Ein Kerzen- und Blumenmeer an einem der Tatorte im Bereich der Seitenstettengasse in der Wiener Innenstadt, aufgenommen am Donnerstag, 19. November 2020.

Foto: APA/Fohringer

Bald ist es ein halbes Jahr her, dass ein islamistischer Terrorist mordend durch die Wiener Innenstadt zog. Viele Fragen zu Behördenversagen im Vorfeld wurden in der Zwischenzeit durch eine Untersuchungskommission geklärt, viele andere zum Tatablauf und der Vorbereitung gilt es noch zu klären. Auch für Opfer des Anschlags sowie Hinterbliebene sind noch viele Fragen offen. Sowohl nach der Verantwortung als auch danach, ob es entsprechende Entschädigungen geben wird.

Mehrere Opfer und Hinterbliebene haben sich entschieden oder überlegen, auf juristischem Weg gegen die Republik in dieser Angelegenheit vorzugehen. Eine Mutter einer vom Attentäter getöteten Frau hat bereits Klage eingereicht. Sie wird von Rechtsanwalt Norbert Wess vertreten. Geltend gemacht werden sollen Schmerzensgeld, Bestattungskosten und eine Haftung für künftige Schadenersatzansprüche. Den Behörden wird vorgeworfen, dass durch korrektes Handeln im Vorfeld der Anschlag verhindert hätte werden können – etwa durch eine frühere Gefahreneinschätzung durch den Verfassungsschutz nach der Haftentlassung des späteren Attentäters K.F. oder durch das Melden bestimmter Entwicklungen an die Staatsanwaltschaft, etwa des versuchten Munitionskaufs in der Slowakei.

K.F. fiel zweimal auf

Das Innenministerium beziehungsweise die Republik, vertreten durch die Finanzprokuratur, übermittelte nun eine sogenannte Klagebeantwortung – sie liegt dem STANDARD vor. Darin wird bestritten, dass die Forderungen seitens der Klägerin zu Recht bestehen. "Ungeachtet der besonderen Tragik des Todes der Tochter der klagenden Partei und der Abscheulichkeit des Terroranschlags war dieser von der beklagten Partei nicht zu verhindern und ist auch nicht auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Organen der Republik Österreich zurückzuführen", wird festgehalten. Da ein Amtshaftungsanspruch ein schuldhaftes Verhalten von Organen der Republik voraussetze und dieses nicht vorliege, seien die "geltend gemachten Ansprüche unberechtigt". Dass ein solches Verbrechen verübt werden sollte, sei "nicht im Geringsten" vorhersehbar gewesen.

Dann geht die Klagebeantwortung auf jene zwei wesentlichen Momente ein, bei denen K.F. den Behörden nach seiner Haftentlassung – zur Erinnerung: der Attentäter wurde bereits zuvor aufgrund eines einschlägigen Delikts verurteilt – auffiel: das von K.F. besuchte Islamistentreffen im Sommer 2020 und den versuchten Munitionskauf in einem Waffengeschäft in der Slowakei. Im Wesentlichen, so der Tenor, hätten die Behörden entsprechend den Informationen, die damals zur Verfügung standen, sehr wohl die notwendigen Handlungen gesetzt.

Fehlende Infoweitergabe

Aus Sicht der Behörden war es so: Bei dem observierten Treffen sei K.F. nicht Zielobjekt der Observation gewesen, zudem konnten keine "ansatzweise strafbaren Handlungen (...) oder radikale Vorgänge" festgestellt werden. K.F. sei als "Kontakt- oder Begleitperson" eingestuft worden. Zudem sei die Risikoeinschätzung Mitte September 2020 – weniger als zwei Monate vor dem Anschlag – auf "moderat" hochgestuft worden.

Der Vorfall in der Slowakei sei dann als Anlass genommen worden, um die Einstufung auf "hohes Risiko" vorzunehmen, eine Gefährderansprache wurde angeordnet. Bei dieser wäre K.F. "zu den Vorgängen in den Monaten Juli bis September" einvernommen worden, heißt es. Es wird angeführt, dass die Tatsache, dass es sich bei der Slowakeireise tatsächlich um K.F. handelte, "erst am 16.10.2020" durch die slowakischen Behörden bestätigt wurde. Die Identifizierung K.F.s auf den Fotos durch das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) wird in dem Schriftstück als "vage Vermutung" bezeichnet.

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist allerdings auch, dass es hier auch zu fehlender Infoweitergabe zwischen dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) kam. So wussten LVT-Beamte bei der genannten Observation nicht, dass es sich um eine Terrorzelle handeln soll, und die Bilder aus der Slowakei lagen einen Monat beim BVT, bevor sie dem LVT zur Identifizierung weitergeleitet wurden. Zu der Gefährderansprache kam es nicht mehr. Der Anschlag fand zuvor statt.

Ansprache wegen "Operation Luxor" verschoben

Erneut wird festgehalten, was auch schon die Untersuchungskommission in ihrem Bericht feststellte: Die Ansprache wurde aufgrund gebündelter Ressourcen durch die "Operation Ramses" (später: Luxor), die Razzia im Umfeld der Muslimbruderschaft, verschoben. Und auch rückblickend halten die Behörden in Bezug auf die damals vorliegenden Informationen an dieser Entscheidung fest: Die von diesen Gruppierungen ausgehende Gefahr sei "deutlich höher einzuschätzen" gewesen als jene von K.F.

Nachdrücklich betont wird zudem, dass auch die Untersuchungskommission in ihrem Bericht festhielt, dass die Verfehlungen durch die Behörden nicht "annährend kausal für den Anschlag" gewesen seien. Zudem sei den Behörden schlicht keine Informationen dahingehend vorgelegen, dass K.F. einem Zusammenschluss angehöre, der die öffentliche Sicherheit gefährden würde. Denn das damals observierte Treffen könne nicht als "Gruppierung" gesehen werden, und der Täter habe allein gehandelt. Auch ein entsprechender begründeter "Gefahrenverdacht" sei nicht vorgelegen. Tatsächlich befinden sich allerdings noch Personen in Untersuchungshaft, die in Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommen wurden.

Munition im Plastiksack

Dass die Staatsanwaltschaft über verdächtige Entwicklungen nicht verständigt wurde, wird ebenfalls verteidigt: Denn es sei kein Anfangsverdacht vorgelegen, dass K.F. eine Straftat begangen habe. Die Untersuchungskommission merkte jedoch an, dass ein Verfahren zum Widerruf der bedingten Entlassung hätte eingeleitet werden können, und auch Experten betonten, dass mit dem versuchten Munitionskauf eine strafbare Handlung stattgefunden habe.

Die Republik komme ihrer Verantwortung gegenüber den Opfern jedenfalls dadurch nach, dass Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz ausbezahlt würden. Die Klägerin hat demnach bisher knapp 6.000 Euro Schmerzensgeld und Bestattungskosten erhalten.

Interessante Einblicke liefert die Klagebeantwortung zudem auch in die Einschätzung seitens der Behörden, was die Tatnacht betrifft: So geht man davon aus, dass der Anschlag ursprünglich nicht für 2. November geplant gewesen war. Dass K.F. dann womöglich doch überstürzt handelte, könne am Lockdown gelegen sein – und auch daran, dass er womöglich glaubte, unter Beobachtung der Polizei zu stehen. Letzteres könnte der Fall gewesen sein, da er eine SMS von seinem Netzbetreiber erhielt, wo er über seine Standortlokalisierung durch die Polizei informiert wurde. Und zwar deshalb, weil er zwei Tage zuvor selbst die Polizei aufgrund eines Einbruchs verständigt hatte.

Auch aus dem Ablauf der Tat selbst könne der Schluss gezogen werden, dass K.F. "spontan und unvorbereitet" gehandelt habe: "So transportierte er die Munition beispielsweise in einem Plastiksack und hatte keine Reservemagazine. Sein Schussbild und die Waffennutzung waren unkoordiniert. Der Weg seines Verbrechens war nicht geplant und wurde offensichtlich willkürlich gewählt", heißt es.

Für Mitte Mai wurde ein Termin am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen festgesetzt. (Vanessa Gaigg, 23.4.2021)