In Pakistan soll das Parlament über eine mögliche Ausweisung des französischen Botschafters abstimmen. Das Votum wurde von der Regierung angeordnet, erklärte Innenminister Sheikh Rashid Ahmed in einer per Video verbreiteten Rede am Dienstagmorgen. Zuvor hatte die kürzlich verbotene Islamistenpartei Tehreek-e-Labaik (TLP) in "langen Verhandlungen" mit der Regierung zugestimmt, ihre seit Tagen andauernden gewaltsamen Proteste im Falle einer Abstimmung in der Nationalversammlung zu beenden.

"Gotteslästerliche Karikaturen"

Der Entschließungsantrag wurde am Dienstag im Parlament eingebracht. Gotteslästerliche Karikaturen seien in einem französischen Magazin veröffentlicht worden, wird in dem Antrag vorgebracht, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe mit seinem Eintreten für die Meinungsfreiheit die Gefühle hunderter Millionen Muslime verletzt. "Das Parlament verurteilt die Veröffentlichung beleidigender Zeichnungen durch das umstrittene französische Magazin 'Charlie Hebdo', und Muslime in aller Welt haben ihrem Zorn über die Veröffentlichung der Zeichnungen Ausdruck verliehen."

Weiters werden eine Debatte über die Deportation des französischen Botschafters und Raum für religiöse Proteste in allen Landesteilen verlangt. Anstatt Straßen zu blockieren, sollten bestimmte Orte für Proteste definiert werden. "Alle muslimischen Länder sollen mit der Angelegenheit befasst werden, und allen europäischen Ländern, im Speziellen Frankreich, soll der Ernst der Sache klargemacht werden", heißt es in der Resolution weiter. Nach der Einbringung wurde die Sitzung bis Freitag vertagt.

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Die Behörden von Rawalpindi blockierten Hauptstraßen mit Schiffscontainern, um Proteste der TLP zu verhindern.
Foto: AP/Naveed

Welle der Gewalt

Seit Montag vergangener Woche kommt es in zahlreichen Städten Pakistans zu gewaltsamen Ausschreitungen von TLP-Anhängern. Auslöser war die Verhaftung des TLP-Chefs Saad Rizvi am 12. April. Schon im vergangenen Herbst war es zu heftigen Ausschreitungen bei Kundgebungen der Islamisten gekommen. Diese hatten die Ausweisung des französischen Botschafters gefordert, weil sie sich durch die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" beleidigt fühlten.

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"Alles ist vergeben", titelte "Charlie Hebdo" in der ersten Ausgabe nach dem islamistischen Terroranschlag auf ihre Redaktion, bei dem am 7. Jänner 2015 elf Menschen ermordet wurden. Auch der Prophet Mohammed zerdrückte eine Träne und solidarisierte sich mit einem Plakat mit der Aufschrift "Je suis Charlie" mit der Redaktion. Islamisten fühlen sich von solchen Karikaturen beleidigt.
Foto: Reuters/Gaillard

Macron verteidigt Meinungsfreiheit

Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor bei einer Gedenkfeier für den im Oktober ermordeten Lehrer Samuel Paty bekräftigt, dass Frankreich nicht auf das Recht auf Veröffentlichung religionskritischer Karikaturen verzichten werde. Paty wurde von einem tschetschenischen Islamisten auf offener Straße geköpft. Dieser hatte ihm aufgelauert, weil er im Unterricht eine Diskussion über Meinungs- und Religionsfreiheit anhand der Karikaturen in "Charlie Hebdo" geführt hatte. Islamistische Eltern hatten danach in sozialen Medien gegen den Lehrer gehetzt.

Der Lehrer Samuel Paty wurde von einem Islamisten bestialisch umgebracht, weil er in seiner Klasse über Meinungsfreiheit diskutierte.
Foto: AFP/Coex

Islamisten-Ultimatum

Nach wochenlangen Protesten hatte die Regierung unter Premierminister Imran Khan einen Boykott französischer Waren und eine Parlamentsdebatte über die Ausweisung des Botschafters in Aussicht gestellt. Rizvi hatte nun erneute Proteste angedroht, falls die Regierung nicht bis 20. April den Botschafter ausweise und die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich abbreche. Daraufhin wurde Rizvi verhaftet. Bei den folgenden Protesten wurden vier Polizisten getötet und mindestens 800 verletzt. Auch sechs TLP-Anhänger kamen ums Leben. Die TLP wurde am Donnerstag auf Grundlage des Antiterrorgesetzes verboten.

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Die Islamistenpartei TLP hat massenhaft Unterstützer, hier bei Protesten in Lahore am Dienstag.
Foto: AP/Chaudary

Am Sonntag wurden Sicherheitskräfte beim Versuch, das TLP-Hauptquartier in Lahore zu räumen, angegriffen. Die Islamisten stürmten ihrerseits eine Polizeiwache in der Nähe und nahm elf Polizisten als Geiseln. Am Montag wurden diese nach Verhandlungen wieder freigelassen.

Khan setzt Karikaturen mit Holocaust gleich

Khan erklärte bei seiner Stellungnahme zum Verbot der TLP, der Staat habe die Partei erst verboten, als Sicherheitskräfte angegriffen wurden. Niemand könne sich über das Gesetz stellen. Gleichzeitig rief er die westlichen Demokratien auf, "die negative Kommentare zum Holocaust verboten haben, dieselben Standards anzuwenden, um diejenigen zu bestrafen, die absichtlich ihre Hassbotschaft gegen Muslime verbreiten, indem sie unseren Propheten PBUH missbrauchen". Der Premier forderte eine "Entschuldigung von diesen Extremisten".

Vor der Abstimmung im Parlament warnte Khan jedoch am Montag, dass Pakistan einen hohen Preis zahlen werde, wenn der französische Botschafter ausgewiesen werde. Die Hälfte der pakistanischen Exporte geht in die EU.

Frankreich rief seine in Pakistan aufhältigen Staatsbürger nach Beginn der Gewaltwelle auf, wegen der unüberschaubaren Bedrohungslage das Land zu verlassen. Französischen Firmen wurde geraten, ihre Tätigkeiten einzustellen.

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Boykottaufruf gegen französische Produkte in einem Supermarkt in Peshawar im vergangenen November.
Foto: Reuters/Aziz

Mörder als Gründungsursache

Die TLP ist für ihren Kampf gegen Änderungen an Pakistans Blasphemiegesetz und die Forderung nach der Einführung der Scharia bekannt. Die Partei wurde 2015 von Saad Rizvis Vater Khadim Hussain Rizvi gegründet, um die Hinrichtung eines islamistischen Mörders zu verhindern. Salman Taseer, der liberale Gouverneur der Provinz Punjab, wurde 2011 von seinem Leibwächter erschossen, weil er die wegen "Blasphemie" zum Tod verurteilte Christin Asia Bibi verteidigt hatte. Der Attentäter wurde 2016 hingerichtet, nachdem das Höchstgericht das Todesurteil bestätigt hatte.

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Die TLP ist nicht die einzige Islamistenpartei, die gegen die Meinungsfreiheit und gegen Frankreich agitiert: die Frauenvereinigung der Islamistenpartei Jamaat-e-Islami bei Protesten gegen "Charlie Hebdo" und Frankreichs Präsidenten "Macaroon" in Lahore im vergangenen Oktober.
Foto: AP/Chaudary

Asia Bibi wurde vorgeworfen, im Jahr 2009 Gotteslästerung begangen zu haben, weil sie aus demselben Gefäß getrunken hatte wie ihre muslimischen Kolleginnen. Sie wurde zum Tod verurteilt, wartete viele Jahre in Haft auf ihre Hinrichtung und wurde 2018 "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen, aber mit einem Ausreiseverbot belegt. Erst 2019 konnte sie Pakistan verlassen und zog zunächst nach Kanada. 2020 erhielt sie Asyl in Frankreich. (Michael Vosatka, 20.4.2021)

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Asia Bibi bei Emmanuel Macron im Élysée-Palast in Paris.
Foto: Reuters/Yaghobzadeh