Im Gastkommentar erklärt der frühere Minister Friedhelm Frischenschlager, wieso die Veröffentlichung der Öbag-Chats wichtig ist.

Kanzler Sebastian Kurz und Minister Gernot Blümel betonen, dass jede Regierung Personalentscheidungen fällen müsse. Doch auf das Wie komme es an.
Foto: APA / Herbert P. Oczeret

Die ÖVP argumentiert in Sachen Öbag und Thomas Schmid, die "Chats" seien "Privatsache", ihre Einbeziehung in gerichtliche und parlamentarische Untersuchungen eigentlich eine Verletzung der Privatsphäre. Mit "Privatsache" hat sie eigentlich recht – es sind tatsächlich private Kommunikationen. Aber darin besteht ja die Ungeheuerlichkeit: dass für die Republik wichtige Entscheidungen um die Öbag zur Privatsache eines informellen Personenkreises um den Bundeskanzler wurden.

Ausgehebelte Strukturen

Halten wir fest: Die tatsächliche Entscheidung für Schmid fiel lange vor dem Ausschreibungsverfahren in der "Familie" – Blümel im Chat: "Du bist Familie". Die Ausschreibung bastelte sich der so Ausgesuchte selbst. Den formal entscheidenden Aufsichtsrat, der ihn auswählen und dann kontrollieren soll, durfte sich Schmid zusammenstellen – der Bundeskanzler fand das noch lustig: "Du Aufsichtsratssammler", witzelte er. Für diese Auswahl der Aufsichtsräte spielte deren "Steuerbarkeit" eine wichtige Rolle – durch wen eigentlich: den Öbag-Einzelvorstand Schmid, durch die "Familie" oder wen? Und dieser Aufsichtsrat – oh Wunder – wählte ihn dann aus.

Es geht hier aber um Grundsätzlicheres als "Postenschacher": Denn so werden die wohldurchdachten Strukturen für die Beteiligungen der Republik an Wirtschafts- und Infrastrukturunternehmen, der Sinn der Öbag, ausgehebelt: ihre Ausgliederung aus der allgemeinen Verwaltung in eine unabhängige Sondergesellschaft, deren Kontrolle durch einen unabhängigen Aufsichtsrat, die Personalauswahl durch diesen über ein transparentes, objektives Ausschreibungsverfahren.

Informeller Machtklüngel

All das wurde zur "Privatsache" der "Familie" – was schert sie dabei die "res publica"? Es geht also um "Privatisierung" öffentlicher Angelegenheiten durch einen selbsternannten, schon vielfach beschriebenen informellen Machtklüngel, die "Familie" eben, koste es an Demokratie- und Rechtsstaatlichkeit, was es wolle.

ÖVP und Kanzler Sebastian Kurz werden weiters nicht müde – selbstbemitleidend und mit ausgeprägter Unschuldsmiene – zu versichern, jede Regierung müsse doch Personalentscheidungen fällen. Selbstverständlich. Und die Ausgewählten müssten doch das Vertrauen der Regierenden genießen. Natürlich. Doch worin sollte die Basis dieses Vertrauens bestehen: In der fachlichen Qualität und beruflichen Erfahrung; in der demokratischen und rechtsstaatlichen Verlässlichkeit; und auch in der Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Zielvorstellungen der Republik und der Regierenden, auch das ist legitim. Dass dabei die Parteinähe oft eine Rolle spielt, mag anrüchig sein – wäre aber nicht so problematisch, wenn alle anderen Kriterien zweifelsfrei eingehalten werden.

Fragliche Auswahlkriterien

Im konkreten Fall Öbag/Schmid sind diese Auswahlkriterien mit Ausnahme der VP-Nähe zumindest fraglich. Aber selbst die VP-Nähe genügte offenbar nicht, entscheidend war vor allem anderen: Eine so wichtige Position muss in der engsten "Familie" bleiben, auf deren Vertrauen kam es zuallererst an.

Diese Chats mögen "salopp", vom Stil her privat klingen, betreffen aber nicht Privates, sondern konkrete Entscheidungen in essenziellen öffentlichen Angelegenheiten. Deshalb ist ihre Öffentlichkeit wichtig. Nicht um oppositionelle Scharfmacherei zu bedienen, sondern um die wichtigsten Organe der Machteinhegung in einer Demokratie, Gerichtsbarkeit und parlamentarische Kontrolle, ihren Aufgaben nachkommen zu lassen. Und bei den beteiligten Regierenden könnten im optimalen Fall auch Selbstreflexion und demokratische Lernprozesse ausgelöst werden – im Interesse unserer Republik und ihrer politischen Kultur. (Friedhelm Frischenschlager, 21.4.2021)