Gedenken an die Corona-Toten.

Foto: APA / Roland Schlager

Aufstehen, frühstücken, ein kurzer Blick in die Zeitung, anziehen – und los geht es zum Friedhof. Jeden Vormittag besucht Herr Kofler das Grab seiner Frau. Die beiden waren 25 Jahre verheiratet, "und dann war es aus, von einem Tag auf den anderen", sagt der 53-Jährige, während er einen Strauß Ranunkeln vor dem Grabstein platziert.

Seit Herbst 2019 ist er alleine – und einsam. "Wir hatten nur uns, aber das hat vollkommen gereicht", sagt Kofler und blickt ins Leere. Die ersten Wochen danach? "Da war einfach alles schwarz." Ende des Jahres redet er sich all das erstmals von der Seele. Kofler besucht eine Trauergruppe und fühlt sich dort verstanden.

Er hat wieder einen Grund, die Wohnung zu verlassen. "Da war auf einmal wieder mehr Luft zum Atmen", sagt er heute. Leider nicht lange. Denn mit Pandemiebeginn kam die Gruppe nicht mehr zustande, die Treffen im Kaffeehaus blieben aus, der Friedhofsbesuch war lange Zeit wieder Koflers einzige Unternehmung.

Corona verändert nicht nur unser aller Leben. Das Virus verändert auch den Tod und wie wir dieser Unwiderruflichkeit begegnen können. Das gilt nicht nur für diejenigen, die Menschen durch das Virus verloren haben. Beerdigungen ohne Besucher, wie es zeitweise der Fall war, und einsame Abschiede auf Intensivstationen waren im letzten Jahr für tausende Menschen bittere Realität.

Plötzlich wieder Raum für die Trauer

Herr Kofler ist kein Einzelfall. Sehr viele Trauernde in Österreich hätten Ähnliches durchgemacht, sagt Kathrin Unterhofer. Sie leitet die Kontaktstelle Trauer bei der Caritas in Wien. "In der Trauer wird man einsam. Das ist unter normalen Umständen schon oft so. Mit Lockdowns und Einschränkungen verstärkt sich das natürlich."

Unterhofer wisse von vielen, die bereits in Trauergruppen waren und die mit dem Lockdown das Gefühl beschlich, Rückschritte zu machen. Plötzlich war da wieder so viel Raum für die Trauer: Ablenkung in Form von Erledigungen, das persönliche Gespräch oder ein simpler Besuch im Kaffeehaus, all das fehlt.

Unterhofer und ihr Team reagierten und taten etwas, was sie normalerweise nicht machen: "Wir haben aktiv Trauernde angerufen, die wir aus den Gruppen kannten, und haben uns erkundigt, wie es ihnen geht." Die Personalressourcen habe das zwar an die Grenze gebracht, "aber die Leute waren so unglaublich dankbar, das hat man sofort gespürt".

Abschied übers Telefon

Das Abschiednehmen kam Corona-bedingt für viele Menschen zu kurz. In den ersten Wochen, als noch wenig über das Virus bekannt war, konnten sich Angehörige teilweise überhaupt nicht verabschieden. Die schrecklichen Geschichten, die man wenige Tage zuvor noch aus New York oder Bergamo hörte – sich übers Telefon zu verabschieden –, sie wurden plötzlich auch in Österreich erzählt.

Laut Unterhofer blieb es aber glücklicherweise bei wenigen Fällen. "Das direkte Abschiednehmen von engsten Angehörigen kurz vor dem Versterben dürfte hierzulande sehr gut funktioniert haben." Was man aber mitdenken muss: Natürlich ist das Ausmaß des Sich-Verabschiedens momentan ein ganz anderes als in der Zeit vor Corona. Und: Sehr viele Menschen, die nicht zum Kreis der engsten Familie gehören, den Sterbenden aber teilweise näher stehen als die Kinder oder Eltern, hatten die Möglichkeit nicht.

Menschen hinter den Zahlen

Dabei ist das Abschiednehmen essenziell für die Verarbeitung eines Todesfalls. "So können Betroffene erst als Ganzes erfassen, was wirklich passiert ist: Ein Mensch ist nicht mehr da", sagt Unterhofer. Vor allem für die erste Trauerphase – das Akzeptieren und Realisieren – sei das essenziell. "Natürlich ist die Stimme am Telefon zu hören nicht dasselbe wie die Hand ein letztes Mal zu drücken."

Der Tod ist seit der Pandemie eigentlich allgegenwärtig. Eigentlich. Denn obwohl täglich aktualisierte Todeszahlen auf Dashboards verfolgbar sind, bleibt das Ausmaß für viele weit weg, nicht greifbar. Darauf wollte die Caritas aufmerksam machen und stellte wenige Tage vor Weihnachten über 5000 Kerzen auf den Stephansplatz – für jeden bis dahin Verstorbenen eine.

"Hinter jeder Zahl steht auch ein Mensch. Ein Mensch mit einer Geschichte. Ein Mensch mit einer Familie. Ein Mensch, der geliebt hat und geliebt wird über den Tod hinaus. Mit dem Gedenken am Stephansplatz wollten wir der Trauer und dem Schmerz um die Opfer der Pandemie einen Raum geben", sagt Unterhofer.

Unvollendete Abschiede

Vor gut einer Woche gedachte die heimische Politik in einer Zeremonie der knapp 10.000 Corona-Toten. Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte dort die Einsamkeit, die viele Menschen erfahren mussten. Viele seien ohne ein letztes Wort des Trostes, ohne eine letzte Berührung seitens ihrer Liebsten gestorben.

"Unvollendete Abschiede" nannte es Van der Bellen – und diese täten besonders weh. Zu vielen sei ein unwiderruflicher Schatz verloren gegangen, das zu verarbeiten, dauere lange. Aber es tröste vielleicht, zu wissen, dass es vielen anderen Menschen auch so ergangen ist.

Die tröstenden Worte der Politiker gehen dem evangelischen Bischof Michael Chalupka nicht weit genug. Er fordert, dass es auch über kurzfristige Aktionen hinaus einen Ort zum gemeinschaftlichen Gedenken braucht. "Ob das ein Tag ist oder eine andere Form."

Verarbeitung der Verluste

Wer einen Menschen durch Corona verloren hat, kann bei der Caritas seit kurzem eine eigens dafür gegründete Trauergruppe besuchen – während des Lockdowns natürlich virtuell. Bis jetzt gebe es nicht viele Interessenten, sagt Unterhofer. "Für uns war die Hypothese, dass es eine eigene Gruppe für Corona braucht, weil Hinterbliebene sehr spezifische Sorgen haben könnten. Zum Beispiel wer den oder die Verstorbene angesteckt hat, Schuldgefühle, weil man es vielleicht selbst war, bis hin zum unvollendeten Abschied."

Kathrin Unterhofer kann sich vorstellen, dass sich viele Betroffene erst in ein paar Monaten melden. "Jetzt sind viele noch so beschäftigt mit der Pandemie, den Auswirkungen auf das eigene Leben." Wenn die Bekämpfung erst einmal in den Hintergrund gerückt sei, dann gehe bei vielen die Verarbeitung von Verlusten wahrscheinlich erst los.

Allerdings: "Corona ist nur eine Todesursache unter vielen, wie etwa Krankheit, Unfall oder Suizid. Es ist wichtig, dass man nicht mehr daraus macht, als es ist." (Lara Hagen, 24.4.2021)