Foto: Nintendo
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Sie sind hier nicht in einem philosophischen Artikel gelandet, aber man darf sich die Frage stellen: Was wäre, wenn es Pokémon wirklich geben würde? Würden wir die Monster dann auch trainieren und gegeneinander in den Kampf schicken? Oder würden wir, aus dem Blickwinkel von "New Pokémon Snap" aus, die Viecher in ihrem natürlichen Habitat aufsuchen, erforschen und fotografieren? Genau das ist nämlich die Grundlage für "Snap" – man fährt mit einem Wagen wie bei einer Safari automatisch auf einer festgelegten Route durch ein Gelände und versucht, Pokémon von verschiedenen Blickwinkeln aus, in mehr oder weniger besonderen Posen, zu dokumentieren.

Was 1999 als skurriles Spin-off der Videogame-Reihe unter relativ positiver Kritik veröffentlicht wurde, soll mehr als 20 Jahre später wieder funktionieren: mit mehr und neuen Pokémon, wenig Neuerungen, aber dafür mit besserer Optik. "New Pokémon Snap" stößt dabei auf Probleme, die durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte bedingt sind: Nun hat so circa jeder und jede eine Kamera 24/7 in der Hand, Fotos werden inflationär geschossen, Instagram hat sich etabliert und die Fotowelt zum Guten und Schlechten revolutioniert. Dann gibt es auch noch "Pokémon Go", das bereits seit einigen Jahren vorgaukelt, wie es denn so wäre, würde man den virtuellen Monstern im echten Leben begegnen. Kann da ein Spiel überhaupt noch funktionieren, in dem man Fotos von imaginären Viechern macht – und mehr halt nicht?

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Richtiges Posieren ist gefragt

"New Pokémon Snap" schickt den Spieler, die Spielerin in die Lentil-Region, eine unerforschte Inselgruppe mit Wüsten, Graslandschaften, Archipelen und Wäldern. Dort soll man im Auftrag von Professor Mirror so viele Pokémon wie möglich für dessen Forschung dokumentieren. Es gilt nicht nur, den sogenannten Fotodex zu füllen, sondern auch das Geheimnis rund um die Inselwelt zu lüften. Denn spezifisch für Lentil ist der geheimnisvolle Lumina-Effekt, der Pokémon zum Leuchten bringt.

Mehr als 200 Pokémon tauchen insgesamt auf den zahlreichen Strecken auf, die man tagsüber oder in der Nacht bereisen kann. Am Ende jeder Safaritour bewertet Professor Mirror die geschossenen Bilder auf Grundlage von Pose, ob das Pokémon direkt in die Kamera schaut, wie groß es am Foto zu sehen ist und ob andere Monster im Hintergrund abgebildet sind. Die Fotos werden in Kategorien von einem bis zu vier Sternen unterteilt – eins bedeutet, man hat ein durchschnittliches Bild geschossen, vier heißt, man hat das Pokémon in einer ungewöhnlichen Situation oder Pose erwischt – und wird mit Erfahrungspunkten belohnt. Das heißt, ein Pikachu, das seelenruhig am Strand hockt, wird weniger gut bewertet als ein Pikachu, das Donnerblitz einsetzt, während ein Kokowei im Hintergrund um sein Leben kämpft, weil es von Wingulls attackiert und zu Tode gepeckt wird. Also ungefähr so.

Am Ende jeder Fototour werden die Bilder bewertet.
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Die EPs steigern den Level der Safaristrecke, was wiederum zu Veränderungen in der Erkundungstour führt. So tauchen dort (oder an anderen Orten) neue Pokémon auf oder Weggabelungen erschließen neue Gebiete. In der Riffwelt eröffnet sich so nach mehrmaligen Besuchen ein Weg in eine Tiefseehöhle mit neuen Pokémon für die Dokumentation.

Die in mehrere Abschnitte unterteilten Fotostrecken sind großteils abwechslungsreich designt: In der Wüste fegen Sandstürme über die Dünen, etwas weiter ziert eine üppige Oase das staubtrockene Gebiet. Im Dschungel wechselt sich der dichte Busch mit Feuchtgebieten ab, im Meeresgebiet erforscht man zuerst die schroffen Felsen an der Oberfläche, bevor es in die düsteren Tiefseehöhlen hinabgeht. Die Pokémon wirken auf natürliche Weise in die Umgebung eingebettet und nicht deplatziert, man braucht mehrere Anläufe für jeden Level, um wirklich alle Ecken gesehen und erkundet zu haben. Schlafende Pokémon auf Ästen, miteinander kämpfende Monster, geheimnisvolle Schreie aus der Ferne – die Umgebung ist lebendig und durchdacht gestaltet.

Das Meer darf man an der Küste und unter Wasser erforschen.
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Pokémon mit Äpfeln bewerfen

Um Pokémon in besonderen Posen ablichten zu können, wird auf mehrere Extras zurückgegriffen. Mit Samtäpfeln lockt man die Monster zum Beispiel näher an sich heran, oder sie beginnen vor Freude zu jubeln und zu springen, nachdem sie die Frucht gegessen haben. Ähnlich wie mit der Flöte, die bereits 1999 eingeführt wurde, kann während der Fototour Musik abgespielt werden – das bringt manche Monster zum Tanzen oder weckt schlafende Viecher auf, um diese noch besser ablichten zu können. Neu hingegen sind die Lumina-Kugeln. Wirft man diese auf Pokémon, fangen sie zum Leuchten an und bringen Verhaltensweisen an den Tag, die den Wertungs-Score des Fotos nach oben treiben.

In der Theorie klingt es ziemlich einfach: Ich werfe einen Apfel irgendwohin, ein Pokémon taucht auf, macht Faxen, ich lichte das ab und bekomme für dieses Foto eine super Bewertung. In Wirklichkeit bombardiere ich einfach jedes Pokémon und jeden Quadratzentimeter eines Gebiets mit Äpfeln, um irgendeine Reaktion auszulösen. Geduld ist eine Tugend, und die braucht man für "Pokémon New Snap". Jede der Strecken muss man zigmal durchlaufen, um alle Pokémon in allen erdenklichen Posen festzuhalten oder alle geheimen Monster zu entdecken. Die minimalen Veränderungen auf den Strecken reichen nicht aus, um die Redundanz wettzumachen. Oftmals passieren ungewöhnliche Situationen in einem Bruchteil einer Sekunde hinter einem – hat man sich umgedreht, ist die Foto-Opportunity auch schon wieder vorbei. Also beginnt man die Strecke immer und immer wieder erneut für ein bestimmtes Foto.

Redundantes Fotoshooting

Großteils ist es aber auch gar nicht klar erkenntlich, wie man die verschiedenen Pokémon zum Posieren, Tanzen, Durchdrehen bringt, um ein Vier-Sterne-Foto zu bekommen. Muss ich den Apfel in den Busch schmeißen? Muss ich ein Monster zum Leuchten bringen, Musik spielen und ein Opfer darbringen? Wie locke ich legendäre Pokémon vor die Linse? Was unterscheidet überhaupt die verschiedenen Sternebewertungen – ein Tengulist, das im Nebel verschwindet und dessen Ohr ich gerade noch so am Foto draufhabe, ist mehr wert als ein Tengulist, das mir direkt in die Kamera starrt. Ganz logisch ist der Bewertungsalgorithmus nämlich nicht.

Pichu und Chimpep beim Spielen ablichten bringt eine hohe Wertung.
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Genau wie schon in "Pokémon Snap" für den N64 führen Kettenreaktionen dazu, dass versteckte Pokémon auftauchen oder besondere Ereignisse ausgelöst werden. Das weckt zwar den Jagdinstinkt und motiviert, aber die Redundanz, den immergleichen Level zum 15. Mal für einen Shot durchzuspielen, ermüdet dann doch sehr schnell. Die "Aufträge" von Professor Mirror und seiner Assistentin sollen da für Abwechslung sorgen. Das sind zum einen gewisse Situationen, die man ablichten soll – zum Beispiel wie ein Papinella aus der Blume am Rücken eines Bisaflors trinkt –, zum anderen sind es auch Hinweise, wo sich Pokémon versteckt halten könnten. Das alles lässt die spannende Safari leider sehr schnell von einem Abenteuer zu einer Arbeit verkommen.

Die geschossenen Fotos sind aber nicht nur für die Augen von Professor Mirror bestimmt. Nach jeder Fototour könnt ihr eure Snapshots abspeichern und bearbeiten. Unschärfe, Helligkeit und Zoom lassen sich verändern, ebenso können Filter und Sticker, wie man das bereits von Instagram oder Snapchat kennt, angewendet werden. Das Feature war zum Test noch nicht zugänglich, online darf man dann aber diese sicher wunderbar bearbeiteten Fotos auf einer Art Poké-Instagram teilen, während die unbearbeiteten Fotos in Ranglisten verglichen werden sollen, wer denn nun die besten Shots der #MonstersOfLentil auf der #PokémonSafari gemacht hat.

Fotos lassen sich mit zahlreichen Extras "verschönern".
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Fazit

"New Pokémon Snap" ist ein Spiel, in dem man Pokémon fotografiert. That's it. Wer sich abendfüllende Unterhaltung erhofft, ist hier gänzlich falsch. Zehn, fünfzehn Minuten lang ist man gut mit dem Fotografieren unterhalten. Dafür ist "Snap" kurzweilig genug. Für mehr ist das Game einfach zu redundant und frustrierend eintönig. Die sich verändernden Level verändern sich zu minimal, um den hohen Wiederspielzwang zu rechtfertigen. Wer schon in den "Pokemon"-Teilen der Hauptreihe seine Freude hatte, den Pokédex zu komplettieren, wird auch in "Snap" seine Erfüllung finden. Für Fans sind 50 Euro für eine Monster-Fotojagd-Simulation sicher ihr Geld wert, für alle anderen bietet das Game zu wenig, um den Preis zu rechtfertigen und längerfristig zu unterhalten. (Kevin Recher, 28.4.2021)