Während Lockdowns manche Menschen in der Pandemie zu Hause mit ihren Familien oder Bekannten einsperren, schließen sie Alleinlebende von ihnen aus. Für junge und studierende Menschen bedeutet die Einsamkeit während des Social Distancings nicht zwingend nur, dass sie nicht mehr auf Partys oder in Clubs gehen können, sondern dass auch der Alltag, das Lernen, Essen oder Lesen, zunehmend einsamer wird. Nicht immer löst eine virtuelle Zoom-Party oder eine Runde Online-Multiplayer dieses Problem, oft fehlt die Gesellschaft beim Produktivsein, die man etwa aus der Bibliothek oder der Schule kennt und die anspornen kann.

"Pomodoro" und ASMR

Eingesperrt in den eigenen vier Wänden, wird das Smartphone oder das Tablet eine immer größere Ablenkung. Um andere zu motivieren und sich selber vom Abdriften während des Lernens abzuhalten, filmen mache Studenten ihre bis zu zwölf Stunden langen Lernsitzungen und teilen diese online. Meistens sind diese nach der "Pomodoro-Technik" aufgeteilt, also in längere Lernblöcke von etwa 25 bis 50 Minuten, die von Pausen unterbrochen werden. Hinterlegt sind die Lernvideos mit beruhigenden Geräuschen wie Regen, knisterndem Kaminfeuer oder einfach nur Tastatur- und Bleistiftklackern.

Merve

Im Livestream beobachtet

Einen viel realeren Effekt, der an Verabredungen zum gemeinsamen Lernen in der Uni-Bibliothek erinnert, haben jedoch Livestreams. Auf Youtube finden sich täglich dutzende Studenten, die sich beim Produktivsein aufnehmen und live übertragen. Die regelmäßigen Pausen nutzen so manche dazu, sich im Chat mit den ebenfalls lernenden Zuschauern auszutauschen. Auf Twitch und Youtube finden sich einige Streamer, die ihren Kanal, samt passendem Programm, darauf ausgerichtet haben, ihren Lernprozess regelmäßig live zu übertragen.

공뚜기

Vor allem die streamende Person profitiert von der Aufnahme. Wenn sie vor dem Livepublikum sitzt, ist es schwierig, etwas anderes zu machen, als zu lernen. Wer dieses Gefühl der Beobachtung braucht, aber nicht im Internet öffentlich streamen möchte, kann auch Videocalls mit mehreren Kolleginnen und Kollegen organisieren, um still und schweigend nebeneinander Arbeit zu erledigen.

Streams aus der Schule

Taucht man tiefer in die Welt der aus dem Boden sprießenden Livestreamplattformen ein, erkennt man schnell, dass sich das Phänomen nicht auf Youtube-Kanäle begrenzt, die solche Inhalte recht professionell aufbereiten. Um nicht vom Handy abgelenkt zu werden, scheinen einige Schüler ihr Smartphone stattdessen für Livestreams zu verwenden.

Neben solchen Live-Lernvideos finden sich am Vormittag auf Tiktok auch Streams von so manchen Schülern, die sogar aus dem Unterricht live übertragen.

Trend aus Südkorea

Diese sogenannten "Study with me"-Streams und -Videos sind jedoch keine Erfindung der Pandemie, sondern entwickelten sich schon vor Ausbruch des Coronavirus in Südkorea zum Trend. Diese Art der Videos und Livestreams wird auch "Gongbang" genannt. Der Name leitet sich vom Wort "Gongbu Bangsong" ab und ist Koreanisch für "Lern-Show".

Livestreams haben sich schon länger als ein Gegenmittel für Einsamkeit bewährt. Die ebenfalls aus Südkorea stammenden "Mukbangs", Liveshows, bei denen Nutzer sich beim Essen filmen und mit Zuschauen plaudern, entwickelten sich 2017 zum globalen Trend. Auch bei diesem Format wird gesagt, dass es sich in erster Linie darum handelt, das Abend- und Mittagessen für Alleinlebende weniger einsam zu gestalten.

Gemeinsam lesen

Doch Nutzer versuchen nicht nur während produktiver Lernphasen im Internet Gesellschaft zu finden. Auch für entspannende Hobbys wie das Bücherlesen gibt es auf Youtube stundenlange Videos in Echtzeit, die Zuschauer in die Entspannung begleiten und dazu motivieren sollen, sich eine festgelegte Zeit nur auf das Lesen zu konzentrieren.

Morgan Long

Ähnliche Videos gibt es auch für andere Hobbys wie Musizieren, Coding, Stricken oder Kochen. In Zeiten der Pandemie wird es für junge Menschen immer schwieriger, nicht zum Smartphone zu greifen. Mit solchen Livestreams holen sich jedoch einige Nutzer das gesellschaftliche Gefühl zurück, das bei manchen Aktivitäten offensichtlich wichtiger ist als noch vor der Pandemie angenommen. (Tiana Hsu, 23.04.2021)