Fußballprofis wie etwa Kasim Adams Nuhut von TSG Hoffenheim sind enormen mentalen Belastungen ausgesetzt.

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Wörz: "Die Gefahr ist groß, dass man zu viel trainiert und zu viel emotionalen Druck hat."

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Topkicker unterliegen einem enormen Druck. Sie müssen konstant liefern, befinden sich im Konkurrenzkampf, sind bei Terminen gefordert und stehen in der Auslage. Sportwissenschafter und Psychotherapeut Dr. Thomas Wörz unterstützt Spitzenathleten dabei, für die Herausforderungen gerüstet und vor negativen Erfahrungen, gar Burnout gefeit zu sein.

STANDARD: Wie ist die mentale Belastung für einen Profifußballer einzuordnen?

Wörz: Die Gesamtbelastung ist sehr hoch. Das Gehirn ist die Steuerzentrale, die auch verantwortlich dafür ist, dass sie mit einem guten Gefühl, der nötigen Entschlossenheit und Selbstsicherheit auf das Spielfeld gehen können. Letztendlich ist es wichtig, dass der Körper vom Kopf aus unterstützt und nicht in Frage gestellt wird. Entscheidend ist das Wohlbefinden, die Lust, mit einer Konfrontierermentalität auf das Spielfeld zu gehen und die Herausforderung anzunehmen, wenn es darauf ankommt. Ganz wichtig sind dabei mentale Vorbereitungen.

STANDARD: Sehen Sie eine Tendenz zur mentalen Überforderung bei Spitzenspielern?

Wörz: Sie sind jedenfalls sehr gefordert, unterliegen einem Dauerstress. Der innere Kritiker erzeugt oft großen Druck. Auch der mediale Druck spielt eine Rolle. Man wird bewertet, das kann sehr belastend sein. Und es gibt auch eine gewisse Angst, die durch Konkurrenzdruck erzeugt wird. Letztendlich geht es um Verträge und den Job. Da kommt es auch zu Mobbing. Und es geht um einen Platz in der Startelf. Man ist immer einer gewissen Unsicherheit ausgeliefert.

STANDARD: Vieles ist in hohem Maße Kopfsache. Wie wichtig ist eine gute mentale Einstellung?

Wörz: Grundsätzlich ist es so, dass das Ausschöpfen des Potenzials nicht möglich sein wird, wenn die mentale Einstellung nicht passt. Wenn es bei einem Sportler nicht so läuft und sich unsicheres Verhalten oder negative selbsterfüllende Prophezeiungen manifestieren, dann wird der mentale Faktor immer bedeutsamer. Dann stehen Themen wie Motivation, Selbstwert-, und Stressmanagement im Zentrum. Wenn es richtig rennt, dann ist es ein Selbstläufer, dann dient das mentale Coaching primär der Stabilisierung dieses Gefühls.

STANDARD: Worauf kommt es bei mentaler Vorbereitung an?

Wörz: Mentale Einstellung bedeutet‚ Probehandeln im Kopf und die Kompetenz, sich auf Stressoren und Störfaktoren einzustellen. Quasi ein mentales strategisches Durchspielen, wie ich sein möchte, wenn eine unangenehme Situationen eintritt. Das Schlimmste für einen Sportler ist, wenn er überrascht wird, wenn er sich aus dem Konzept bringen lässt. Preplay ist immens wichtig.

STANDARD: Diese Methode dürfte vor allem Hitzköpfen nicht immer bekannt sein. Was raten Sie ihnen?

Wörz: Wenn ein Spieler die Nerven verliert, kann das fatale Folgen haben, weil sich Matches in kurzen Sequenzen der Unachtsamkeit entscheiden. Während ein Spieler noch irgendwo in der Vergangenheit hängt, sich ärgert und nicht bei der Sache ist, nützt ein anderer dies aus, wenn er genau auf solche Momente mental vorbereitet ist. Ein Spieler, der gefährdet ist, die Kontrolle zu verlieren, kann sich eine Strategie zurechtlegen, wie er dann idealerweise auftreten möchte.

STANDARD: Andererseits kann auch das zu ausgiebige Abfeiern eines Treffers Folgen haben.

Wörz: Wenn man sich zu lang freut – die negative Seite der Freude ist Leichtsinn -, dann ist man nicht präsent, dann passieren Fehler und man ärgert sich. Darum geht’s im Prinzip beim Sport. Das schnelle Umschalten ist mittlerweile im Mannschaftssport der wichtigste mentale Faktor überhaupt. Im Fußball ist auch der Energiehaushalt sehr wichtig. Wenn der Ball im Aus ist, dann soll sich der Spieler kurz entspannen und dann sofort wieder präsent sein. Wenn er sich in der Zwischenzeit immer ärgert, dann wird er viel Energie verlieren und im Kopf in den entscheidenden Momenten nicht bereit sein. Es ist eine Kunst, Pausen zu nützen.

STANDARD: Wie kann die Teamführung konstruktiv eingreifen?

Wörz: Sie sollten sich eine klare Struktur und einen Regieplan zurechtlegen. Wie sind Aufgaben und Funktionen im Betreuungsteam aufgeteilt? Wenn das nicht klar abgesteckt ist, kommt es zu Kompetenzüberschreitungen. Und dann entsteht pures Chaos, wird plötzlich der Masseur zum Arzt, der Psychologe zum Athletiktrainer, der Funktionär zum Headcoach.

STANDARD: Was braucht es für eine gute mentale Regeneration?

Wörz: Es ist wichtig, dass man zwischen den Trainingsphasen das psycho-physiologische System runterfahren kann. Regeneration kann Vieles sein, um den Kopf frei zu bekommen. Zum Beispiel eine alternative Bewegungsform wie Rückschlagspiele oder Tanzen, oder ein gutes Gespräch im sozialen Umfeld, mit Menschen, die einem guttun, weil sie den Kopf vom permanenten Druck im Sport regenerieren lassen. Ablenkung ist extrem wichtig. Und auch Schlaf. Die Gefahr ist groß, dass man zu viel trainiert und zu viel emotionalen Druck hat. Man gewinnt Spiele mit einem gezielten, cleveren Setzen der Pausen.

STANDARD: Fußballer sind viel unterwegs, müssen sich auf verschiedene Umgebungen und Abläufe einstellen. Zu viel Stress?

Wörz: Ein Profifußballer ist vergleichbar mit einem Topmanager, der oft pro Woche in drei europäischen Städten Meetings hat. Er ist sehr gefordert, weil er vielen Veränderungen ausgesetzt ist und permanent in der Auslage steht. Er ist eigentlich fast ein gläserner Mensch. Kombiniert mit dem öffentlichen Druck erzeugt das natürlich permanent Stress. Unter diesen Umständen ist es schwer, seine Mitte zu finden. Ein Profisportler muss daher lernen, achtsam mit sich umzugehen, sich immer gut zu spüren. Stress reduziert Sinneswahrnehmungen, es besteht die Gefahr, den Kontakt zu sich selbst zu verlieren. Verletzungen können die Folge sein. Relaxationsübungen können helfen, ein stabiler Faktor zu bleiben. Andernfalls verliert man den Halt und die innere Stabilität, was zu Burnout führen kann. Man spürt sich nicht mehr richtig, wird immer unruhiger und gereizter, schläft schlecht. Und irgendwann bricht durch den chronischen Stress das System zusammen.

STANDARD: Wie verhindert man es, mental angeschlagen zu sein?

Wörz: Es ist gut, wenn man ein paar Rituale, die Sicherheit vermitteln, in den Tagesablauf integriert. Atem-, Mobilisations- und Vorstellungsübungen können dabei hilfreich sein. Wenn man unsicher wird und grübelt, drückt sich das in energieloser Körperhaltung aus, man fühlt sich schwächer. Wenn man sich aufrichtet und eine selbstbewusste Haltung einnimmt, werden stimmungsaufhellende Substanzen frei. Auf die Körpersprache zu achten, ist die einfachste mentale Technik, die Kettenreaktionen auslösen und Mitspieler motivieren kann. Daher sollten alle Spieler über 90 Minuten selbstsicher auftreten. Und Traineraugen sollen dahin gerichtet sein, ob es gelingt, innerhalb des Teams eine motivierende, optimistische Grundstimmung zu vermitteln.

STANDARD: Was braucht es für die Gewinnermentalität?

Wörz: Es geht darum, in den Prozess, in den Flow zu kommen, im Takt, im Rhythmus zu sein. Ein Spieler ist dann im Spiel drinnen, wenn es ihm richtig Spaß macht, er mit Begeisterung dabei ist. Wenn er nur darauf fokussiert ist, gewinnen zu müssen, dann ist er eigentlich nie im Hier und Jetzt, sondern eigentlich im Danach. Das macht eher verbissen und führt zu Verkrampfungen. (Thomas Hirner, 26.4.2021)