtig sei ihr auch, dass Kindergärten und Schulen die "schönsten Orte" sind und dass Pflegekräfte "Zeit und Ressourcen haben, sich um die Menschen zu kümmern".

Wer sich in diesen Tagen noch an Joschka Fischer erinnert, dem fällt auch ein, dass er schon mit einiger Regierungserfahrung ins Kabinett des damaligen SPD-Chefs Gerhard Schröder einzog. Zuvor war Fischer von 1985 bis 1987 hessischer Umweltminister gewesen – und zu seiner Vereidigung übrigens in weißen Turnschuhen angetreten.

Auch Habeck war in Schleswig-Holstein bereits Umweltminister, Baerbock hingegen hat noch nie regiert. Dies wird in der Pressekonferenz auch angesprochen. Baerbocks Konter: "Wenn jetzt Regierungserfahrung das einzige Kriterium ist, können wir mit der großen Koalition weitermachen." Sie bringe jedenfalls "Entschlossenheit und Lernfähigkeit" mit.

Die SPD hat Bock

In der SPD wurde Baerbocks Kandidatur begrüßt. "Das Rennen ist offen, wir haben Bock", twitterte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und verwies darauf, dass SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bereit sei und höhnte: "Mal sehen, ob die Union auch noch jemanden findet."

Die grüne Kandidatenfindung ist ziemlich bemerkenswert abgelaufen. Es gab keinen nennenswerten Widerstand der früher so diskussionsfreudigen Partei gegen die Hinterzimmermethode von Baerbock und Habeck. Die beiden nämlich schnapsten die Angelegenheit unter sich aus, Baerbock muss Anfang Juni auch noch von einem Parteitag als Kanzlerkandidatin bestätigt werden. (Birgit Baumann aus Berlin, 19.4.2021)