Riss nicht nur das Wiener Musikpublikum zu Begeisterungsstürmen hin: Christa Ludwig, die nacheinander Böhm, Karajan und Bernstein inspirierte.

Foto: APA/Hochmuth

"Und ich wäre so gern Primadonna gewesen": So nannte Christa Ludwig ihre 1994 erschienenen Memoiren – ein Jahr, bevor sie sich nach sage und schreibe vierzig Jahren von der Wiener Staatsoper verabschiedete. Primadonna war sie nie, doch über Jahrzehnte die prominenteste Mezzosopranistin ihrer Generation. 1928 in Berlin geboren, war ihr der Beruf buchstäblich in die Wiege gelegt: Der Vater Anton Ludwig hatte als Bariton begonnen, dann ins Tenorfach gewechselt und schließlich als Theaterdirektor und Regisseur gewirkt, die Mutter Eugenie Ludwig-Besalla war Altistin und unterrichtete die Tochter maßgeblich.

In späteren Jahren verriet sie einiges an privaten Hintergründen: Ihr Vater sei vollkommen unglücklich geworden, nachdem er nicht mehr am Theater arbeiten konnte, ihre Mutter habe ihr nicht nur wesentliche Ratschläge für das Singen gegeben, sondern ihr auch dringend geraten, daneben andere Lebensbereiche nicht zu vernachlässigen. Sie selbst sei darauf angewiesen gewesen, künstlerisch zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Das Publikum erfuhr solche Details freilich noch nicht, sondern erlebte eine absolut souveräne Stimme, die bald zu den prägendsten des 20. Jahrhunderts werden sollte: "Wer singt am schönsten im ganzen Land", übertitelte Kritikerpapst Joachim Kaiser 1977 das ihr gewidmete Kapitel in seinem Buch "Erlebte Musik von Bach bis Strawinsky".

1946 debütierte die Ludwig in Frankfurt am Main als Prinz Orlowsky in Johann Strauss‘ "Fledermaus", machte dann Station in Darmstadt und Hannover. In diesen Jahren machte die Sängerin nachhaltige Erfahrungen in der Interpretation zeitgenössischer Musik, indem sie regelmäßig im Rahmen der Donaueschinger Musiktage die neuesten Werke von Luigi Dallapiccola, Pierre Boulez oder Luigi Nono kennen lernen und aufführen konnte.

Karl Böhm sei Dank

Über Initiative von Karl Böhm 1954 kam sie dann nach Wien, wo sie dem Ensemble der Staatsoper seit Neueröffnung des Hauses am Ring 1955 ununterbrochen bis zu ihrem Bühnenabschied 1995 angehörte und zugleich eine einzigartige Weltkarriere verfolgte. Von Mozart und Gluck bis Verdi, Richard Strauss und Wagner sang sie alle großen Partien, brillierte auch – wie es in dieser Zeit noch gang und gäbe war – in einer Reihe von Uraufführungen: von Frank Martin ("Der Sturm"), Gottfried von Einem ("Der Besuch der alten Dame") in Wien oder in Rolf Liebermanns "Schule der Frauen" bei den Salzburger Festspielen, einem weiteren langjährigem Zentrum ihrer Aktivitäten, ebenso wie die Bayreuther Festspiele.

Über die dramatischen Wagner-Rollen eroberte sich die Sängerin dann auch höhere Regionen in Form dramatischer Sopran-Partien, um damit ihr umfassendes Repertoire weiter zu verbreitern – ein Repertoire, in dem sie ohnehin neben der Oper stets das Lied in ebenso vollendeter Form pflegte. Nach Karl Böhm wurde Herbert von Karajan als dessen Nachfolger im Amt des Wiener Operndirektors einer von Ludwigs wichtigsten Partnern am Dirigentenpult.

Bernsteins Geschenk

Ein weiter war Leonard Bernstein, für Ludwig später "der Herrlichste von allen", der mit ihr zentrale Werke von Mahler und Richard Strauss einstudierte und sie nicht nur sowohl als Pianist wie als Dirigent begleitete, sondern ihr auch die Rolle der Old Lady in seiner später zum Musical umgearbeiteten Operette "Candide" auf den Leib schrieb – eine der unkonventionellen Paraderollen der Sängerin, die zunächst von 1957 bis 1969 mit dem Bariton Walter Berry (1929–2000) verheiratet war, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hatte.

Später heiratete sie den französischen Schauspieler und Regisseur Paul-Émile Deiber (1925–2011) und lebte, bis ins hohe Alter als Meisterkurs-Lehrerin, Vortragende und Jurorin aktiv, bis 2021 in Klosterneuburg bei Wien. Anlässlich der Präsentation ihrer zu ihrem 90. Geburtstags im Jahr 2018 erschienenen zweiten Autobiographie "Leicht muss man sein. Erinnerungen an die Zukunft" äußerte sich die Wiener Kammersängerin (seit 1962) und – neben zahlreichen weiteren Auszeichnungen – Trägerin des Titels Kommandeur der französischen Ehrenlegion (seit 2010) erfrischend klar und abgeklärt: "Sängerin möchte ich nie wieder sein!" (Daniel Ender, 25.4.2021)