Belcanto getanzt: "I Capuleti e i Montecchi"

Foto: Reinhard Winkler

Früher: am späten Nachmittag rein in den Railjet, im Untergrund des Linzer Bahnhofs vorbei an einem suspekten Völkchen und schnell durch das Asphaltgrau des Regierungsviertels. Dann rein ins schöne neue Landestheater, Oper, Applaus, raus. Mit dem letzten Railjet (und zum Teil sehr, ähm: lustigen MitfahrgästInnen) dann wieder zurück in die Wiener Nacht. Sechs, sieben Stunden waren futsch, mindestens. Aber egal. War ja meistens superschön in Linz.

Jetzt: Sofa. Ein paar Clicks, und der Stream geht los. Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" zeigen sie in Linz, also Romeo und Julia als Oper. Schöner sterben und dabei noch schöner singen im La La Land des Belcanto. In Linz hat man dafür Ilona Revolskaya und Anna Alàs i Jové verpflichtet, und die beiden machen das ganz wundervoll.

Ein berührendes Paar

Revolskaya leiht der Giulietta neben ihrem optischen Liebreiz auch ihren daunenweichen und schneeflockenreinen Sopran, Anna Alàs i Jové führt ihren klaren, fokussierten Mezzo mit kämpferischer Attitüde. Ein berührendes Paar.

Zwischen dem Montecchi Romeo und Tebaldo, seinem Rivalen von der Capuleti-Fraktion, geht es richtig ab, Bellini hat mehrere vokale Battles ersonnen. Joshua Whitener besteht sie mit seinem hellen, geschmeidigen Tenor, der Strenge, Schmelz und Substanz vereint, souverän. Sein Tebaldo bringt sich aber trotzdem um, Romeo und Giulietta dann bekanntermaßen auch. Schuld hat der Starrkopf Capellio, Julias Vater (Dominik Nekel).

Tolle Optik

Neben den gesanglichen Leistungen fesselt in Linz aber auch die Optik. Elisabeth Pedross hat als zentrales Bühnenelement einen multifunktionalen Torbogen ersonnen. Er dreht und verwandelt sich, wird von der Gruft zum Zimmer zum Palast. Auf die schwarze, spiegelnde Oberfläche werden verschwommene Naturaufnahmen projiziert, in die die Protagonisten kunstvoll integriert sind.

Das muss man gesehen haben, und das vermittelt sich auch im Stream ganz vorzüglich. Wie man am Bildschirm auch die Details der wundervollen Kostüme von Yvonne Forster genießen kann, die speziell das junge Liebespaar auf eine ganz bezaubernde Weise eingekleidet hat.

Im Lyrischen einfühlsam

Nur das Dirigat von Enrico Calesso lässt Wünsche offen. Die Allegrezza vitale, die Spritzigkeit des Belcanto driftet unter der Leitung des Italieners oft in Richtung eines eckigen, platten Militärkapellenschmisses ab; in den schnellen Passagen vermisst man eine tänzerische Elastizität. Im Lyrischen gelingen dem Bruckner Orchester Linz oft einfühlsame Momente.

Gelinderte Belastung

So schön diese von Gregor Horres inszenierte Produktion auch auf dem Flachbildschirm anzuschauen ist: Natürlich wünscht man sich, dass in Linz bald wieder große Oper gezeigt werden kann. Von psychischen und ökonomischen Belastungen berichtet Intendant Hermann Schneider im Interview, zumindest Letztere konnten durch einen zusätzlichen Beitrag von 4,3 Mio. Euro vonseiten des Landes Oberösterreich gelindert werden.

Doch "Resonanz funktioniert nur über die Gemeinschaft", weiß Musikchef Markus Poschner. Mögen gemeinschaftliche Resonanzerfahrungen und diesbezügliche Railjet-Reisen nach Linz bald wieder möglich werden. (Stefan Ender, 21.4.2021)