Demenz kann zu Schlafstörungen führen – umgekehrt könnte aber auch wenig Schlaf die Krankheit hervorrufen oder verstärken.

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Die Pandemie hat bei vielen Menschen das Schlafverhalten verändert: Oft sind es mehr unruhige Nächte, manchmal ein erhöhter Bedarf an Nachtruhe oder Nickerchen. Bekanntlich gehört ausreichend Schlaf – neben genügend Bewegung und ausgewogener Ernährung – zu den Grundpfeilern guter Gesundheit. Dass dieser Faktor nicht unterschätzt werden sollte, zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie, die vor allem Schlafenszeiten von 50- bis 70-Jährigen im Zusammenhang mit Demenz auswertete. Das Hauptergebnis: Wer in diesem Alter unter der Woche regelmäßig sechs Stunden oder weniger schlief, hatte ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko für Demenzerkrankungen.

Die Stärke der Arbeit, die Séverine Sabia von der Universität Paris mit ihrem Team im Fachblatt "Nature Communications" publizierte, liegt in der Größe der Stichprobe und in der langfristigen Betrachtung. Sie basiert auf umfangreichem Datenmaterial der sogenannten Whitehall-II-Studie. Ab dem Jahr 1985 wurden dabei 10.000 britische Beamte regelmäßig zu ihrem Gesundheitszustand befragt und untersucht. Diese Datensammlung wird immer wieder mit verschiedenen Schwerpunkten ausgewertet. Vor knapp zwei Jahren wurde etwa festgestellt, dass die gesammelten Informationen für die These des erhöhten Demenzrisikos bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sprechen.

Korrektur für Risikofaktoren

Im Rahmen der aktuellen Studie wurden knapp 8.000 Personen herausgegriffen, die zu Beginn der Erhebung etwa 50 Jahre alt waren und bei den sechs Befragungen im Laufe der Jahre Auskunft über ihre Schlafdauer gegeben hatten. Unter ihnen waren 521 Personen, die in den folgenden 25 Jahren die Diagnose Demenz erhielten – im Schnitt mit 77 Jahren.

Die Statistik wurde korrigiert für verschiedene Aspekte, die das Demenzrisiko womöglich beeinflussen. Darunter fallen Tabak- und Alkoholkonsum, Ernährung, Aktivität und sogar der Familienstand, aber auch Bluthochdruck, Diabetes und psychische Erkrankungen wie Depressionen. "Psychische Krankheiten hängen ziemlich stark mit Schlafstörungen zusammen", sagt Studienleiterin Sabia. Dies hätte die Auswertung verzerren können.

Symptom oder Ursache?

Berücksichtigt man all diese Aspekte, so lässt sich das um 30 Prozent erhöhte Demenzrisiko berechnen. Genauer betrifft es Menschen im mittleren Alter, die dauerhaft maximal sechs Stunden lang schlafen. Bei der Schlafdauer wurde großteils auf eine wahrheitsgemäße Selbsteinschätzung vertraut. Zusätzlich kontrollierte man aber bei gut der Hälfte der Untersuchten, ob ihre Angaben der Realität entsprechen: Bei einer Untersuchung wurde die tatsächliche Schlafdauer per Bewegungssensor erfasst und mit der Einschätzung der Probanden verglichen.

Neben der problematischen kurzen Schlafdauer betrachtete das Forschungsteam auch die Ergebnisse für Langschläfer. Es stellte fest: Wer durchschnittlich lang, also mehr als acht Stunden, schlief, hatte eine sehr leichte Tendenz zur Demenz. Dieser Zusammenhang war statistisch aber nicht aussagekräftig. Einen relevanten Unterschied zwischen den teilnehmenden Frauen und Männern gab es nicht.

Demenz geht generell häufig mit schlechtem Schlaf einher. Ein solches Muster etabliert sich oft, noch bevor die Krankheit diagnostiziert wird, sagt Elizabeth Coulthard von der Universität Bristol, die sich mit der Neurologie von Demenz befasst und nicht in die Studie involviert war. Deswegen sei jedenfalls nicht ganz eindeutig, ob es sich bei Schlaflosigkeit um ein frühes Symptom handelt, oder ob der kurze Schlaf tatsächlich zur Entstehung beiträgt. Die neue Forschungsarbeit erhärte aber durch ihre lange Beobachtungsdauer den Verdacht eines tiefergreifenden Zusammenhangs: "Einige der Personen, die später Demenz entwickelten, waren wahrscheinlich am Anfang der Studie noch nicht erkrankt. Wenig Schlaf im mittleren Alter könnte eine spätere Demenz also verursachen oder verschlimmern."

Verschiedene Krankheitsformen

Zur Vergleichbarkeit ist eine relativ homogene Gruppe an Probanden eher von Vorteil, bringt allerdings andere Einschränkungen mit sich. In diesem Fall waren die untersuchten Beamten meistens weiß und tendenziell gesünder und gebildeter als die britische Durchschnittsbevölkerung. Daher treffen die Aussagen auch eher auf diese Bevölkerungsgruppe zu und müssten für andere Gruppen ebenfalls betrachtet werden.

Coulthard weist darauf hin, dass in Großbritannien nur etwa 60 Prozent der Personen mit Demenz zeitlebens die entsprechende Diagnose erhalten. Wie viele Menschen in der Stichprobe undiagnostiziert erkrankt sind, konnte nicht berücksichtigt werden. Außerdem leben demente Personen mit ganz verschiedenen Krankheiten. Die Symptome der häufigsten Form, Alzheimer, unterscheiden sich von denen anderer Demenzausprägungen. Schlaf könnte diese Formen daher auch uneinheitlich beeinflussen.

Mögliche Gründe für Verbindung

Über den kausalen Zusammenhang, wie Schlaf sich auf diese Erkrankungen auswirkt, ist noch wenig bekannt. Es gibt mehrere Theorien, wie etwa die New York Times anführt: Schlafen dürfte wichtig sein, um im Gehirn die Produktion von Proteinablagerungen zu senken und diese abzubauen. Bei Schlafmangel kommt es auch zu mehr Ablagerungen der Amyloid-Plaques und des Tau-Proteins, die bei der Entwicklung von Alzheimer eine Rolle spielen. Je länger man wach ist, umso länger könnten zudem die aktiven Nervenzellen diese Proteine produzieren.

Das Wissen um gesunden Schlaf führt klarerweise nicht immer dazu, dass wir uns auch um bessere Bedingungen für eine gute Nacht bemühen. Robert Howard, Professor für Psychiatrie in hohem Alter am University College London, sagt sogar: "Menschen, die an Schlaflosigkeit leiden, brauchen wohl nicht noch ein Thema, über das sie im Bett nachgrübeln. Sie sollten sich keine Sorgen darüber machen, dass sie sich auf dem Weg in die Demenz befinden, wenn sie nicht sofort einschlafen." Angesichts der zahlreichen Nachteile ungesunder Schlafrhythmen scheint es aber zumindest angebracht, für Arbeits- und Lebensbedingungen zu sorgen, die einem nicht auch noch die Nachtruhe rauben. (Julia Sica, 25.4.2021)