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Ob die EU als dritte Kraft in der Welt erhalten bleibt, wird von der Innovationskraft und den Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E) abhängen.

Foto: Getty Images / Bearbeitung: DER STANDARD

Vor einem Jahr schien es, als würde das in Wuhan erstmals aufgetretene Coronavirus Chinas wirtschaftlichen und politischen Höhenflug bremsen. Sechs Monate später waren die USA das Schmuddelkind der Corona-Krise, mit dramatisch steigenden Infektionszahlen und einem Präsidenten, der sich auf die Seite der Corona-Leugner stellte.

Heute aber ist es die EU, die am längsten unter der Pandemie zu leiden hat und deren Wirtschaft sich am langsamsten erholt, während China wieder boomt und die USA vor einem starken Aufschwung stehen. Europa droht im Wettbewerb der großen Wirtschaftsblöcke weiter zurückzufallen – und wie schon nach dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 als Folge eine Krise, die woanders ihren Ausgang nahm.

Die ökonomischen Perspektiven sind ernüchternd: Während die chinesische Wirtschaft in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 laut Prognose des Internationalen Währungsfonds um insgesamt 10,6 Prozent wachsen soll und die USA um immer noch 1,5 Prozent, dürfte die Wirtschaftsleistung der 27 EU-Mitgliedsstaaten um 2,7 Prozent schrumpfen.

Politische Bilanz

Die politische Bilanz ist nicht viel besser: Zwar hat die EU den 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds auf den Weg gebracht, hat aber bei der Impfstoffbeschaffung gepatzt und wirkt in allen großen Fragen zerstrittener als vor der Pandemie.

China strotzt unter der Alleinherrschaft von Präsident Xi Jinping von globalem Selbstbewusstsein, und die USA haben unter Joe Biden trotz der tiefen Gräben zwischen Demokraten und Republikanern ein riesiges Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht – doppelt so groß wie das der EU – und gehen jetzt ernsthaft ihre marode Infrastruktur an. Und das Ziel, dass alle Impfwilligen zumindest einen ersten Stich erhalten, wird in den USA in Kürze erreicht.

Die EU könne da nicht mithalten, sagt der Ökonom Karl Aiginger, Gründer der proeuropäischen Querdenkerplattform. "Es liegt vor allem an den Strukturen", sagt der frühere Wifo-Chef. "Wir haben immer noch 27 Entscheidungszentren, daher geht alles ein wenig langsam und zögerlich. Wenn hingegen die Amerikaner ein Problem sehen, dann werfen sie alles hinein, was sie haben, dann sind ihnen alle Schulden egal."

Erleichtert werde dieses offensive Vorgehen durch die Dominanz des Dollars in den internationalen Finanzmärkten, sagt Aiginger, während der Euro angreifbar bleibe.

Multilateralismus in Gefahr

War vor einigen Jahren noch von einer multipolaren Welt die Rede, so bestimmt heute die Rivalität zwischen den USA und China die Weltpolitik. Das hat sich auch durch den Wechsel von Donald Trump zu Biden nicht geändert. Europa wird in diesem Bild kaum noch als Mitspieler wahrgenommen.

Das liegt auch daran, dass das multilaterale liberale Regelwerk für die Weltwirtschaft, an der die EU so hängt, durch den chinesischen Staatskapitalismus und den amerikanischen Wirtschaftsnationalismus an Kraft verliert. Wenn dann etwa die EU den Export von Covid-19-Impfstoffen zulässt und die USA dies aber verhindern, dann zahlen die Europäer drauf.

Die großen Technologiekonzerne der Welt sitzen heute alle in den USA oder in China; dort wird auch die entscheidende Forschung zu künstlicher Intelligenz und anderen IT-Schlüsselbereichen betrieben.

Europa mag zwar beim Datenschutz internationale Normen vorgeben, aber die Nutzung von Big Data wird woanders vorangetrieben. Selbst bei der E-Mobilität droht die europäische Industrie mit ihrer starken Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor gegenüber den USA und China ins Hintertreffen zu geraten. Wirtschaftlich und politisch fallen dort die großen Entscheidungen – und immer öfter in Richtung Konfrontation.

Mit Biden gegen Peking?

Aber der Ausgang dieses Zweikampfes hängt auch von der Haltung der Europäer ab. Sie können, wohl im Sinne Pekings, auf Äquidistanz setzen und die Kooperation mit beiden Mächten suchen – oder aber sich zur Verteidigung westlicher liberaler Werte und Interessen mit den USA gegen China verbünden. Mit Letzterem rechnete das Biden-Team, wurde aber zunächst enttäuscht, als die EU im Jänner ein Investitionsschutzabkommen mit Peking schloss, ohne dies mit der neuen US-Regierung abzustimmen.

Dafür gab es viel Kritik. Das Abkommen bringe zwar Vorteile für europäische Konzerne, die in China aktiv sind, aber mache die EU zu sehr vom Wohlwollen Chinas abhängig, schreibt Janka Oertel, Leiterin des Asien-Programms im European Council on Foreign Relations: "Um Europas Interessen zu fördern, muss die Realität in China mehr Beachtung finden." Die Verhängung von Sanktionen gegen Peking durch die USA und die EU im März wegen der Verfolgung der Uiguren deutete auf einen Kurswechsel in Europa hin zu einer härteren Haltung und einer besseren Abstimmung zwischen Washington und Brüssel hin.

Allerdings kann es die EU auch nicht auf einen völligen Bruch mit China ankommen lassen, dazu ist die wirtschaftliche Abhängigkeit zu groß. Im Vorjahr hat China erstmals die USA als größten Handelspartner der Union abgelöst.

Chance nützen

Für Aiginger ist Europas geopolitische Position besser, als sie derzeit scheint. "Wir haben eine Chance zwischen den USA und China, wir müssen sie nur nützen", sagt er. Für die Klimakrise, die schwerer wiegen wird als die Weltfinanzkrise und die Corona-Krise, sei der Alte Kontinent am besten vorbereitet.

"Bei der Klimatechnologie liegt Europa weltweit in Führung, in der Industrie und den Universitäten", ist Aiginger überzeugt. Beim Klima geht es auch weniger um Wettbewerb als um gemeinsame Interessen, was Europas Vorliebe für Multilateralismus entgegenkommt.

Aiginger sieht auch einen zweiten Faktor, der Europa nützen kann: Mit Afrika liegt die Weltregion, die in den kommenden Jahren am schnellsten wachsen sollte, vor der Tür. Und gerade Klimatechnologie werde für die Entwicklung des Kontinents entscheidend sein.

Mehr Geld für Forschung

Ob die EU als dritte Kraft in der Welt erhalten bleibt, wird von der Innovationskraft und den Ausgaben in Forschung und Entwicklung (F&E) abhängen. Die sind in Europa mit 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts etwa so hoch wie in China, aber niedriger als in den USA.

Ziel müsste sein, die F&E-Ausgaben in der gesamten EU über drei Prozent zu heben, sagt Aiginger. In Österreich und Deutschland liegen sie bereits dort. (Eric Frey, 24.4.2021)