Bei nachtaktiven Spezies wie Mäusen spielt der Geruchssinn eine sehr bedeutsame Rolle – nicht nur, aber auch bei der Fortpflanzung.

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In vielen Situationen, in denen wir Menschen in erster Linie unsere Augen nutzen, verwenden Tiere ihren Geruchssinn: Mit seiner Hilfe können sie Paarungspartner lokalisieren oder auswählen, sich orientieren, Nahrung finden, Gefahren vermeiden und sich verständigen. Eine wesentliche Steuerungsfunktion kommt dabei Pheromonen zu, speziellen Signalstoffen für die Kommunikation unter Artgenossen.

Für die Entdeckung der biologischen Grundlagen des Riechens erhielten die US-amerikanischen Biochemiker Richard Axel und Linda Buck 2004 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

1.000 Gene fürs Riechen

Die beiden hatten Anfang der 1990er-Jahre an Ratten herausgefunden, dass für das Riechvermögen rund 1.000 Gene verantwortlich sind, die jeweils für einen einzigen, spezialisierten Geruchsrezeptor in der Nasenschleimhaut kodieren. Von den Rezeptorzellen in der Nasenschleimhaut gelangt die in den Geruchsmolekülen übermittelte Information über den Riechnerv schließlich in das Riechhirn, den ältesten Teil des Großhirns.

Neben der Nase verfügen die meisten Wirbeltiere – mit Ausnahme von Krokodilen, Vögeln, Meeressäugern und einigen Primaten, darunter der Mensch – auch noch über ein zweites Organ, das für das Riechen eine Rolle spielt, das sogenannte Vomeronasal- oder Jacobsonsche Organ. Es handelt sich dabei um ein Areal in der Nasenhöhle mit speziellen Geruchsrezeptoren. Diese dienen der Aufnahme von besonderen, durch die Luft übertragenen Stoffen: den Pheromonen.

Im Dienst der Fortpflanzung

Pheromone sind chemische Substanzen, die von einem Individuum abgegeben werden und bei seinen Artgenossen spezifische Reaktionen auslösen. Dem deutschen Chemiker Adolf Butenandt gelang es 1959 als Erstem, ein solches Pheromon zu isolieren: "Bombykol" nach dem Seidenspinner Bombyx mori, dessen Weibchen damit Männchen anlocken.

Tatsächlich stehen viele Pheromone im Dienst der Fortpflanzung, aber bei weitem nicht alle: So legen etwa Ameisen Pheromon-Pfade an, die ihren Stockschwestern den Weg zu ergiebigen Nahrungsquellen weisen, und viele Fische setzen bei Verletzung Schreck-Pheromone frei, die ihre Artgenossen warnen. Prinzipiell unterscheidet man zwischen zwei Typen von Pheromonen: Releaser-Pheromone, die beim Empfänger ein bestimmtes Verhalten bewirken, und Primer-Pheromone, die eine physiologische Reaktion auslösen.

Bekanntestes Beispiel der Releaser-Variante ist ein Pheromon, das an den Zitzen von Kaninchenmüttern entsteht und die blinden Neugeborenen zielsicher zur Milchquelle finden lässt. Ein vielseitiges Primer-Pheromon ist die Königinsubstanz der Honigbiene: Sie hemmt nicht nur die Entwicklung der Eierstöcke ihrer Arbeiterinnen, sondern wirkt auch als Sexuallockstoff beim Hochzeitsflug.

Artspezifische Signalstoffe

Auch wenn Pheromone in den meisten Fällen als Geruch wahrgenommen werden, sind nicht alle Gerüche auch Pheromone: Menschen und andere Säuger geben ständig eine Wolke von verschiedenen Molekülen ab, deren Zusammensetzung einerseits auf körpereigenen Sekreten basiert, andererseits mit Ernährung, Immunstatus oder Kontakt mit Artgenossen variiert.

Bei Pheromonen handelt es sich ebenfalls meistens um Kombinationen mehrerer Moleküle, aber im Unterschied zu "gewöhnlichen" Gerüchen sind sie immer gleich und lösen immer die gleiche Reaktion aus. Zudem werden die entsprechenden Signale nur von der Art verstanden, die auch gemeint ist – aus einsichtigen Gründen: Wer bei Verhalten wie der Partnerwahl auf die falsche Spezies reagiert, spielt im Genpool nicht lange eine Rolle.

Untersuchung von Wirbeltieren

Während die Pheromone von Insekten intensiv beforscht wurden, vor allem, um diverse Schad-Arten einzudämmen, ist das Wissen über die chemische Kommunikation von Wirbeltieren deutlich weniger umfangreich. Diesbezüglich am besten untersucht ist die Hausmaus.

Für sie als nachtaktives Tier haben Gerüche herausragende Bedeutung, nicht zuletzt bei der Fortpflanzung: In der Natur beanspruchen Männchen ein Territorium, indem sie Landmarken darin immer wieder mit kleinen Mengen ihres Urins benetzen.

Der Harn enthält sowohl Pheromone als auch Proteine, die die flüchtigen Duftstoffe binden, ihre Abgabe verlangsamen und dadurch ihre Wirksamkeit verlängern. Manche Proteine wirken selbst als Pheromone – wie MUP-20, das nach dem begehrenswerten Mr. Darcy in Jane Austens Roman "Stolz und Vorurteil" auch Darcin heißt und auf Mäuseweibchen anziehend wirkt.

Weibchen anlocken

Darcin ist auch einer der Stoffe, deren Produktion männliche Mäuse massiv hochfahren, sobald sie Eigner eines Territoriums und damit dominant werden. Wie Dustin Penn vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien und sein Team zeigen konnten, lockt die gesteigerte Protein- beziehungsweise Pheromon-Produktion paarungsbereite Weibchen an, was sich in einer erhöhten Nachkommenschaft niederschlägt.

Das ist insofern bemerkenswert, als man "bisher davon ausgegangen ist, dass die Gene das Verhalten beeinflussen, aber nicht umgekehrt", betont Penn, doch genau das trifft hier zu: Das Verhalten – in dem Fall die Dominanz – bewirkt eine Änderung der Gen-Expression, in dem Fall die Zusammensetzung des Mäuse-Urins. "Das ist unseres Wissens die erste Studie, die einen Zusammenhang zwischen Pheromonen und Fortpflanzungserfolg bei Säugetieren belegt", erklärt Penn.

Pheromone auch bei Menschen?

Gesunde Menschen scheiden übrigens keine Proteine – ob mit oder ohne Pheromone – in ihrem Harn aus. Die Frage, ob es bei unserer Spezies überhaupt Pheromone gibt, wird in der Fachwelt teils heftig diskutiert. Zwar herrscht wenig Zweifel darüber, dass es "chemische Verbindungen gibt, die das menschliche Verhalten beeinflussen", wie Penn es formuliert, aber ob es sich dabei wirklich um Pheromone handelt, ist umstritten.

Ein wesentliches Problem bei der Erforschung ist, dass das Verhalten von Menschen gewöhnlich deutlich komplexer ist als etwa jenes eines Schmetterlings – und in vielen Fällen kulturabhängig.

Am erfolgversprechendsten könnten Untersuchungen an Babys sein: Auch wenn sie noch gar nichts von der Welt wissen, reagieren sie auf Substanzen, die – auch fremde – Mütter aus Drüsen um die Brustwarzen herum abgeben, indem sie ihre Zunge herausstrecken und zu saugen beginnen. Derlei Beobachtungen legen nahe, dass auch bei der nonverbalen Kommunikation von Menschen einige offene Fragen bestehen. (Susanne Strnadl, 6.5.2021)