In blauen Overalls, mit langen lockigen Haaren, tattoowierten Körpern und mit Tschick im Mund graben Julia, David und Vinzenz von Hand einen ganzen Acker mühevoll um, nur um dort kiloweise Hanf einzusäen. Ein paar Wochen später sprießen die ersten Stauden aus dem Boden, nach drei Monaten wird der geerntete Hanf auf einem ausrangierten Feuerwehrauto abtransportiert. All das spielt sich für jedermann einsehbar mitten im konservativ-bürgerlichen Tirol ab, umgeben vom Wilden-Kaiser-Massiv, dort, wo in jedem Herrgottswinkel ein Kruzifix hängt, wie um aufzupassen, dass bloß niemand auf blöde Ideen kommt.

Das Kommando Hanf getaufte Kollektiv hat mit vielem gerechnet, nicht aber mit derart viel Offenheit, Neugier und Hilfsbereitschaft für ihr Projekt einer Hanfplantage. "Im Endeffekt haben vielleicht sogar wir ein Stück weit mehr Vorurteile gehabt, als uns letzten Endes entgegengebracht wurden", sagt David Troppmair vom Hanf-Trio, das sich ein großes Ziel gesetzt hat: die Renaissance einer Pflanze, die Wiedergeburt eines Krauts, das so viel mehr kann, als für ein High zu sorgen.

Die mehr als zwei Meter hohen Hanfstauden sorgten immer wieder für Anrufe bei der Polizei. Diese wurde aber vorab informiert und überzeugte sich auch schon von der Legalität der Pflanzen.
Foto: Koimé Kouacou

Wer zur richtigen Zeit am Koaserer Hof in Kössen vorbeischaut, bekommt schon einmal eine Portion frischer Hanf-Pesto-Spaghetti oder vom smaragdgrünen Likör ab, man will schließlich alle Teile der Pflanze verwerten. Dem Trio geht es aber nicht um die Kultivierung von Hanf als Genuss- oder Lebensmittel, sondern primär um dessen beeindruckende Fähigkeiten als Baustoff. Dafür eignen sich die extra gezüchteten Nutzpflanzen, die ohne den berauschenden Wirkstoff THC und mit verschwindend geringer Menge CBD auskommen, hervorragend.

Antibakteriell, isolierend, CO2-neutralisierend

Wenn die Architekturstudentin Julia Pohl in ihrem Innsbrucker Atelier über die Pflanze ins Schwärmen kommt, kann es schon einmal dauern, bis man wieder zu Wort kommt. Sie spricht vom "perfekten Baustoff", dessen Schäben im Gemisch mit Naturkalk von Jahr zu Jahr nur noch stabiler und massiver werden und aushärten – letzten Endes quasi zu Stein werden. International ist deshalb immer wieder von "hempcrete", einem Kofferwort aus "hemp" für Hanf und "concrete" für Beton, die Rede. Auch Hanflehm gibt es.

Sie spricht von der Dämmfunktion, die es erlaubt, giftige und umweltschädliche Materialien zu kübeln; von der natürlichen Feuchtigkeitsregulierung und der Nichtentflammbarkeit; von der Filterfunktion, die die Atemluft reinigt, CO2 neutralisiert und obendrein noch antibakteriell wirkt. Sie untermauert dies mit Studien, die der Hanfpflanze sogar in den strahlenverseuchten Böden Fukushimas eine reinigende Kraft zusprechen. Dem flammenden Appell für die Nutzpflanze Hanf folgt die beinahe schon resignierende Frage: "Warum kapieren das die Leut’ nicht?"

Auf Hanf kann man auch sitzen.i
Foto: Kommando Hanf

Aber genau diesen Umstand schickt sich die Oberösterreicherin ja an zu ändern. Gemeinsam mit ihrem bayerischen Studienkollegen Vinzenz Lachermayer soll auf dem Koaserer Hof schon heuer ihr Masterarbeitsprojekt realisiert werden: der Hanfcube, ein aus Hanf und Kalk gefertigter, auf Stelzen stehender Wohnraum, der ein hektargroßes Labyrinth aus Hanf überragen soll. Der Cube soll einerseits Zahlen und Daten über bauphysikalische Eigenschaften wie Raumluftqualität liefern, aber auch Interessierten als Anschauungsobjekt dienen. Hof und Feld wurden dem Kollektiv für das Pilotprojekt vorübergehend zur Verfügung gestellt.

Freiwillige Spenden, die bei Hanfpizza-Abenden (natürlich aus dem Hanfkalkofen) oder Labyrinth besuchen zusammenkommen sollen, will das Kollektiv in die Renovierung des alten Bauernhofs stecken. Troppmair, eigentlich Barbesitzer, der freie Stunden derzeit vor allem Flüchtlingsprojekten und dem Hof widmet, erklärt: "Die Nachbarn hatten wohl Angst, dass wir ihnen Ferienwohnungen vor die Tür knallen, und sind umso begeisterter, dass wir den Hof aus dem 19. Jahrhundert nach Möglichkeit erhalten und sanieren wollen."

Umpflügearbeiten am Koaserer Hof. Mangels Material anfangs von Hand. Später leihte ein benachbarter Bauer dem Trio seinen Traktor.

Dass die benachbarten Viehbauern ihre Tiere auch mal vom Hanf probieren lassen durften und dafür durchwegs positive Reaktionen ernteten, spielte dem Kommando Hanf ebenso in die Karten wie der Umstand, dass der Hanfanbau für die ältere Generation etwas völlig Normales darstellt. Bevor die USA den "War on Drugs" erklärten und auch die für den Drogenkonsum wertlosen Nutzhanfpflanzen dem Imageschaden Tribut zollen mussten, war Hanf weitverbreitet.

Ungeahnte Möglichkeiten für die Architektur

Das ist heute gänzlich anders. "Dadurch dass es jahrzehntelang keinen Markt für Hanf gab, gab es lange Zeit auch keinerlei Innovationen", beschreibt Lachermayer das Problem. Das Projekt verfolgt aktuell keine kommerziellen Interessen, es gehe primär darum, dem Thema Hanf als nachhaltiger Baustoff eine Bühne zu bieten. Dem angehenden Architekten ist dennoch wichtig, zu betonen, dass es sich beim Hanfbau sehr wohl um eine nachgefragte Zukunftstechnologie handelt. "Es lässt sich damit auch Geld verdienen. Springt doch endlich auf den Zug auf", sagt Lachermayer.

Die Hanfziegel der Südtiroler Firma Schönthaler etwa konkurrieren längst mit den Preisen herkömmlicher Ziegel, und der Nachhaltigkeitsaspekt wird auch in der Bauindustrie langsam stärker. So lässt sich nach Abriss eines Hanfkalkhauses die Baumasse etwa zu 100 Prozent wiederverwerten – als Baustoff oder Düngemittel fürs Feld.

Auch das Team entwickelt derzeit eine neue Verarbeitungstechnik von Hanfkalk, doch bis daraus ganze Häuser gebaut werden können, testet man das Material einstweilen anhand von Möbeln und Skulpturen. Für teaminterne Begeisterung sorgen dabei die unscheinbar wirkenden geschwungenen Modelle. Dies schien mit Hanfkalk aus architektonischer Sicht lange unmöglich.

Hanf zwingt uns, wieder in Kooperation miteinander zu gehen, zu lernen, miteinander zu leben."
Julia Pohl, Architekturstudentin

Wenn das Kommando Hanf von Wünschen und Zielen erzählt, schwingt freilich auch immer eine ordentliche Portion Idealismus mit. "Hanf zwingt uns, wieder in Kooperation miteinander zu gehen, wirklich zu lernen, miteinander zu leben", sagt Pohl. Für ein kleines Einfamilienhaus reichen ein bis zwei Hektar Nutzhanf, den Bauern als Zwischenfrucht aufziehen könnte. Die widerstandsfähige Pflanze brauche in unseren Breiten weder zusätzliches Wasser, Pestizide noch besonders viel Aufmerksamkeit. Die bis zu zwei Meter tiefen Wurzeln liefern Böden zudem wertvolle Nährstoffe, die sie sonst nicht bekommen.

Die neuen Formen befeuern die Kreativität der Architekturstudenten.
Foto: Kommando Hanf

Zwischenfrüchte säen und Leben ernten

Ganz so einfach ist es freilich dennoch nicht, erlegen sich viele Häuslbauer doch strikte Zeitpläne auf, die mit den aktuellen Lieferketten und dem Angebot an Zuchthanf kaum einzuhalten sind. Der Architekturschaffende Stefan Sterlich hat selbst einst mit Hanfkalk gearbeitet, sieht in der Trennung der Hanfschäben von den Fasern, aber auch in der Logistik allgemein noch große Probleme – etwa bei den Transportwegen. Da sei man in Frankreich schon viel weiter. Trotzdem sieht er keinen Grund, warum Angebot und Nachfrage nicht auch in Österreich hochskalierbar seien. "Das Produkt an sich ist ja super, und die Vorurteile gegenüber Hanf wurden auch immer mehr abgebaut", sagt Sterlich.

"Wir Biobauern müssen ja ,mit‘ der Natur arbeiten, und da ist Hanf eine wunderbare Sache."
Alois Haslinger, Biobauer

Vom Hanf als Zwischenfrucht und den bodenlockernden Eigenschaften schwärmt jedenfalls auch der Oberösterreicher Alois Haslinger: "Wir Biobauern müssen ja mit der Natur arbeiten, und da ist Hanf eine wunderbare Sache", sagt er. Im Gegensatz zu den ganzen Mais-Monokulturen, die im Sommer unsere Felder dominieren und wo praktisch "alles tot" sei, gebe es zwischen den Hanfsträuchern noch "echtes Leben".

"Da kommt Licht bis zum Boden rein, da gibt’s noch Vogerln und Insekten", so Haslinger. Er pflanzt heuer erstmals Hanf an und will sich damit auch ein Strohdach für seine Gartenlaube bauen. Mindestens zehn Jahre soll diese halten.

Maschinenmangel

An die Pflanze als Baustoff glaubt auch der Hanfbauer Michael Halbfurter. Der Osttiroler gilt als einer der Pioniere in der Szene, verkauft seine Hanfprodukte sogar an Spar und hat sich selbst einen Mähdrescher umgebaut, um die Ernte einzufahren. Halbfurter tat dies weniger aus Kostengründen, sondern schlicht, weil es kaum passende Geräte gibt. Klassische Mähdrescher gehen regelmäßig in Flammen auf, weil die Geräte einfach nicht für die stabilen Hanffasern ausgelegt sind. Das hemmt die Bereitschaft, Hanf anzubauen, zeigt aber, dass es einen Absatzmarkt für Geräte gäbe.

Auch als leuchtende Kunstinstallation macht der Hanfkalk keine schlechte Figur. Realisiert wurde es gemeinsam mit dem Kunst- und Kulturverein Krater Fajan.
Foto: Ufuk Sagir

Besucher aus Finnland und Australien hätten Halbfurter von ähnlichen Problemen berichtet. Auch bei ihnen wäre das Interesse groß, aber die Umsetzung schwierig, weil Industrie und Angebot fehlen. Dennoch: "Das wird immer mehr", prophezeit er dem Nutzhanf eine große Zukunft, auch in der Bauindustrie.

Aber kann Hanf in Zukunft wirklich mehr werden als ein nachhaltiger Baustoff für eine Handvoll Idealisten? Aktuell braucht es wohl noch zu viel Zeit, Aufopferung und Geduld, die nicht alle haben und deshalb immer noch auf "bewährte" und verfügbare Baustoffe wie Beton oder Ziegel zurückgreifen. Dennoch spricht vieles dafür, dem Hanf eine zweite Chance zu geben. Dafür müssten aber Landwirtschaft und Indus¬trie nachziehen, die Pflanze auf die Felder Österreichs zurückbringen.

Die langsame Rückkehr des Hanfs auf Europas Felder?
Foto: Statista

Da braucht es Überzeugungsarbeit. Aber nur weil Generationen um die Vorteile des Hanfs gebracht wurden, müsse das nicht auch für künftige gelten, meint man beim Kommando Hanf. (Fabian Sommavilla, 25.4.2021)