Der Verfassungsgerichtshof hatte im Corona-Jahr einiges zu tun. Viele seiner Entscheidungen kamen aber erst zu einem Zeitpunkt, als es bereits zu spät war. Eilverfahren könnten das ändern.

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Bis der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Corona-Verordnungen überprüft habe, "werden sie ohnehin nicht mehr in Kraft sein", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vergangenes Frühjahr. Und es kam, wie es kommen musste: Im Juli 2020 kippte der VfGH nachträglich den ersten Lockdown wegen Gesetzwidrigkeit – der Beginn einer Historie an Aufhebungen durch das Höchstgericht.

Auf die Aussagen von Kurz folgte prompt Kritik und der Ruf nach einer Reform des Rechtsschutzes. Markus Thoma, Vertreter der Verwaltungsrichter, forderte schnellere Verfahren mit der Möglichkeit für den VfGH, rasch einstweilige Maßnahmen zu erlassen. Das sei im Fall von Bescheiden zwar möglich, nicht aber dann, wenn Verordnungen oder Gesetze die Freiheit generell einschränken.

Politische Forderung

Auch die Neos brachten noch im April 2020 einen diesbezüglichen Antrag im Nationalrat ein. Die Entscheidung, ob freiheitsbeschränkende Maßnahmen verhältnismäßig seien, erfolge erst nach monatelangen Verfahren. Das Höchstgericht solle daher die Möglichkeit bekommen, "vorläufige Anordnungen zur Abwehr schwerwiegender Nachteile" zu erlassen, so wie das etwa auch in Deutschland vorgesehen ist. Dort kann das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren prüfen, ob ernsthafte Bedenken gegen eine Verordnung oder ein Gesetz bestehen. Wenn das der Fall ist, setzt es die Maßnahmen bis zu einem endgültigen Ergebnis aus.

Alfred Noll, Anwalt, Professor für Verfassungsrecht und Ex-Jetzt-Mandatar, plädiert für ein System nach deutschem Vorbild: "Ich glaube, dass die Verfahren in den letzten Jahren genügende Belege dafür geliefert haben, dass so ein Eilverfahren dringend notwendig ist."

Der Gerichtshof tagt nicht permanent, sondern tritt viermal im Jahr zu mehrwöchigen Sitzungen zusammen. Der Präsident ist allerdings nicht an die Fixtermine gebunden. "Wenn entsprechende Anträge gestellt werden, müsste er dafür halt eine Sitzung einberufen", sagt Noll. Beim Eilverfahren müssten auch nicht alle Verfassungsrichterinnen beteiligt sein.

Zuletzt wurden Forderungen laut, der VfGH solle grundsätzlich permanent tagen. Eine solche Reform könnte das Höchstgericht auch von sich aus durchführen. Der Verfassungsgerichtshof gibt sich seine Geschäftsordnung nämlich selbst.

VfGH und Edtstadler skeptisch

Und was hält der VfGH selbst von der Debatte? Wenig. Der Gerichtshof arbeite ohnehin ständig, zusätzliche Sitzungen könnten bei Bedarf einberufen werden, sagt eine Sprecherin zum STANDARD. Echte Eilverfahren gebe es etwa beim Europäischen Gerichtshof, aber unter ganz anderen Voraussetzungen: Denn dort dauern Verfahren oft Jahre – der VfGH kann auf eine durchschnittliche Entscheidungsdauer von vier Monaten verweisen. Und "da der VfGH gerade auch bei Corona-Fällen recht zügig endgültig entschieden hat, würde ein ausgedehnter einstweiliger Rechtsschutz nicht viel ändern."

Auch im Büro der zuständigen Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sieht man keinen Handlungsbedarf. "Die Möglichkeit, Bestimmungen ohne ausführliche Prüfung für unanwendbar zu erklären, würde die Handlungsfähigkeit des Gesetzgebers schwächen", sagt ein Sprecher der Ministerin zum STANDARD. "Gerade in Krisenzeiten ist es wichtig, schnell zu entscheiden und zu handeln, ein vorläufiger Rechtsschutz würde die Effektivität der Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise einschränken." (Sebastian Fellner, Jakob Pflügl, 21.4.2021)