Wien – Zwei steinerne Löwen halten Wache. Ein weißer Ferrari flankiert den Eingang, der wenig glamourös von einem eingeklemmten Handtuch offen gehalten wird. Doch der Parkplatz vor dem Goldentime ist so verwaist wie das Entree. Kalter Zigarettenrauch hängt in der Luft. Der Schwerverkehr der Südosttangente lässt die Metallspinde der Garderoben vibrieren. In der Wäschekammer neben der Rezeption türmen sich die Frotteemäntel bis an die Decke. Der Desinfektionsmittelspender an der Kasse hinter Plexiglas ist leer.

Alexander Holzer, mehrheitlicher Eigentümer des Goldentime: "Viele nutzen unsere Dienste. Reden will keiner drüber. Wir sind tabu."
Foto: Regine Hendrich

Gut vier Monate lang zwischen zwei harten Lockdowns herrschte im Goldentime im Vorjahr Hochbetrieb. Doch seit Corona weite Teile der Wirtschaft seit November erneut in die Knie zwingt, sind auch in der Wiener Erotiksauna die Lichter aus. Plaketten an den Toren mahnen dazu, eine Schutzmaske zu tragen und zwei Meter Abstand zu halten.

Tief im Herzen des Etablissements in Simmering lehnt an der Pole-Dance-Stange nur ein Putzkübel. An der Bar hockt neben Einkaufstaschen einsam ein betagter Freund des Hauses. In zwecks besserer Belüftung nur durch weinrote Vorhänge getrennten Separees harren Küchenrollen und Feuchttücher vergeblich ihrer Verwendung. Allein in den Garderoben der Prostituierten erinnern Stöckelschuhe und mit allerlei buntem Tand gefüllte Koffer an lebendigere Zeiten.

"Mehr Hygiene gibt’s nicht"

Sein Unternehmen sei zum Stillstand verdammt, dabei erfülle es alle Standards, um sich weiterhin virenlos der Wellness zu verschreiben, seufzt Alexander Holzer, der neben dem in der Sonne funkelnden Ferrari über eine Stiftung in Liechtenstein auch 60 Prozent des Goldentime sein Eigen nennt. "Mehr Hygiene als in einem Saunaclub wie dem unseren gibt’s nicht."

Auf der Tangente über dem Saunaclub rauscht der Verkehr. Zwei Löwen und ein Ferrari halten die Stellung.
Foto: Regine Hendrich

Holzer, hohe weiße Sneaker, Totenkopf-Leiberl, Kreuz an der Halskette und Stehfrisur, verspricht der Regierung Fiebermessen und tägliche Corona-Tests, sollte sie es ihm erlauben, aufzusperren. Wer sich abseits von Bar, Sauna und den mit Plastik überzogenen Betten bewege, müsse Maske tragen. In die Schwitzbäder dürfe man nur zu zweit. Aufgüsse seien in Zeiten wie diesen natürlich verboten. Wer vorab noch duschen wolle, müsse es einzeln tun. Lediglich bei der Angabe persönlicher Daten würde man es gern bei der Schuhgröße, die zu den geeigneten Saunaschlapfen führt, belassen.

Garteln statt Erotik

Holzer betreibt das Goldentime mit Partnern seit 2013. Seit bald einem Jahr widmet sich der gebürtige Kärntner und Tontechniker freilich mehr seiner Familie und dem Garteln als dem Rotlichtmilieu.

Die Krise legt das legale Nachtleben lahm. Statt in Bordellen, Laufhäusern und Clubs spielt sich das sexuelle Gewerbe, der behördlichen Kontrolle entzogen, im Verborgenen ab. Bis zur jüngsten verschärften Verordnung waren körpernahe wie sexuelle Dienstleistungen erlaubt. Da die Orte der Sexarbeit vor dem Gesetz als Freizeitstätten gelten, blieb der Zutritt zu ihnen aber verwehrt.

Flucht in die Unterwelt

Zwischenmenschliche Geschäfte verlagerten sich auf Hausbesuche und in über Plattformen wie Airbnb angemietete Wohnungen – bis im April auch die Ausübung des Berufs verboten wurde. Die Nachfrage nach der Dienstleistung schmälerte dies kaum. Wer sie weiter anbietet und in flagranti erwischt wird, riskiert Strafen von bis zu 900 Euro.

Separées sind durch Vorhänge getrennt. Das sorge in Zeiten hoher Hygieneanforderungen für gute Durchlüftung.
Foto: Regine Hendrich

Unternehmerinnen wie die Wiener Domina Shiva Prugger berichten von nicht enden wollenden Anfragen an ihr geschlossenes Studio, ob nicht irgendwo doch etwas laufe. "Wer seine sexuellen Wünsche ausleben will, findet Mittel und Wege dazu."

"Vulnerabel und erpressbar"

Sie selbst halte sich dank staatlicher Hilfe über Wasser. Was aber sei mit all jenen Frauen und Kollegen, die durch sämtliche Sicherheitsnetze fielen und nach einem Jahr ohne Einkommen zu Sozialfällen würden? "Wer aus finanzieller Not in die Illegalität geht, wird vulnerabel und erpressbar." Kaum einer wende sich bei Problemen mit Freiern an die Polizei, wenn man einer nunmehr verbotenen Arbeit nachgehe. Viele Frauen hätten eine Familie zu versorgen, liefen in Gefahr, ihre Wohnung zu verlieren. "Geht es finanziell um Kopf und Kragen, wird auch keiner mehr über Hygienevorschriften nachdenken."

Prugger, die 2020 mitten in der Krise einen Berufsverband für Sexarbeit auf die Beine stellte, ist kein Freund von Bordellen und Laufhäusern. Viel zu hoch seien die Mieten, die Betreiber von den Frauen oft einforderten. Dennoch seien viele von ihnen wichtige Arbeitsstätten für jene, die sich kein eigenes Lokal leisten könnten oder denen es hierzulande als Wochenpendlern aus Rumänien, Bulgarien oder Ungarn an Wohnmöglichkeiten fehle. Österreich dürfe bei den körpernahen Dienstleistungen nicht länger differenzieren. "Sperren die Friseure auf, sollten auch wir wieder arbeiten dürfen."

Frauen in der Armutsfalle

Darauf hofft auch Holzer und bittet in sein Büro. Nüchtern und klein ist es. Fotos neben seinem Schreibtisch zeigen Frau und Kind. Auf riesigen Postern dahinter räkeln sich nackte Pin-ups. Man plaudert kurz über die Hürden des Homeschoolings, schwenkt dann aber rasch auf den Kern seiner Probleme um. Jahrelang sei es der Polizei gelungen, Wohnungsprostitution einzudämmen, sagt er. "Mit einem Handschlag geht das nun den Bach hinunter."

An guten Tagen zählte das Goldentime seinen Betreibern zufolge 80 Kunden. Ein Tisch mit Laptop-Anschluss ist für Geschäftsleute reserviert.
Foto: Regine Hendrich

Auf Onlineplattformen blühe das Gewerbe. Allein in Wien arbeiteten derzeit hunderte Prostituierte ohne Schutz und gesundheitliche Kontrollen. Holzer versuchte, die Politik auf die Belange der Branche aufmerksam zu machen. Gefruchtet hätten die Gespräche nicht. "Viele nutzen unsere Dienstleistungen, aber reden will keiner drüber. Wir sind tabu."

Holzer verdiene, wie er sagt, am Eintritt in seinen Club, den Freier sowie Sexarbeiterinnen bezahlen. Die Dienstleistung werde untereinander ausgehandelt, eine halbe Stunde ohne Extras koste 70 Euro.

Geschäftsleute und Touristen

Tagsüber gingen unter der Aufsicht eines Chefs vom Dienst vor allem Berufstätige aus und ein. Für Geschäftsleute sei ein Tisch mit Stecker für ihre Laptops reserviert. 50 bis 80 Kunden zähle das Goldentime am Tag, ein Gutteil seien Touristen. An ihrer Seite arbeiteten an die 60 Frauen, die dafür vorwiegend aus Osteuropa nach Wien reisten.

Seit dem Ausbruch der Pandemie lebt Holzers Erotiksauna von Förderungen. Wie Gastronomen beantragte er Umsatzersatz. 44 Angestellte in Wien und 22 in Linz sind in Kurzarbeit. Gekündigt sei keiner worden, sagt Holzer, vielmehr zahle er ihnen die Differenz zu den vollen Bezügen. Nachlass bei den Mieten genieße er keinen. "Wir stoßen an unsere Grenzen."

Viele Sexarbeiterinnen wurden zum Sozialfall. Die Volkshilfe rechnet mit Privatkonkursen und Delogierungen.
Foto: Regine Hendrich

Unzählige Sexarbeiterinnen sitzen bereits in der Armutsfalle. Anspruch auf Geld aus dem Härtefallfonds haben neue Selbstständige nur, wenn sie bei der Sozialversicherung gemeldet sind, ihr Einkommen deklarieren und Konten in Österreich vorweisen können. Wer brutto für netto kassiert, um sich etwa aus der Abhängigkeit von Bordellbetreibern zu befreien, oder über diese Steuern pauschal begleichen lässt, geht leer aus.

Sexarbeit als Angestellte?

Eva Van Rahden, Leiterin der Beratungsstelle Sophie, erzählt von gut 1000 Frauen, die die Wiener Volkshilfe im Vorjahr betreute. Sie rechnet unter ihnen mit einer steigenden Zahl an Privatkonkursen. "Der Bedarf an Hilfe und Lebensmittelpaketen ist massiv." Läuft die Stundung von Mieten aus, drohe vielen Frauen die Delogierung.

Auch Van Rahden plädiert dafür, bei der nächsten Lockerung des Lockdowns Orte sexueller Dienstleistung zu öffnen. Von Sonderregelungen für Saunen und Barbetriebe hält sie wenig. Vielmehr appelliert sie daran, Sexarbeit neben der Selbstständigkeit auch im Rahmen von Anstellungsverhältnissen zu ermöglichen.

Zweifel an der Zukunft seines Geschäfts hat Alexander Holzer nicht. "Sexarbeit ist das älteste Gewerbe der Welt. Auch eine Pandemie wird es nicht stoppen."
Foto: Regine Hendrich

Holzer hat das Corona-Jahr die Lust verleidet, wirtschaftlich vorauszuplanen. Wer wisse schon, welche Kreativität die Regierung bei den Regeln noch entwickle? Bis dahin bleibe ihm wenig anderes übrig, als den Betrieb sauber zu halten und die Blumen und Palmen im Vorgarten unter der Stadt-Autobahn zu hegen. Zweifel an der Zukunft seines Geschäfts hat er keine. "Sexarbeit ist das älteste Gewerbe der Welt. Auch eine Pandemie wird es nicht stoppen." (Verena Kainrath, 22.4.2021)