Die Krise als Chance: Der Stehsatz hat schon seine Berechtigung. Als mit 16. März 2020 Schulen und Kindergärten erstmals in den Notbetrieb geschickt wurden, war noch nicht absehbar, wie lange die pandemische Ausnahmesituation anhalten würde. Zunächst war Strudeln angesagt. Irgendwie den Unterricht am Laufen halten. Arbeitspakete schnüren. Den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern nicht verlieren. Das gelang mal besser, mal schlechter – und war neben vielem anderen auch davon abhängig, wie gut die Schule bereits vor dem erzwungenen Improvisationsstück aufgestellt war.

Jetzt, 15 Monate später, ist von "normalem" Schulbetrieb, wie ihn der Bildungsminister noch monatelang herbeigesehnt hat, nichts mehr übrig. Viele Kinder und Jugendliche, und vor allem deren Eltern, sind schon froh, wenn sie hie und da in die Nähe eines Schulgebäudes kommen – und dort nicht nur betreut werden, sondern auch lernen dürfen. Maske, Abstand und Co sind da fast nicht mehr erwähnenswerte Störfaktoren. Einmal auf den Kopf gestellt und durchgeschüttelt stehen sie jetzt da, die Bildungsinstitutionen. Welchen Einfluss hat das darauf, wie wir in Zukunft lernen? Welche Handlungen leiten wir aus dem Befund ab, dass Corona auch im Bildungswesen bereits bestehende Probleme unter einer Art Brennglas plötzlich für wirklich jeden ganz deutlich gemacht hat? Was wird und muss sich an der Art und Weise, wie wir lernen, ändern? Wenn der eingangs zitierte Satz mit Leben gefüllt werden soll, ließe sich etwa bei jenen drei Bereichen beginnen:

Outdoor-Unterricht und mobile Endgeräte

Was jahrelang beklagt wurde, war mit einem Schlag zu Ende: Seit der Unterricht über Online-Stunden, Arbeitszettel und diverse Kommunikationstools daheim auf dem Esstisch gelandet ist, ist von der einstigen "Blackbox" Klassenzimmer nicht mehr viel übrig. Homeoffice-Eltern wissen genau, wie der Unterricht bei welcher Lehrkraft abläuft. Und das ist gut so!

Computer und Co werden wohl auch in Zukunft Teil des Schullebens bleiben. Das muss nicht gleich bedeuten, dass der Flipped Classroom – gemeint ist: Die Schülerinnen und Schüler eignen sich daheim mittels Lernvideos und Tutorials neues Wissen an und stellen dann, in der Klasse, darauf aufbauend ihre Fragen – als Standard-Lernsetting Realität wird. Aber neben dem Menschen wird die Maschine immer mehr Teil der Wissensvermittlung – ab Herbst werden einmal die fünften Schulstufen mit mobilen Endgeräten ausgestattet. Wichtig, aber noch nicht wirklich geklärt: Wie bekommen wir es hin, dass die Technik lediglich zur Unterstützung von guter Pädagogik eingesetzt wird?

Wenn sich die Schule inhaltlich weiterentwickeln will, muss sie das auch räumlich – und zwar nicht nur im Netz. Rausgehen, Natur erleben, Lernen mit allen Sinnen und für das eigene Wohlbefinden. Naturparkschulen machen vor, wie Outdoor-Unterricht funktionieren kann. Auch wenn gerade nicht Pandemie ist. Und an all den Indoor-Tagen braucht es künftig ordentliche Arbeitsplätze für Lehrkräfte sowie Zeit und Raum für Reflexion, heißt: Halbtagsschule ade!

Viele Lernmöglichkeiten, buntes Leben.
Foto: imago images/Photopress Müller

Lernen am und fürs Leben

Niemand hat eine Vorstellung davon, wie die Welt in fünf Jahren aussehen wird, und trotzdem glauben wir, unsere Kinder dafür ausbilden zu können." Was der britische Autor und Bildungsberater Sir Ken Robinson einst bei einem seiner pointierten Ted-Talks als trockenen Befund formulierte, inspirierte Millionen. Lernen wir denn das Richtige? Was ist überhaupt "das Richtige"? Und warum schenken wir nicht jenen Kompetenzen, die uns ein möglichst Sinn-volles und selbstbestimmtes Leben ermöglichen, die gleiche Beachtung wie beispielsweise unseren mathematischen Fähigkeiten?

In Österreich ist von der Kreativität und den vielen Talenten, die es bei Kindern und Jugendlichen zu entdecken gilt, bis dato noch nicht viel zu bemerken. Was wir leider immer noch zu gut kennen: Teaching to the test. Also Lernen um der Schule willen, statt Lernen am und fürs Leben. Bringt Corona die Trendwende? Oder lassen sich die Defizite unseres Schulsystems nach der Akutphase der Pandemie schön brav wieder einfangen, Deckel drauf, und wir machen möglichst rasch wieder weiter wie bisher?

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in der Krise spricht dagegen, dass das möglich ist. Depressive Symptome, Essstörungen und Zukunftsängste haben laut Experten ein beunruhigendes Ausmaß erreicht. Höchste Zeit, auch hierzulande "Well-being" als zentrales Unterrichtsziel zu erkennen. Teilhabe. Selbstwirksamkeit. Resilienz. Lernen, ein glücklicher Mensch zu sein! Hierauf sollten wir uns konzentrieren. International ist das längst ein großes Thema.

In einer guten Schule fühlen sich Kinder wie Lehrende wohl.
Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Teamteaching für mehr Unterrichtsqualität

Wenn der Bildungsminister bestenfalls Empfehlungen abgeben kann, was mit den Kleinsten während eines angeordneten Lockdowns passieren soll, dann ist das nicht nur ein trauriges Bild von Ohnmacht, es birgt auch Potenzial für Unzufriedenheit – auf allen Seiten. Das Kind im Homeoffice betreuen, während andere im Kindergarten so tun, als wäre nichts? In Abhängigkeit vom Wohlwollen der Kindergartenleitung das eigene Pandemieleben gestalten?

Klare Zuständigkeiten machen schon Sinn, auch das hat uns Corona beinhart klargemacht. Besonders schlecht aufgestellt ist Österreich hier im elementaren Bildungsbereich. Aber auch bei den Schulen verlief nicht alles reibungslos. Autonomie beim Schichtbetrieb war etwa keine so gute Idee. Dafür fehlt mehr Verbindlichkeit beim Unterricht in Kleingruppen (gerne auch draußen) bis heute.

Was von vielen Lehrkräften neben all dem Mehraufwand positiv erlebt wird, ist der Unterricht in kleineren Gruppen; Heterogenität braucht Aufmerksamkeit. Teamteaching, etwa in der Unterrichts-Kombi von einer Pädagogin, einem Pädagogen plus einer angehenden Lehrkraft in Ausbildung, könnte die Unterrichtsqualität über den Schichtbetrieb hinaus verbessern. In "Schule weiter denken", soeben im Dudenverlag erschienen, regen die Herausgeberinnen noch eine andere Weiterentwicklung an: langfristig angelegte Lerngruppen, "in denen Lehrkräfte ihre tägliche Arbeit an der Schule reflektieren und dabei durch Experten unterstützt werden". (Karin Riss, 23.4.2021)