Die Babydecke, die Gaby für ihr Enkerl stricken wollte. Tochter Simone hat sie nach dem Tod ihrer Mutter mit neuer Wolle fertig gestrickt.

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Schon während des ersten Lockdowns war Simone klar, dass ihre Mutter Gaby krank war. Gewichtsverlust, Kraftlosigkeit und ständige Müdigkeit waren deutliche Signale. Die Niere, hieß es zunächst. Es brauche eine Operation. Im Sommer, mit den Lockerungen, war es endlich wieder möglich, sich zu besuchen.

Es schien wieder aufwärtszugehen. Bis zum zweiten Lockdown. Wieder war direkter Kontakt nicht möglich, stattdessen gab es viele Telefonate. Die ansonsten sehr rüstige 65-jährige Frau ging kaum mehr aus dem Haus. Schlafprobleme traten auf, Schmerztabletten halfen nicht viel. Besuche von der Familie wollte sie nicht, zu groß war die Angst vor einer Ansteckung mit Corona.

Nach langer Wartezeit gab es im Oktober endlich einen Termin im Krankenhaus. "Einige Untersuchungen gehören gemacht. Keine Sorgen, alles wird gut!", schrieb sie in die Familien-Whatsapp-Gruppe. Sie ließ ihre Tochter und die Familie wissen, dass sie weniger telefonieren wolle, weil sie Ruhe brauche.

Ihre Angst war zu spüren. "Ich habe meine Mama noch nie so erlebt", sagt Simone. Ab diesem Zeitpunkt war ihr klar, dass es sich um etwas Schlimmes handeln müsse. "Ich hatte zum ersten Mal den Gedanken, dass es auch schlecht ausgehen könnte."

Zuversicht am Beginn

Zunächst waren Besuche im Krankenhaus nicht erlaubt. Erst nach fünf Tagen konnte ihr Mann Gerhard zu Gaby. Ihr Aufenthalt dauerte insgesamt drei Wochen. Mitte November war sie wieder zu Hause. Diesmal mit klarer Diagnose, die die Mutter und Großmutter jedem Mitglied der Familie einzeln erklärte.

Simone war die Erste, die von Wien ins Burgenland fuhr. Sie erinnert sich an jedes Wort: "Ich habe Krebs, auf der Niere. Er ist nicht heilbar. Aber gut behandelbar. Die Ärzte meinen, dass ich noch fünf bis zehn Jahre damit leben kann. 80 werde ich nicht werden, aber mein neues Enkelkind werde ich im Februar bestimmt noch sehen. So schnell geht’s sicher nicht."

Zu Beginn der Chemotherapie waren alle noch zuversichtlich. Simones Mutter hat tunlichst vermieden, andere zu treffen. Wieder wurde die Kommunikation aufs Telefon beschränkt, öfter und intensiver als sonst.

Die zweite Chemo brachte dann jedoch eine rasche Verschlechterung. Der Notarzt wurde gerufen, es folgte eine Einlieferung in das Krankenhaus. Komplikationen traten auf. Gaby verlor ihr Bewusstsein. Besuche waren im zweiten Lockdown wieder limitiert. Über den Ehemann erfuhr Simone nach Tagen voller Unsicherheit, dass sie zur Verabschiedung in das Krankenhaus kommen solle. Ihre Mutter würde die Nacht nicht mehr überleben.

Ausnahmegenehmigung

Für Angehörige von Sterbenden gab es eine Ausnahmegenehmigung. "Die anderen sind schon drinnen", meinte der Portier des Spitals. Ein Formular musste ausgefüllt werden, Fieber wurde gemessen, eine FFP2-Maske aufgesetzt. Simone und ihre Familie sahen die sonst immer starke und energiegeladene Frau auf ihrem Sterbebett. Sie atmete schwer. Ihre Tochter umarmte sie, streichelte ihr über den Kopf und drückte ihre Hand.

"Mama, ich bin jetzt auch da. Alles wird gut. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Wir sind eine Familie und werden immer zusammenhalten. Du kannst jetzt gehen. Alles wird gut." Gabys Atem wurde ruhiger, der Pulsschlag langsamer. Eine Dreiviertelstunde nach dem Eintreffen von Simone schlug das Herz ihrer Mutter am 17. Dezember 2020 zum letzten Mal.

Das Begräbnis musste rasch gemacht werden. Ab dem 27. Dezember waren strengere Corona-Maßnahmen angekündigt. Deshalb wurde es noch schnell einen Tag vor dem Heiligen Abend geplant. Statt Weihnachtsvorbereitungen mussten Parte, Trauerfeier und Blumenschmuck organisiert werden.

Simones Schwester, die mit ihrer Familie in Belgien lebt, kam mit dem Flugzeug. Ihr Mann fuhr mit dem Auto und musste die Parte als Beweis bei sich haben, falls er sie für die Grenzkontrollen zwischen Österreich und Deutschland gebraucht hätte.

Die körperliche Nähe fehlte

Die Trauergäste bildeten vor der Leichenhalle eine Schlange, hielten einen kurzen Moment vor dem Sarg inne. Dann nickten sie als Zeichen der Kondolenz Richtung Familie und verließen den Raum wieder. Umarmen, Trösten, Zuspruch waren aufgrund der Corona-Bestimmungen nicht möglich.

Auch auf den sonst im Burgenland üblichen "Leichenschmaus" musste verzichtet werden. Nach der Zeremonie gingen die engsten Familienangehörigen stillschweigend nach Hause, wo sie vorbestellte Brötchen aßen, gemeinsam Fotos von früher anschauten und Anekdoten erzählten.

"Ich hätte mich öfter getroffen, persönlich. Mit Mama und der ganzen Familie. Gerade in den letzten Tagen vor ihrem Tod", sagt Simone auf die Frage, was sie sich gewünscht hätte, wäre ihre Mutter nicht während der Pandemie gestorben. Die körperliche Nähe fehlte vor allem am letzten Tag, an dem sie ihre Mutter zu Hause besucht hatte. Aufgrund der Vorsicht gab es keine Umarmung, kein Drücken. Flächendeckende Testmöglichkeiten gab es damals noch nicht, Gaby hatte sich auf die Covid-Impfung gefreut, weil sie als Krebspatientin einen raschen Termin erwartet hatte.

Strickzeug am Wohnzimmertisch

Was von ihrer Mama bleibt? Gaby war für ihre Tochter ein sehr lebensfroher Mensch, gesellig, im Dorfverschönerungsverein und in einer Strickrunde aktiv. Sie hatte immer ein offenes Ohr und wusste für jedes Problem eine Lösung. Ihr Motto war: "Das wird schon irgendwie. Nimm’s nicht so schwer. Alles wird gut." Sie nahm das Leben und dessen Schwierigkeiten, wie sie kamen.

"Mama hat im Sommer, als es ihr besser ging, mit dem Stricken einer Babydecke für ihr viertes Enkelkind begonnen. Aus hellblauer Alpakawolle, weil sie wusste, dass es ein Bub wird. Als es ihr nach der zweiten Chemo schlechter ging, meinte sie, dass sie mit ihrer geliebten Handarbeit weitermachen will, wenn sie wieder fit ist. Als wir am Abend ihres Todes vom Krankenhaus nach Hause kamen, lag das Strickzeug am Wohnzimmertisch. So, als ob sie jederzeit weiterstricken würde. Ich habe es mitgenommen."

Simone hat die Decke fertig gestrickt. Mit neuer Wolle, nachdem die von ihrer Mutter aus war. Raphael wurde Ende Jänner 2021 geboren. (Rainer Schüller, 24.4.2021)