Die Austria bekam nur knapp die Spielgenehmigung für die kommende Saison. Im Zentrum der Kritik: Markus Kraetschmer, Manager seit 1997.

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Österreich betreibt keine Kernkraftwerke, Wien wird rot regiert, und zwei Fußballvereine spielen immer in der höchsten Spielklasse: Rapid und die Wiener Austria. Unabsteigbar seit der ersten Meisterschaft 1911/12. Und das bleibt auch erst einmal so, in einer Welt, die ansonsten zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint: Nachdem der FK Austria Wien in erster Instanz keine Lizenz für die Bundesliga erhalten hatte, wurde dem Verein die Teilnahmeberechtigung quasi in der Nachspielzeit erteilt. Eine Investorengruppe "Freunde der Austria" brachte die fehlenden Millionen bei. Für günstige 250.000 Euro war dem Vernehmen nach ein Ein-Prozent-Anteil an der Austria-AG zu haben.

Kein Freund in Not

Als kein Freund in der Not erwies sich hingegen der im März präsentierte "strategische Partner" der Austria: Die Insignia Group (Geschäftsmodell: Kreditkarten für Superreiche) putzte sich ab, mit der Lizenzerteilung habe man nichts zu tun. Die Insolvenz ist vorerst abgewendet, aber der Pleitegeier dreht weiter seine Runden am Laaer Berg. Die wirtschaftliche Krise geht Hand in Hand mit der sportlichen Misere: Die gegenwärtige Tristesse heißt "Qualifikationsgruppe".

Rückblick: Nach einem turbulenten Jahrzehnt mit Magnat Frank Stronach schien die Austria nach dem Auslaufen des Betriebsführungsvertrags 2007 vieles richtig gemacht zu haben: der Neubau der Osttribüne 2008, Meistertitel 2013, Teilnahme an der Champions League 2013/14, Stadionneueröffnung 2018. Doch in dieser Zeit wurde am Verteilerkreis offensichtlich eine falsche Ausfahrt genommen.

Keine Lösung für das Finanzfiasko

Ich kenne die desaströsen Zahlen nur aus den Medien und Fankreisen. Ich habe auch keine Lösung für das Finanzfiasko parat. Ich bin bloß ein Austrianer, seit der ersten Klasse Volksschule. Ich habe Herbert Prohaska zaubern gesehen. Geweint bei einem Wiener Derby. Gejubelt in der Stadthalle. Gezittert in Bilbao. Mich fadisiert in Mattersburg. Ich bin stolz auf unsere Erfolge, stehe hinter den mitunter überhöhten Ansprüchen, liebe die mit der Austria verbundenen Klischees (technischer Fußball, "bürgerlicher" Klub). Sogar die historisch niedrigen Zuschauerinnen- und Zuschauerzahlen deute ich mit einem augenzwinkernden Achselzucken elitär: Opium für das Volk? Brauch ma ned, wir sind kein Verein der Masse. Aber als Fan habe ich Fragen: Wie konnte es zur größten existenziellen Krise der Austria seit dem "Anschluss" 1938 kommen? Hat sich der Klub bei Umbau und Betrieb der Generali-Arena zu weit aus dem Fenster gelehnt? Ist die Akademie für die Nachwuchsarbeit leistbar? Wurden gravierende Fehlentscheidungen im Marketing getroffen? Wo geht das Geld hin? Wer hat die Wiener Austria beinahe an die Wand gefahren?

Zweifelnde Stimmen

Hauptverantwortlich für die violette Wirtschaftskrise ist ein Mann: Markus Kraetschmer. Er ist Austria-Manager seit 1997, gilt als "Architekt" der AG-Konstruktion der Post-Magna-Ära und ist als Vorstandsvorsitzender der FK Austria Wien AG zuständig für die Finanzen. Jüngst wurde er Co-Geschäftsführer der FK Austria Wien International Marketing GmbH, die gemeinsam mit Insignia gegründet wurde. Teile der organisierten Fanszene standen seinem Gebaren schon kritisch gegenüber, als Stronach noch das Füllhorn über der Austria ausschüttete. Die zweifelnden Stimmen wurden zuletzt lauter: Die Austria spielt in der laufenden Saison ohne Brustsponsor (fest vereinbarte Trikotwerbung, Anm. ), doch Insignia soll internationale Sponsoren auftreiben?

Das formulierte Ziel ist die Champions League, während die Austria sich mit Hartberg um die Führung unter den letzten sechs Bundesliga-Vereinen matcht? Die Machtkämpfe hinter den Kulissen lassen sich erahnen: Peter Stöger will unter diesen Rahmenbedingungen nicht weiterarbeiten. Gerhard Krisch (Bank Austria, First Vienna, WEV) wird ab Mai AG-Vorstand. Kraetschmer wurde zwar degradiert, darf aber vorerst bleiben. Er hat sich eine Position geschaffen, die mit vermeintlicher Unverzichtbarkeit einhergeht. Denn die Wirtschaftskrise ist auch eine Führungskrise. "Wir wissen durch den heute erhaltenen Lizenzentscheid ganz genau, welche Anforderungen an uns gestellt werden", formulierte Austria-Präsident Frank Hensel seine offenkundige Hilflosigkeit angesichts des Abgrunds.Die Freunde der Austria sind zur Last-Minute-Rettung im Hinblick auf die Lizenz ausgerückt, Banken und Bundesliga haben wohl mindestens ein Auge zugedrückt, die Austria ist mit einem Veilchen davongekommen. Und jetzt? So kann es nicht weitergehen. Der Schuldenberg entstand nicht über Nacht und wird weiterwachsen.

Die Pandemie ist keine Ausrede

Auch die Covid-19-Pandemie kann da nicht als Ausrede herhalten. Für den leidenden Fan sieht es nach jahrelanger Misswirtschaft und einem Versagen der Kontrollorgane aus. Und der nebulöse Insignia-Deal klingt nach Sargnagel statt Hoffnungsanker. Der Traditionsklub muss das Desaster aufarbeiten, weiteren Schaden verhindern, sich von den Verantwortlichen trennen und neu aufstellen. Nur die Löcher stopfen, das reicht nicht. Weiterwursteln heißt, Insolvenz und Zwangsabstieg auf nächstes Jahr zu verschieben. Dann gäbe es ein Regionalliga-Derby gegen den Wiener Sport-Club. Eh auch schön. (David Forster, 26.4.2021)