Das Signal kam nicht ganz unerwartet: Als Russland am Donnerstag ankündigte, seine jüngst verstärkte Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze wieder aufzulösen, sorgte das international für einige Erleichterung – und erschien als Bestätigung für all jene, die tags zuvor die Rede zur Lage der Nation von Präsident Wladimir Putin als eher handzahm empfunden hatten.

Das Schweigen gegenüber Kritikern bleibt ein Problem von Putins Politikstil.
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Zwar hatte Putin dort die Kontrahenten in der Weltpolitik davor gewarnt, "die rote Linie zu überschreiten", und gleichzeitig die eigenen militärischen Kapazitäten gepriesen. Doch nur ein kleiner Teil der Rede war der Außenpolitik gewidmet, die innenpolitischen Konflikte rund um den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny sparte Putin ganz aus. Mit Blick auf die kränkelnde Wirtschaft und die Corona-Pandemie – das weiß auch der Präsident – brauchen die Menschen weniger Konfrontation und mehr Zuversicht. Vor den Duma-Wahlen im September kommen Themen wie Familienpolitik, Impfstoffentwicklung und sogar Klimaschutz besser an.

Dennoch: Das lautstarke Schweigen gegenüber Kritikern bleibt ein Problem von Putins Politikstil. Wo genau verläuft seine "rote Linie"? Das werde man im "konkreten Fall selbst entscheiden", sagte er am Mittwoch. Zu Tschechien, mit dem Russland derzeit massiv im Clinch liegt, gab es nur Andeutungen. Und Nawalny nennt er gar nie beim Namen. Eine offene politische Debatte wäre das Gegenteil von Totschweigen und Wegsperren. Solange sie nicht geführt wird, sind auch zahme Töne aus dem Kreml nicht unbedingt beruhigend. (Gerald Schubert, 22.4.2021)