Die Kellnerin hat gerade die Bestellung aufgenommen und auf dem Tablet ins System getippt. Vielleicht Escargots de Bourgogne und danach ein Coq au Vin mit einem Glas Chablis, who knows. Das Café du Soleil auf der Upper West Side zählt zu den besten französischen Restaurants der Stadt und hat – wie viele andere New Yorker Gastronomiebetriebe auch – seine Al-fresco-Gäste letzten Herbst zum Schutz vor dem Virus kurzerhand in durchsichtige Plastik-Bubbles verbannt. Clever? Dystopisch? Oder einfach nur ein kleiner Vorgeschmack auf unser aller Zukunft?

"Durch die fortschreitende Digitalisierung ist uns die Stadt als öffentliche Sozialisationsbühne in den letzten Jahren abhandengekommen", sagen Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer. "Durch die globale Corona-Pandemie und die damit verbundenen Vorsichtsmaßnahmen hat die Frage nach der Zukunft unseres Zusammenlebens zusätzlich an Relevanz gewonnen. Werden wir den verlorengegangenen Stadtraum jemals wieder zurückgewinnen?"

Werden wir jemals wieder eine urbane
Öffentlichkeit zurückgewinnen?
Foto: Imago/Levine-Roberts

Genau das ist die Forschungsquintessenz und Kernbotschaft der beiden Kuratoren und Architekturtheoretiker, die in Wien und London das Centre for Global Architecture (schmunzeln erlaubt, sic!) betreiben und die 2019 vom damaligen Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) zum Kommissariatsduo gekürt wurden. Gemeinsam gestalten sie den österreichischen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig, die schon letztes Jahr hätte stattfinden sollen. In vier Wochen, am 22. Mai, sollen die Giardini nun endlich ihre Pforten öffnen.

"Die Stadt wird unsichtbar", sagt Mörtenböck, der etwas Kurzhaarigere der beiden Kunstzwillinge. "Gewachsene städtische Strukturen, öffentliche Einrichtungen und gewohnte Formen sozialer Organisation geraten zunehmend unter Druck. Wesentlich daran beteiligt sind die digitalen Plattformen, auf denen wir uns vernetzen, denn sie bieten Komfort, Effizienz und Zielstrebigkeit und bilden auf diese Weise einen virtuellen Ersatz für die reale, gebaute Stadt, in der wir uns bislang sozialisiert haben – ob das nun Facebook, Amazon, Uber, Quora, Google, Tinder oder Grindr ist."

Farmen am Rande der Stadt

Es gebe kaum noch einen Bereich, der von Digitalisierung und Verappisierung nicht betroffen sei: Konsum, Freizeit, Sport, Unterhaltung, Bildung, Wissensaustausch, Healthcare, Mobilität, Arbeitsvermittlung, Nahrungsmittelversorgung, Dienstleistungen aller Art, ja sogar Liebe und Sexualität werden in den digitalen Raum ausgelagert. Und mit den Bits und Bites nehmen nicht nur die sozio-analogen Interaktionen ab, sondern steigen zugleich auch die Lieferautos, Logistikzentren und abgeriegelten Serverfarmen am Rande der Stadt.

"Wir möchten nicht einfach zusehen, wie wir des gemeinsamen Stadtraumes verlustig werden, sondern uns an der Gestaltung der neuen urbanen Plattformen beteiligen", sagt Mörtenböck. "Und vielleicht verändert sich die Aufgabe von uns Stadtplanerinnen und Architekten dahingehend, dass wir in Zukunft nun auch diese virtuellen Stadträume mitgestalten müssen, anstatt die Programmierung einzig und allein den großen Konzernen und Tech-Unternehmen zu überlassen."

Um dieses pseudo-urbane Gedankenspiel auf die Spitze zu treiben, erfanden die beiden Kuratoren den Begriff Plattform-Urbanismus. Im österreichischen Pavillon in den Giardini soll dieser in den letzten 24 Monaten erforschte und dokumentierte Urbanismus manifest werden – und zwar in Form einer multimedialen Ausstellung mit Bild, Text, Ton, Film und Bühne. Zu Wort kommen neben den beiden Kuratoren rund 50 Blogger und Denkerinnen aus aller Welt.

Erfinder des Plattform-Urbanismus: Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer.
Foto: Centre for Global Architecture

"Der Abstand zwischen meinen Lippen und meiner nächsten Textnachricht ist abhängig vom Apple-Gesichtserkennungsalgorithmus und einem Lächeln", sagt etwa die britische Künstlerin Ofri Cnaani. Ihr Blog-Eintrag soll in der Ausstellung auf eine von den Kuratoren offiziell noch nicht näher definierte Weise lesbar, hörbar oder auf einer anderen Sinnesebene wahrnehmbar gemacht werden.

Und Pedro Gadanho, Direktor des Museum of Art, Architecture and Technology (MAAT) in Lissabon, meint in zwar zynischen, aber vielleicht gar nicht so weltfremden Worten: "Plattformen? Ein paar unglückliche One-Night-Stands einer Pandemie! Ein plattes Stadtbild ohne Erregung einer zufälligen Begegnung. Der reinste Zoombie-Urbanismus einer illusorischen E-Konnektivität, alles in Fachsprache, alles in Formeln, alles on-demand. Und nie wieder unsere 7,5-Quadratmeter-Wohnung verlassen!"

Ergänzt werden soll dieser aller Voraussicht nach ziemlich digitale, ziemlich virtuelle Biennale-Beitrag von einem interaktiven Forum, auf dem – gewiss nicht jetzt, aber vielleicht in ein paar Monaten – echte Diskussionen und Debatten im Präsenzmodus stattfinden sollen. Es ist schwer vorauszusagen, welche Inhalte konkret zu erwarten sind. Dazu halten sich die beiden Kuratoren zu bedeckt. Klar aber ist, dass die Frage, wie wir in einer kollateralkaputten Stadtrealität unsere Umwelt aktiv mitgestalten wollen, mit den aktuellen Ereignissen eine so dringliche Aktualität gewonnen hat, dass Mörtenböcks und Mooshammers Blick in die globale Kristallkugel geradezu schockierend ist.

Im Idealfall

"Im Idealfall wird uns der Plattform-Urbanismus das Leben erleichtern, die Bürokratie reduzieren und uns im Kommunizieren und Organisieren ermächtigen", sagt Helge Mooshammer. "Im Idealfall sind die Plattformen ein raum- und grenzüberschreitender Service, und wir haben die Möglichkeit, uns als Co-Gestalter und Co-Kuratoren einzubringen." Im Idealfall.

"Im schlimmsten Fall aber", sagt Mooshammer, "werden wir zu folgsamen Bürgerinnen und Bürgern degradiert, die zwar kein Mitspracherecht haben, dafür aber den politischen und kapitalistischen Systemen unsere Schuld in Form von Geld, Zeit und Daten abarbeiten müssen. Im schlimmsten Fall werden wir zu kleinen Variablen einer großen Kreditpunktegesellschaft, in der unser Staatsbürgerschaftsmodell durch ein Mitgliedsmodell ersetzt wird." Viele Fragen. Viele kritische Anmerkungen. Man darf gespannt sein auf die Antwort. (Wojciech Czaja, 25.04.2021)