Barbara Prainsack: "Quer durch alle Schichten zeigt sich ganz grundsätzlich, dass die Menschen mehrheitlich besser und bewusster leben möchten, wobei das für sie nicht notwendigerweise auch bedeutet, einen höheren Lebensstandard zu haben. Es geht um mehr Lebensqualität."

Robert Newald

Die Pandemie hat alles verändert, ganz besonders unsere Arbeitswelt: Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordwerte hochgeschnellt, viele Menschen waren oder sind in Kurzarbeit, das Büro verlagerte sich in vielen Fällen in die eigenen vier Wände. Die renommierte Politikwissenschafterin Barbara Prainsack (Uni Wien) hat sich in ihren zahlreichen Publikationen zuletzt unter anderem auch mit der Zukunft der Arbeit, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen und mit Fragen der Solidarität befasst.

Im Sommer wird ein von ihr mitverfasstes Manifest zu Fragen der gesellschaftlichen und politischen Umgestaltung nach der Krise erscheinen ("The Pandemic Within. Policy Making for a Better World", Policy Press). Seit rund einem Jahr führt sie als Teil eines Forscherteams der Universität Wien die sogenannte Corona-Panel-Studie durch, die größte laufende Umfrage während der Pandemie in Österreich.

Standard: Sie haben mit Ihren Kolleginnen und Kollegen auch die Veränderungen der Einstellung zum Thema Arbeit während der Pandemie abgefragt. Was kam dabei heraus?

Prainsack: Aus unseren laufenden Befragungen geht hervor, dass die Mehrheit der Befragten in Zukunft kürzer arbeiten will, zudem möchten das viele konzentrierter und besser erholt tun. Laut unseren Daten wollen ganz konkret drei von zehn Personen sogar zumindest einen Tag pro Woche weniger arbeiten. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob diese Personen während der Pandemie in Kurzarbeit waren oder nicht. Quer durch alle Schichten zeigt sich zudem ganz grundsätzlich, dass die Menschen mehrheitlich besser und bewusster leben möchten, wobei das für sie nicht notwendigerweise auch bedeutet, einen höheren Lebensstandard zu haben. Es geht um mehr Lebensqualität.

Standard: Das hätte aber auch Auswirkungen auf die Konsumgewohnheiten.

Prainsack: Richtig. In unserer qualitativen Studie, für die Tiefeninterviews mit Menschen gemacht werden, gaben die Befragten an, dass sie weniger konsumieren wollen. Wir dachten zunächst, dass es sich dabei vor allem um Leute handelt, die aufgrund der Krise weniger Geld zur Verfügung haben. Doch auch das zeigt sich quer durch alle Bevölkerungsgruppen, wie wir dann im repräsentativen Corona-Panel festgestellt haben. Nur eine Minderheit will die Wirtschaft durch Konsum ankurbeln, während die Mehrheit bewusster konsumieren will – also weniger, bessere Qualität und häufiger lokale Produkte.

Standard: Etwas, das sich während der Pandemie besonders stark verändert hat, waren die Arbeitsorte. Viele arbeiteten plötzlich zu Hause. Wird das bleiben?

Prainsack: Diese Veränderungen waren tatsächlich groß, für die USA hat man auch konkrete Zahlen: Vor der Pandemie wurden in etwa fünf Prozent der Arbeitszeit zu Hause verbracht. Während der Pandemie hat sich das auf 60 Prozent gesteigert. Prognosen gehen davon aus, dass Menschen die früher fünf Tage im Büro waren, zukünftig zwei bis vier Tage die Woche in Büros arbeiten werden und den Rest woanders. Wie sich das weiterentwickeln wird, hängt natürlich auch stark vom jeweiligen Berufsfeld ab. In jenen Berufen, in denen man von zu Hause aus arbeiten kann, wird Homeoffice sicher wichtig bleiben. Wobei das nicht von zu Hause aus sein muss. Der große Trend scheint mir, dass der Ort der Arbeit weniger wichtig wird.

Standard: Was bedeutet das?

Prainsack: In den USA ist etwa bereits jetzt zu beobachten, dass viele Arbeitskräfte aus dem Silicon Valley wegziehen, weil dort die Wohnkosten so hoch sind, und ihre Arbeit von günstigeren Gegenden der USA aus erledigen. Damit geht einher, dass etwa auch die Büroflächen großer Firmen in teuren Städten reduziert werden.

Standard: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass sich die Wünsche nach kürzerem und konzentrierterem Arbeiten nach der Pandemie auch realisieren lassen?

Prainsack: Offensichtlich ist, dass Arbeit vor der Pandemie für viele Menschen etwas war, das Stress gebracht und krankgemacht hat. Ob sich die Arbeitsbedingungen tatsächlich in diese Richtung bewegen werden, lässt sich schwer vorhersagen. Das hängt auch davon ab, wie lange die Pandemie dauert, welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gesetzt werden und welches Narrativ sich durchsetzen wird. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich einiges nach der Pandemie verbessert, weil der Druck auf die Politik steigen wird, diesbezüglich etwas zu verbessern.

Standard: Was stimmt Sie so zuversichtlich?

Prainsack: Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet das britische Wochenmagazin "The Economist" erst Anfang April der Arbeit – und nicht dem Kapital – eine strahlende Zukunft prophezeit hat. Eine der Aussagen des Schwerpunkts war, dass in Zukunft die Arbeitsbedingungen immer wichtiger werden. Ein absehbarer Trend dabei ist auch, dass wir in Zukunft Arbeitsleistung vermutlich anders messen werden. Vermutlich wird es künftig weniger um den Faktor Zeit gehen – also darum, wie viele Stunden man gearbeitet hat –, sondern um das Ergebnis. Bei all den positiven Aussichten gibt es auch eine große Befürchtung: dass es als Folge der Pandemie zu einer noch stärkeren Polarisierung in der Arbeitswelt kommen wird und nicht zu einer Verbesserung für alle.

Standard: Woran denken Sie da?

Prainsack: Corona hat vielfach soziale Ungleichheiten vergrößert. Wenn nichts dagegen unternommen wird, wird sich das in Zukunft verstärken: mehr Freiheiten beim Arbeiten für die Privilegierten und weniger Freiheit für die weniger Privilegierten. Mit anderen Worten: All jene, die jetzt schon in der Einkommens- und Ausbildungspyramide weiter oben sind, werden sich auch in Zukunft ihr Arbeitsleben noch besser gestalten können. Das wird auch für den Arbeitsort gelten. Auf der anderen Seite ist zu befürchten, dass die digitale Überwachung bei den Arbeiterinnen und Angestellten im unteren Einkommenssegment steigen wird. Ohne Gegenmaßnahmen könnten etwa Horrorszenarien der Überwachung, die wir von den Amazon-Arbeitern im Lager kennen, auf weitere Berufsgruppen ausgeweitet werden.

Standard: Sie haben sich auch intensiv mit dem Thema Solidarität beschäftigt. Was hat sich diesbezüglich aufgrund der Pandemie verändert?

Prainsack: In der Öffentlichkeit herrscht womöglich der Eindruck vor, dass diese Solidarität zu Beginn der Pandemie groß war und dann stark nachließ. Aber wir sehen in unseren Befragungen, dass es in Fragen der Verteilungsgerechtigkeit laut Corona-Panel-Studie eine Mehrheit gibt, die für eine gerechtere Verteilung von Lasten und Pflichten in unserer Gesellschaft eintritt, wie etwa für eine stärkere Vermögensbesteuerung. Und auch insgesamt zeigt sich, dass die Sorge um andere Menschen weiterhin hoch ist. Worüber eher Uneinigkeit herrscht, ist die Frage, wie man die Verteilungsgerechtigkeit konkret ausgestalten soll. Im Grunde sehen wir einen Wunsch nach Arbeitsverhältnissen und Absicherungen, wie sie etwa bereits jetzt in skandinavischen Ländern wie etwa Schweden praktiziert werden – wo auch die Arbeitszeiten im Schnitt kürzer sind. (Klaus Taschwer, 26.4.2021)