Noch ist unklar, wohin die Bewohner gebracht werden – eine Überstellung ins Camp Kara Tepe 2 (Bild) wäre für NGOs vor Ort aber "inakzeptabel".

Foto: Panagiotis Balaskas

Athen/Wien/Lesbos – Das oft als Vorzeigemodell bezeichnete Flüchtlingscamp Kara Tepe 1 auf der griechischen Insel Lesbos wird geschlossen. Nächste Woche sollen die Bewohner des unter lokaler Verwaltung stehenden Camps nach Angaben von Hilfsorganisationen und lokaler Medien übersiedelt werden – großteils in das viel kritisierte und schon jetzt überfüllte improvisierte Flüchtlingscamp Kara Tepe 2.

Ministerium gibt sich bedeckt

Das Migrationsministerium in Athen bestätigte die Schließung von Kara Tepe 1, ohne Gründe für die Schließung zu nennen. Allerdings soll in Plati, nahe der Inselhauptstadt Mytilini, eine neue Struktur errichtet werden, man warte aber noch auf eine konkrete Finanzierungszusage durch die EU-Kommission, hieß es.

Dass die Bewohner des eigentlich gut funktionierenden Camps Kara Tepe 1 nun nach Kara Tepe 2 kommen sollen, in dem laut Beobachtern "menschenunwürdige" Zustände herrschen, bezeichneten griechische Hilfsorganisationen, Solidaritätsbewegungen und andere ehrenamtliche Helfer als "inakzeptabel". Mehrere auf der Insel tätige NGOs wollten sich allerdings nicht konkret zu den Regierungsplänen äußern. Eine Vertreterin des hellenischen Roten Kreuzes sagte lediglich, dass Kara Tepe 1 "wunderbar" und "viel besser" als Kara Tepe 2 sei. Ihres Wissens nach solle ein Teil der Migranten aus dem "besseren" Camp auch auf das Festland gebracht werden. "Wir wissen aber nichts Genaues, man sagt uns nichts."

Prekäres Ausweichlager

Das Camp Kara Tepe 2 (auch als Camp Mavrovouni bezeichnet) wurde als Ausweichlager nach dem verheerenden Brand in Moria im September des Vorjahres errichtet. Die Zustände dort sind laut NGOs jedoch noch prekärer als im Elendslager Moria. Die Menschen, darunter viele Kinder und Schwangere, müssten in "Sommerzelten" bei teils eiskalten Temperaturen auf dünnen Matratzen mit dünnen Decken auf dem Boden schlafen, schilderte eine für Ärzte ohne Grenzen (MSF) tätige Hebamme kürzlich im APA-Interview. Babys würden in Wäschekörbe gelegt und im Zelt aufgehängt, um sie vor Nässe, Kälte und Ratten zu schützen, erzählten andere Helfer.

Das Österreichische Rote Kreuz (ÖRK) forderte angesichts der Zustände erneut, die Menschen auf Lesbos entweder auf das griechische Festland oder andere europäische Länder zu bringen, hieß es gegenüber der APA. Hierzulande scheitert die Aufnahme von Geflüchteten allerdings an dem vehementen Widerstand der ÖVP.

Neos fordern Kurz zum Handeln auf

Neos-Menschenrechtssprecherin Stephanie Krisper appellierte indes an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die "Scheuklappen" abzunehmen und "endlich zu handeln". Zwei offene Briefe an den Kanzler, in dem Krisper diesen zu Gesprächen mit Helfern und Augenzeugen der Zustände vor Ort bzw. zu einem "klaren Bekenntnis zur Wahrung der Menschenrechte" auffordert, seien bisher unbeantwortet geblieben, heißt es in einem Statement. "Kurz will offenbar weiterhin wegschauen und das Thema medial verdrängen."

Krisper richtete deshalb erneut parlamentarische Anfragen an Kurz sowie Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP). Die Neos-Abgeordnete will wissen "welche konkreten Hilfsmaßnahmen mit und seit der letzten Lieferung Österreichs an die griechischen Behörden im Oktober 2020 zur Verbesserung der Situation der Menschen in den Flüchtlingslagern umgesetzt wurden und welche konkret geplant sind". Zudem fragt sie, woher die Regierung ihre Informationen über die Zustände vor Ort bezieht und "was die Minister etwa über Ratten in den Zelten oder andere Missstände in den Lagern, die keines Menschen würdig sind", weiß. (APA, 22.4.2021)