Wolfgang Mückstein kommt ins Besucherfoyer und streckt uns zur Begrüßung die Faust entgegen. Eigentlich sind es noch 20 Minuten, bis der Termin beginnen sollte. In der Regel lassen einen Spitzenpolitiker warten. Mückstein sagt, er habe jetzt schon Zeit. Dem Büro des gerade angelobten Gesundheits- und Sozialministers sieht man den Umzug noch an. Auf dem großen Regal hinter seinem Schreibtisch steht nur ein kleiner Karton mit FFP2-Masken, in den Wänden stecken Nägel, die Bilder wurden abgenommen. Während des gesamten Gesprächs nimmt Mückstein die Maske nur kurz ab, um zwei Schluck Multivitaminsaft zu trinken.

Wolfgang Mückstein ist Allgemeinmediziner, den Grünen trat er 2004 bei.
Foto: Heribert Corn

1 – Wie viele Zigaretten haben Sie seit Ihrem Amtsantritt geraucht?

Mückstein: Zu viele, leider. Ich rauche knapp zehn am Tag. Jetzt ist es weniger geworden, weil es schwierig ist, dafür einen Ort zu finden – zum Beispiel hier im Ministerium. Man darf ja nirgends.

2 – Sie sind 46 Jahre alt. Mehrere Aufhörversuche hinter sich?

Mückstein: Ja, ja, ein leidiges Thema. Ich habe es mehrmals probiert. Zwischenzeitlich habe ich fünf Jahre nicht geraucht, aber ich schaffe es einfach nicht aufzuhören. Ich weiß, dass ich damit kein gutes Vorbild bin. Ich kenne natürlich auch die Auswirkungen vom Rauchen auf den Körper.

3 – Wie viele Laster kann man sich als Gesundheitsminister und Arzt erlauben?

Mückstein: Möglichst wenige. Ich habe aber sonst keine Risikofaktoren, kann ich sagen.

4 – In einem Ihrer ersten Postings auf Twitter haben Sie geschrieben, dass Sie sich für "soziale Gerechtigkeit" einsetzen wollen. Große Worte. Was meinen Sie damit?

Mückstein: Was ich unter sozialer Gerechtigkeit verstehe, hat sich, seitdem ich siebzehn, achtzehn Jahre alt war und Herman Hesse gelesen habe, kaum geändert. Die Kluft zwischen Arm und Reich darf nicht zu groß sein. Aufgabe der Politik ist es, dass so wenige Menschen wie möglich von Armut betroffen sind. Da stehen wir in Österreich im internationalen Vergleich nicht schlecht da, aber auch bei uns geht die soziale Schere auseinander.

5 – Aber wie ticken Sie da? Gehören die Reichen geschröpft?

Mückstein schweigt. Lange. Sehr lange. Er überlegt. Wiegt den Kopf hin und her.

Mückstein: Es geht um gleiche Startbedingungen. Es geht um den Anspruch auf Bildung, eine Absicherung gegen Krankheit und um eine anständige Pension. Ich hatte selbst gute Startbedingungen. Aber wenn man weiß, dass Bildung vererbt wird und viele gar nicht die Möglichkeit auf sozialen Aufstieg haben, dann ist das ein Auftrag zu handeln.

6 – Heißt? Erbschaftsteuer, Kapitalertragsteuer – Vermögen gehört stärker besteuert?

Mückstein: Das ist meine Einstellung, ja.

7 – Ist die Sozialhilfe in Österreich hoch genug, um damit würdevoll zu leben?

Wieder Stille. Da merkt man Mückstein den Quereinsteiger an. Politiker antworten in der Regel schnell und lassen im Zweifel die Frage außer Acht. Er scheint sich hingegen ernsthaft zu überlegen, was er gleich sagen möchte.

Mückstein: Die Sozialhilfe sichert wohl eher ein Überleben, mehr nicht. Auch wenn man sich das Pensionssystem anschaut, wo wir jetzt drei Säulen haben, was ja nichts anderes heißt, als dass die öffentliche Säule gerade für Frauen im Alter oft zu wenig ist. Dass man sich eben nicht darauf verlassen kann, dass man nach 40 Jahren Arbeit von seiner Pension gut leben kann. So sollte das nicht sein.

Wenn wir nachhaken, wie er diese Dinge angehen möchte, antwortet er immer wieder, dass er sich das erst anschauen muss. Man wird darauf in künftigen Interviews eingehen müssen. Wenige Tage nach der Angelobung hat er noch Schonfrist.

8 – Verdient man eigentlich als Arzt besser oder als Minister?

Mückstein: Für mich hat sich da nicht viel verändert.

9 – Sie sind auch an einer GmbH für Immobilienentwicklung beteiligt …

Mückstein: ... mein Urgroßvater hat 1913 einen der ersten Kesselwagons gebaut. Er hatte dann ein mittelgroßes Unternehmen, das er seinen Kindern vererbt hat, unter anderem meinem Großvater. Mir gehört davon heute ein Drittel, wobei ich davon derweil noch nichts habe. Der Fruchtgenuss liegt bei meiner Mutter.

10 – Wie viele Stunden pro Woche sollen Österreicherinnen und Österreicher arbeiten?

Mückstein: Arbeit gehört auf jeden Fall gerechter verteilt. Und jeder hat ein Recht auf Freizeit.

11 – Wie viele Stunden hat Ihr Arbeitstag derzeit?

Mückstein: So zwölf, würde ich sagen.

12 – Wie schaffen Sie das mit zwei Kindern?

Mückstein: In meiner Partnerschaft habe ich leider schon seit Corona gesehen, dass wir in alte Verhaltensmuster zurückgefallen sind. Meine Ordination war bummvoll, viele Umstellungsprozesse. Ich bin in der Früh aus dem Haus gegangen und am Abend wieder gekommen, und meine Frau war im Homeoffice und hat daheim einfach viel mehr übernehmen müssen. Das ist leider so. Jetzt müss’ ma reden, meine Frau und ich …

13 – Good luck! Hatten Sie eigentlich selbst Corona?

Mückstein: Nein, ich wurde nie positiv getestet, bin als Arzt im Jänner zweimal mit Biontech/Pfizer geimpft worden und habe sehr hohe Antikörper.

14 – In Tirol breitet sich gerade ein neuer gefährlicher Mutationstyp aus. Muss das Bundesland komplett abgeriegelt werden?

Mückstein: Das ist beunruhigend. Da hat nun jemand, der Corona eigentlich schon gehabt hat, neuerlich Symptome entwickelt mit dieser neuen Variante. In Tirol wird zum Glück viel sequenziert, also sehr genau auf solche Varianten geschaut. Das wird man im Auge behalten müssen. Wir werden uns aber auch in Zukunft immer wieder auf neue Mutationen einstellen müssen.

15 – Das war jetzt eine Politikerantwort. Gehört Tirol abgeriegelt?

Mückstein: Das müssen die Experten entscheiden.

16 – Sie hatten vor ein paar Tagen ein Gespräch mit Rudolf Anschober. Wovor hat er Sie denn gewarnt?

Mückstein: Er hat mir Tipps und Tricks gesagt, die ich Ihnen aber nicht verrate. Gewarnt hat er mich vor nichts.

17 – Wann sind Sie eigentlich den Grünen beigetreten?

Mückstein: Das war 2004. Ich habe in Margareten gewohnt, wollte was machen und bin an einem Dienstagabend einfach in die grüne Bezirksgruppe zum Jour fixe. Dann war ich halt dabei, habe einen Park besetzt, weil sie da eine Tiefgarage bauen wollten. Das konnten wir verhindern! Später bin ich dann zu den grünen Ärztinnen und Ärzten, weil mein Partner in der Gruppenpraxis jemanden gesucht hat für den Kammerwahlkampf.

18 – Haben Sie denn bisher immer die Grünen gewählt?

Mückstein: Das sage ich Ihnen nicht!

19 – Rad oder Auto?

Er lächelt verzwickt, ausgerechnet diese banale Frage scheint ihm nun nicht gelegen zu kommen.

Mückstein: Ich habe mir vor zwei Monaten ein Auto gekauft. Ein Hybrid-Modell. Davor hatten wir drei Jahre lang keines. Ich fahre aber auch gerne mit dem Rad.

Foto: STANDARD/Heribert Corn

20 – Steak oder Tofu-Burger?

Mückstein: Bio-Steak.

21 – Sie haben diese Zusatzausbildung in Traditioneller Chinesischer Medizin gemacht. Was gefällt Ihnen daran?

Mückstein: Ich habe meine Medizin immer evidenzbasiert gemacht, und jeder TCM-Therapie ist eine schulmedizinische Diagnostik vorausgegangen. Ich glaube aber, dass man beispielsweise beim unteren Rückenschmerz – nach Ausschluss anderer Erkrankungen – auch einmal akupunktieren kann. Es müssen nicht immer gleich Schmerzmittel sein.

22 – Sie sind beim kranken Kind also eher der Typ Essigpatscherln als Fieberzäpfchen.

Mückstein: Nichts gegen Essigpatscherln!

23 – Wie überzeugen Sie einen Impfgegner mit drei Sätzen?

Mückstein: Es handelt sich um einen sicheren Impfstoff. Wer geimpft ist, wird sich vielleicht bald nicht mehr testen müssen. Und: Sie schützen sich selbst und andere!

Er ist sichtbar zufrieden mit seiner Antwort, richtet sich auf, das Kinn rückt anerkennend vor.

24 – Müssen Sie im privaten Umfeld auch über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen diskutieren? Die Tante, den Onkel überzeugen?

Mückstein: Na klar, ständig. Viele Leute sind verunsichert, müde, haben Angst und wollen das alles nicht mehr. Meine Aufgabe als Gesundheitsminister ist es jetzt, die Alternativlosigkeit der Impfung aufzuzeigen.

25 – Wann werden österreichweit alle Menschen, die zum Arzt gehen, dieselben Leistungen von der Kasse bezahlt bekommen?

Mückstein: Der gemeinsame Leistungskatalog ist fertig verhandelt. Jetzt müssen die Gesundheitskasse und die Kammer das finalisieren. Als Aufsichtsbehörde der Sozialversicherung werde ich schauen, dass das rasch geht.

26 – Psychotherapie kommt auf Krankenschein, koste es, was es wolle?

Mückstein: Im Regierungsprogramm ist das für diese Legislaturperiode geplant. Kosten wird es so lange etwas, bis der Klient, die Klientin wieder gesund ist.

27 – Empfehlen Sie Ärztinnen und Ärzten, ihren Corona-Patienten Budesonid, den Asthmaspray, der schwere Verläufe verhindern soll, zu verschreiben, obwohl er dafür noch nicht zugelassen ist?

Am Montag wurde Mückstein von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Minister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz angelobt.
Foto: Heribert Corn

Mückstein: Das Wissen darüber ist ganz neu, das ist eine interessante Therapieoption. Die Datenlage ist aber noch dünn, weil die Studie mit einem sehr kleinen Personenkreis gemacht wurde. Das schauen wir uns jetzt an. Sobald die Experten sagen, dass es eine gute Idee ist – her damit! Als Gesundheitsminister werde ich meinen Kolleginnen und Kollegen hier aber nichts ausrichten.

28 – Zu wie viel Prozent sind Sie Gesundheitsminister und zu wie viel Sozialminister?

Mückstein: Da steht es 80:20. Ich wünsche mir, dass sich das bald umdreht.

29 – Sie sind auch für Tierschutz zuständig. Haben Sie eine Affinität für ein gewisses Tier?

Mückstein: Ein glückliches Schwein mit Ringelschwanz und dreckiger Schnauze!

30 – Was ist denn die drängendste Aufgabe beim Tierschutz?

Mückstein: Das Tierwohl steht bei allen Überlegungen im Vordergrund. Da geht es tief in den Bereich Lebensmittel und Kennzeichnungspflicht hinein.

31 – Wird bald auf jeder Speisekarte stehen, wo das Schnitzel herkommt?

Mückstein: Das ist Thema von Gesprächen, ich bin erst seit ein paar Tagen im Amt.

32 – Wie gut haben Sie vor Ihrem ersten "ZIB 2"-Auftritt geschlafen?

Jetzt ringt er mit sich, was er zugeben soll.

Mückstein: Ich habe nachher irrsinnig gut geschlafen. Aber ja, da war ich schon nervös. Denn am zweiten Tag bist du ja inhaltlich noch nicht sattelfest und natürlich kein Profipolitiker beim Auftreten.

33 – Wie viel Medientraining hatten Sie davor?

Mückstein: Weniger als fünf Stunden.

34 – Was hat man Ihnen gleich abgewöhnt?

Mückstein: Breitbeinig dazustehen und die Hände hängen zu lassen.

35 – Wann kommt die große Pflegereform?

Mückstein: Das hat mein Vorgänger Rudi Anschober angestoßen. Die letzten Jahre hat das gestockt. Weil die Durchführung bei den Ländern liegt und da ganz unterschiedliche Systeme existieren. Ich werde mir anschauen, woran es bis jetzt gescheitert ist.

36 – Haben Sie eigentlich auch delikate Nachrichten am Handy?

Der Minister schnauft hörbar, er will sich über die Frage offenbar nicht einfach hinwegblödeln.

Mückstein: Hm, was ist denn delikat? Nein, habe ich nicht. Whatsapp habe ich auch nicht gelöscht.

37 – Der Kanzler stellt einen normalen Sommer in Aussicht. Sie haben gesagt, Sie freuen sich auf den Griechenlandurlaub. Dieses Jahr?

Mückstein: Nein. Weil ich mit meinen Töchtern reisen will und die ganz sicher nicht geimpft sind zu dem Zeitpunkt. Griechenland macht zwar auf, aber nicht für Leute, die bloß getestet sind.

38 – Wie lange wird uns die Pandemie das Leben noch schwermachen?

Mückstein: Wenn wir es gut machen, kürzer.

(Katharina Mittelstaedt, Karin Riss, 24.4.2021)