Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei einem Besuch im Haus der Barmherzigkeit wenige Wochen vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Die Pflegekräfte des Hauses fordern die Regierung nun auf, auch ihre Leistung anzuerkennen und bessere Bedingungen in der Pflege zu gewährleisten.

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Die ständige Angst, sich selbst oder jemand anderen mit dem Virus anzustecken. Körperliche Erschöpfung durch das stundenlange Tragen von Schutzausrüstung. Überstunden, weil man ausgefallene Kolleginnen und Kollegen ersetzen muss. Christina Dorner, Stationsleiterin im Pflegekrankenhaus Haus der Barmherzigkeit in Wien-Ottakring, könnte noch etliche Punkte aufzählen, die sie und das restliche Personal des Hauses seit Monaten belasten.

Vor allem seit Beginn der dritten Welle hat sich die Arbeit des Pflegepersonals im Haus der Barmherzigkeit noch einmal stark verändert: Um die Spitäler zu entlasten, wurden Covid-erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner großteils vor Ort versorgt. Es ist ein stilles Übereinkommen, das bereits im November – als die Intensivstationen schon einmal am Limit waren – zwischen dem Wiener Gesundheitsverbund und den Pflegeeinrichtungen getroffen wurde. Nur in Notfällen werden Bewohnerinnen und Bewohner ins Spital transferiert. Wann, das entscheiden Ärztinnen und Ärzte vor Ort.

Februar: Fast die Hälfte auf der Station positiv

Für Dorner und ihre Kolleginnen heißt das: Weg von dem gewohnten System der Bezugspflege zu einer Akutpflege, wie sie in Spitälern stattfindet – und das mit Menschen, die alt, schwer pflegebedürftig oder chronisch krank und in vielen Fällen demenzkrank sind. Ab Februar wurde es ernst – 14 von 29 Bewohnern auf ihrer Station waren positiv oder K1. Vier von 25 Mitarbeitern haben sich ebenfalls angesteckt und fielen aus. Und von den restlichen elf Stationen gab es auf sechs anderen positive Fälle bei Bewohnern und Personal. All das, obwohl viele Bewohnerinnen und auch das Personal geimpft sind. Die Verläufe seien zwar dadurch durchwegs milder gewesen, aber trotzdem sei es eine große Belastung für die Bewohner, nicht alle hätten die Erkrankung überlebt.

"Die Langzeitpflege ist für so eine Situation weder personell noch von den Ressourcen her ausgerichtet", sagt die Stationsleiterin. "Das alles fordert uns extrem heraus, die Anspannung ist in allen Bereichen zu spüren und ist jetzt nochmal ein Gipfel zusätzlich zur ohnehin schon hohen Belastung seit Beginn der Pandemie."

Gefahr für die Zukunft

Die Ankündigung der Regierung, das derzeit besonders geforderte Personal auf den Intensivstationen entlasten zu wollen, war deswegen ein Schlag ins Gesicht für viele Pflegefachkräfte, die – wie Dorner – in anderen Bereichen, etwa der Langzeitpflege, beschäftigt sind. "Diese Pressekonferenz hat mich extrem geärgert. Wir werden immer so klein gemacht." Dabei gehe es ihr nicht darum, dass die Intensivpflegerinnen und -Pfleger keine Boni oder andere Verbesserungen erhalten sollen, sondern dass diese Verbesserungen bei allen Fachkräften ankommen müssten.

Dorners Dienstgeber, das Haus der Barmherzigkeit, unterstützt das Personal in dieser Forderung. "Wir haben als Unternehmen versucht, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maximal zu unterstützen, aber unsere Möglichkeiten, allein zu agieren, sind im öffentlichen Pflegesystem beschränkt", sagt Roland König, Geschäftsführer der Haus-der-Barmherzigkeit-Pflegeeinrichtungen. Mit der neuen Versorgungsfunktion habe man eine riesige Verantwortung übernommen – eine solche müssten nun auch Politik und Gesellschaft übernehmen "und die Leistung unserer Beschäftigten fair und gerecht honorieren". Denn: Viele würden in der Pflege an einen Jobwechsel denken. "Eine weitere Enttäuschung ist nicht drin und wäre gefährlich für die Zukunft", gibt König zu bedenken.

Auch Gewerkschaft alarmiert

Da stimmt auch Gerald Mjka zu. Der Vorsitzende des Fachbereichs Gesundheit in der Gewerkschaft Vida (österreichische Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft) war selbst über 20 Jahre in der Pflege tätig und ist seit 2010 freigestellter Betriebsrat im Krankenhaus Göttlicher Heiland. "Es geht nicht nur um die Situation auf den Intensivstationen. Als ich das bei der Pressekonferenz gehört habe, da sind mir wirklich die Kabel aufgegangen." Der Gewerkschafter vermisst, dass nach dem Motto "keiner wird zurückgelassen" agiert wird. Man müsse in einer Einheit denken. "Das Personal ist dermaßen knapp, dass die Kolleginnen und Kollegen es nicht mehr ohne unzählige Überstunden schaffen, egal ob sie in der Akut- oder Langzeitpflege tätig sind."

Was Dorner, die Geschäftsführung und die Gewerkschaft fordern: mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen – dazu gehört auch eine bessere Bezahlung – und Investitionen in die Aus- und Weiterbildung in der gesamten Pflegebranche. "Und die Personalausstattung sollte dabei nicht von Budgets abhängig gemacht werden, sondern von den Aufgaben und den Erfahrungen der Menschen in der Pflege", sagt Mjka.

Fehlende Anerkennung

Denn die Pressekonferenz war für viele nur Salz in alten Wunden: Die Langzeitpflege werde tendenziell als Stiefkind behandelt, sagt Mjka. Das weiß auch Stationsleiterin Dorner, die von der Akutpflege ins Haus der Barmherzigkeit gewechselt ist: "Damals musste ich mir oft anhören, wieso ich das eigentlich mache." Wieso sie den Schritt gemacht hat? "Wir kennen unsere Bewohnerinnen und Bewohner oft über Jahre, es ist uns wichtig, sie in ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten und auch ein gutes Gehen und würdevolles Abschiednehmen zu ermöglichen."

Allerdings: Nicht nur das Ansehen ist im Bereich der Langzeitpflege offenbar geringer, auch die Bezahlung. Zwar ist die Differenz wegen großer Unterschiede je nach Bundesland, Träger oder auch Stadt versus Land schwierig darzustellen, laut Geschäftsführer König würden Beschäftigte in der Langzeitpflege aber in etwa ein Fünftel netto weniger verdienen.

Auch Andrea Kapounek, ebenfalls Geschäftsführerin des Hauses der Barmherzigkeit, betont die Dringlichkeit. Konzepte, wie die Situation für Beschäftigte verbessert werden kann, würden auf dem Tisch liegen. "Statt zu klatschen, müssen diese Reformen jetzt endlich ernst genommen und beschleunigt werden." Man rede seit Jahrzehnten über Verbesserungen. "Und ich sage es in dieser Deutlichkeit: Mich zipft es an, dass wir immer als Bittsteller auftreten müssen." Wenn die Pflege nicht nachhaltig gut aufgestellt sei, dann habe die Gesellschaft ein Problem. "Und das sehr bald." Schließlich gehe es auch darum, für neues Personal attraktiv zu sein.

Lage schon vor der Pandemie prekär

Die breite Allianz von Angestellten, Dienstgebern und Gewerkschaft ist trotz jahrelanger Diskussionen zuversichtlich, dass diesen nun Taten folgen werden. Und wenn wieder nichts passiert? "Wir waren lange still", sagt Stationsleiterin Dorner. "Aber so geht das nicht mehr lange." Von dieser Stimmung weiß auch Gewerkschafter Mjka zu berichten: "Die Beschäftigten rennen uns derzeit die Türen ein und sagen 'Die Regierung muss was tun oder wir gehen wirklich auf die Straße.'"

Laut einer Befragung der Arbeiterkammer dachten 2018 – also lange vor der Pandemie – 28 Prozent der Pflegefachkräfte mindestens einmal im Monat daran, den Job zu wechseln. Dass es jetzt mehr sind, davon gehen Dorner, König, Kapounek und Mjka aus. "Und da muss ich mich schon fragen: Wollen wir Leute in diesem Beruf, die da eigentlich rauswollen?"

Dorner beobachtet das Liebäugeln mit einem Jobwechsel auch unter Kolleginnen und Kollegen. Trotz Teamcoachings und Supervision und eigener Rituale im Team, wie etwa vor jedem Dienst die Klangschale zu benutzen und sich noch ein paar Momente der Ruhe zu nehmen oder sich bei der Übergabe den angestauten Stress und die Sorgen vom Leib zu reden, bliebe vieles an Überanstrengung über. Ihr Wunsch? "Dass unsere Arbeit von der Politik und der Gesellschaft endlich die entsprechende Anerkennung findet." (Lara Hagen, 22.4.2021)