Ein Spiel ist auf allen Sportplätzen Wiens derzeit zu beobachten, egal ob im Prater, in Simmering oder in Döbling: das Trauerspiel. Bei Sonnenschein und immer wärmeren Temperaturen herrscht gähnende Leere, der Nachwuchs darf seit Anfang April und neuerlichem Lockdown nicht trainieren. Auch Kleingruppen sind untersagt. Von Mannschaftstraining ist schon lange keine Rede mehr. "Wir dürfen gar nichts. Ich bin mittlerweile ratlos. Bei uns gibt es viele Eltern und Kinder, die verzweifeln", sagt Adi Solly zum STANDARD. Der 49-Jährige ist Fußball-Nachwuchsleiter des Wiener Sport-Clubs. In Hernals kicken in normalen Zeiten 300 Kinder. "Ein Drittel bricht uns weg, wenn es keine Perspektiven gibt. Und damit stehen wir im Vergleich zu anderen Wiener Vereinen noch gut da."

Die Temperaturen steigen. Dennoch bleiben Wiens Sportplätze wegen Corona verwaist.
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Endlosschleife

Ein anderes Spiel befindet sich in der Endlosschleife. Die Interessenvertretung Sport Austria (BSO) macht immer wieder auf ihre Not aufmerksam, immer wieder verhallt ihr Aufschrei. "Außer Diskussion stehen sollte inzwischen die Öffnung des Freiluftsports, auch für Teamsportarten", sagt Hans Niessl. Noch diese Woche brauche es wirklich klare Perspektiven, so der Sport-Austria-Präsident.

Noch diese Woche? Solly kann sich das nicht vorstellen. Als Schulleiter der Volksschule Odoakergasse in Wien-Ottakring erfuhr er erst am Donnerstag, welche Regeln für den Schulbetrieb ab Montag gelten. "Und das ist eh ein frühes Signal. Wir hatten auch schon am Wochenende Konferenzen. Es gibt keine Planbarkeit." Laut Regierung soll es Mitte Mai Öffnungsschritte für alle Bereiche geben, also auch für den Sport. Bis dahin ist es noch fast ein Monat. Im Nachwuchs- und Amateurfußball wird es laut ÖFB-Geschäftsführer Thomas Hollerer wohl nicht früher losgehen.

Beim Fußballklub Vienna in Döbling werden hie und da Einzelstunden für Kinder angeboten. "In der Breite ist das natürlich nicht möglich", sagt Nina Burger, sportliche Leiterin des Frauenfußballs auf der Hohen Warte. Aerosolforscher haben in einem offenen Brief an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel darauf hingewiesen, dass die Corona-Infektionsgefahr bei Aktivitäten im Freien sehr gering ist.

Sport-Club-Nachwuchschef Adi Solly: "Wir dürfen nichts."
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"Wir wissen mittlerweile, dass es möglich wäre, den Trainingsbetrieb auszuweiten. Auch mit Kontakt", sagt Burger. "Der Sport ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung." Solly: "Ich muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um an diese Fakten zu glauben." Was derzeit passiert, ist, dass Kinder auf öffentliche Fußballplätze ausweichen. "Der Kongresspark war gestern voll, 20 Kinder spielen Match. Ohne Nachverfolgung, ohne Kontrolle."

Bei der Wiener Viktoria kann man die Situation als dramatisch bezeichnen. Beim Regionalligisten aus Meidling sind 480 Kinder gemeldet. "Derzeit haben wir Zugriff auf maximal 25", sagt Roman Zeisel. Der Viktoria-Obmann berichtet von einer Halbierung des Nachwuchsbetriebs. Die Kostenfrage werde bei vielen Vereinen, nicht nur im Fußball, zur Schicksalsfrage. "Auf dem Land zahlen die Gemeinden die Sportplätze, wir müssen uns mittlerweile um die Begleichung unserer Betriebskosten von mehr als 100.000 Euro im Jahr Sorgen machen." Beim Sport-Club sieht Solly auch die nächste Generation in Gefahr. "Weil es im Herbst nicht vorbei sein wird." Es können keine Probetrainings abgehalten werden, Onlinetrainings und Home-Workouts seien nur ein schwacher Ersatz.

Nina Burger, Ex-ÖFB-Teamspielerin und mittlerweile sportliche Leiterin des Frauenfußballs bei der Vienna, wünscht sich, dass "der Sport nicht mehr als Teil des Problems, sonder als Teil der Lösung" begriffen wird.
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Geduldsprobe

Ohne Corona-Förderungen könnten die Vereine nicht überleben. Was paktiert und von der Regierung sogar schon angekündigt ist, kann dennoch auf sich warten lassen. Der "Sportscheck" untermauert das. Neun Millionen Euro soll er schwer sein und möglichst bald einem Teil der 15.000 Sportvereine helfen, ihre Mitgliederzahlen zu halten und vielleicht sogar neue Mitglieder anzuwerben. So sollen vor allem Eltern unterstützt werden, die sich eine Anmeldung nur schwer leisten können. Auch steuerlich könnte der Hebel angesetzt werden, im besten Fall ließe sich der Mitgliedsbeitrag in einem Sportverein zur Gänze absetzen. Solly sieht die Geduld der Eltern auf die Probe gestellt. "Manche fragen sich, wofür sie ihre Ausbildungsbeiträge eigentlich bezahlen, wenn kein Training stattfindet. Der Worst Case wäre, dass sie ihr Geld zurückfordern. Dann kann ich nächstes Jahr zusperren."

Die Unzufriedenheit im Sport wird noch immer oft hinter vorgehaltener Hand formuliert. Dass viele Vereine die Hand nicht beißen wollen, die einen fördert, sieht Solly als Dilemma für den gesamten österreichischen Sport. "Da müssen wir uns den Spiegel vorhalten. Förderungen für Infrastruktur und sportliche Erfolge sind wichtig, aber deshalb dürfen wir nicht zum stillen Beobachter werden."

Für Roman Zeisel geht der Fokus der Gesellschaft auf den Nachwuchs verloren. "Wir werden Zustände haben wie vor 50 Jahren. Unsere Aufgabe wird es sein, die Kinder von der Straße zu holen." (Florian Vetter, 22.4.2021)